17. Juni 2024
Rubrik Oper
©Monika Rittershaus
Moskau Mitte der 1680er Jahre. Die politischen Zustände sind chaotisch: Fanatische Sektierer, sogenannte »Altgläubige«, Strelitzen, anarchistische Einzelkämpfer und überzeugte Anhänger Peters ringen um den Thron. Ein gnadenlos brutaler Kampf, in dessen Ausgang Zarewitsch Peter (später Zar «Peter der Große) die Macht übernimmt.
Das ist das «Setting», in das Modest Mussorgsky sein Werk Chowanschtschina (Die Sache Chowanski) einst bettete. Eine Oper, die zunächst unvollendet blieb.
Von Heike Franke
Mussorgsky hätte wohl die politischen Ereignisse detailgetreu nachbilden können, sind doch gerade Machtspiele ein «gefundenes Fressen» für eine Oper, er ließ es sein.
So wie er keine Liebesgeschichte einbaute und auch auf klar strukturierte Handlung verzichtete. Stattdessen fügte er historische Dokumente wild zusammen und rang seinerseits darum, das Vergangene im Gegenwärtigen zu zeigen.
Dmitri Schostakowitsch nahm sich dem unvollendeten Werk an. Igor Strawinsky steuerte das Finale bei. Zum Glück, muss man sagen, denn der Welt wäre sonst vermutlich diese wunderschöne Musik vorenthalten worden.
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Die Berliner Staatsoper hat mit Claus Guth einen erfahrenen Regisseur gefunden, der Mussorgskys Idee in der Inszenierung weiterführt und die Geschichte nicht zuletzt durch den Einsatz moderner medialer Mittel in der Oper in die Gegenwart rückt. Auch wenn für meinen Geschmack hier weniger mehr gewesen wäre.
Große Projektionen dominieren immer wieder das sonst so spartanische wie düstere Bühnenbild. Nur selten zeigen sie historische Dokumente. Meist wird auf der Bühne gefilmt, die Sänger:innen und Komparserie in Aktion und mittels Nahaufnahmen schwarz-weiß auf große Leinwände gebracht.
Das schafft – bei dem vielen «Personal» auf der Bühne – viel Ablenkung.
Chowanschtschina beginnt und endet im Kreml von heute: Putins Schreibtisch, komplementiert durch ein übergroßes Standbild von Zar Peter dem Ersten. Dazu das Befüllen des Napfes von Putins Hund.
Die Mischung historischer Russlandbilder mit solchen der heutigen, knüppelnden Polizei. Historische Schauplätze, die immer wieder auf der sonst leeren Bühne hochgefahren werden und nicht zuletzt die historische Kostüme. All das nimmt Mussorgskys Idee auf und denkt sie weiter, verrennt sich aber auch in viel Regietheater.
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Hierzu trägt vor allem die dazuerfundene Gruppe bei. Männer und Frauen in blass orangefarbenen Kitteln und Hosen, die umher gehen, beobachten, aufzeichnen und bei denen man sich fragt, sollen es Forschende in Laboranzügen sein? Geht es Guth hier um die Suche nach Wahrheit oder um die Darstellung einer versuchten Legitimierung von Macht?
Oder sind das Regisseur und Assistent:innen, die die eigentliche Geschichte heute inszenieren?
Das Publikum gustiert es. Ich hingegen fühle mich – wie so oft bei Regietheater – bevormundet und auch, als hat Guth mir nicht zugetraut, dass ich die Verbindung von zaristischem und Putins Russland auch ohne seine Überzeichnung und die vielen überdeutlichen Fingerzeige verstanden hätte.
Die Staatskapelle entfaltet unter Simone Young faszinierende und dennoch nie überbordende Klangpracht. Den dunklen Zauber von Mussorgskys Musik lässt sie mit dem exzellent aufspielenden Orchester in einer Art leuchten, dass die Stimmen genug Raum haben, um funkeln zu können.
Und das tut gut in diesem hoffnungslosen Werk, das kein reinigendes Entsetzen, kein befreiendes Lachen kennt und mit solch ruhiger, tiefer Einsicht daherkommt, dass es nicht einmal zu Tränen rühren kann.
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Die Ruhe macht fassungslos, vor allem wenn das Orchester mit Gleichmut seufzt und Marina Prudenskaya als Marfa mit visionärer Düsternis ihre Prophezeiungen singt. Dennoch, gerade von ihr hatte ich mehr erwartet. Die Prudenkskya bleibt kalt und distanziert, und in den tiefen Registern drückt sie, als fallen ihr diese Lagen stimmlich schwer. Das kennt man eigentlich so nicht von ihr, und es mag sein, dass sie einfach einen schlechten Tag hatte oder nicht ganz gesund war.
Mika Kares als Fürst Iwan Chowanski glänzt mit sattem Bass, dem man das Führungslose abnimmt. Stephan Rügamer treibt tenörisch überhebliche Eitelkeit ins Uferlose, was der Rolle des Fürst Wassili Golizyn bestens steht, George Gagnidze als Bojar Schaklowity gestaltet den Schurken farbenreich.
Evelin Nowak als Emma und Najmiddin Mavlyanow als Fürst Andrei Chowanski schaffen in all der Düsternis vokale Inseln der Lyrik und behaupten diese nachdrücklich. Das sind Momente, in denen das Publikum aufatmet und so etwas wie Funken der Hoffnung entstehen.
Der eigentliche Protagonist dieser Oper ist das Volk. Und dieser Rolle wird der extrem geforderte Staatsopernchor unter Einstudierung von Dani Juri mehr als gerecht. Der Staatsopernchor glänzt mit Stimmgewalt und Darstellungslust. Jenes Hoffnungslose, in das Chowanschtschina einen musikalisch wirft und wie in einem Strudel immer weiter abwärts reißt, das reizt der Chor bis in die letzte düstere Tiefe der Emotion aus.
Am Ende tost Applaus durch das nahezu ausverkaufte Berliner Haus. Bravi Rufe und stehende Ovationen verlangen nach etlichen Vorhängen, wobei vor allem der Chor und die Staatskapelle unter Simone Young mit besonders viel Applaus bedacht werden – zu recht.
©Monika Rittershaus
Was bleibt als Fazit?
Weniger ist fast immer mehr. So auch hier. Nicht weniger Sänger:innen. Nicht weniger gefühlvoll geleitete Staatskapelle. Nicht weniger Düsternis. Nein, weniger Regie. Und dafür mehr Mut und Vertrauen in ein durchaus intelligentes Publikum.
BESETZUNG
MUSIKALISCHE LEITUNG
Simone Young
INSZENIERUNG
Claus Guth
FÜRST IWAN CHOWANSKI
Mika Kares
FÜRST ANDREI CHOWANSKI
Najmiddin Mavlyanov
FÜRST WASSILI GOLIZYN
Stephan Rügamer
DOSSIFEI
Taras Shtonda
MARFA
Marina Prudenskaya
u.a.