Der Freischütz als packend gruseliger Thriller bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee

18. August 2024

Rubrik Oper

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Dieser Freischütz ist nicht zu fassen. Er ist sozusagen ein wahrgewordener Traum all jener Musikliebhaber, die noch vorhaben, sich in die Oper zu verlieben. Und das geht mit Philipp Stölzls märchenhafter Inszenierung bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen außerordentlich wunderbar.

 

Sie merken, ich versinke in Superlativen und überbordenden Schwärmereien, die mich kaum noch auf den Boden der manchmal ernüchternden Tatsachen zurückblicken lassen wollen.

 

Denn die Oper ist normalerweise viel zu oft eine stockernste, sehr ernst zunehmende Angelegenheit, die grundsätzlich in einem Auditorium eines Opernhauses stattfindet und auf die man sich relativ häufig mithilfe eines informativen Opernführers vorbereiten muss.

 

Fällt dann noch das jeweilige Werk einer sehr progressiven Regieführung anheim, wird die Oper vor allem für Opernneulinge kompliziert, schwerfällig und schwer verdaulich.

 

Nicht so in dieser herrlich visuellen und aktionsgeladenen Inszenierung des Filmemachers Philipp Stölzl, der einfach versteht, wie man Spannung, Spaß und Spiel auf eine Freilichtbühne inmitten des landschaftlich zauberhaften Bodensees bringen muss.

 

Gerade aus der Carl-Maria-von-Weber-Stadt Eutin von einem erlebnisreichen Tag zurückgekehrt, setzte ich mich todmüde auf die Couch und lasse mich auf den Stream in der ZDF-Mediathek ein. Aber wahrscheinlich auch nur für die erste halbe Stunde, so mein bleierner Gedanke.

 

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Denn eine knapp zweistündige Oper schlaucht. Und ich glaube nicht so erschöpft, wie ich von diesem Tag heimgekehrt bin, überhaupt noch so viele Stunden Opernmarathon durchhalten zu können.

 

Doch weit gefehlt. Da sitze ich nun, beuge mich immer weiter nach vorne, um bloß keine einzige Szene zu verpassen und bin wie elektrisiert.

 

Was ist das bloß für ein packender Thriller, dieser Freischütz, den ich noch nie zuvor gesehen habe und der mich so dermaßen fesselt, dass ich wie erstarrt, hellwach und dennoch übermüdet, die Stange vorm Fernsehbildschirm halte -  mit stoischer Ausdauer wohlgemerkt.

 

Es geht auch gar nicht anders, wenn man bedenkt, wie fantasievoll das Bühnenbild anmutet, das einen geisterhaften Ort kurz nach dem 30-jährigen Krieg in Deutschland zeigt.

 

Schiefe Fachwerkhäuser, eine versunkene Kirche, dessen Kirchturm auch irgendwie krumm und schief aus dem Bodenseegewässer herausragt. Skurril, gruselig, abtörnend.

 

Dieser Ort vermag nichts Gutes, hat eine schauerliche Aura, die man sofort und auf der Stelle von sich abschütteln möchte. Doch es geht nicht. Jetzt wird es doch erst so richtig spannend.

 

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Das Ende vorweggenommen, zeigt Stölzl den dramatischen Abgang einer jungen Frau namens Agathe, die von ihrem angetrauten Max von einer Kugel durchbohrt nun im Sarg von der Dorfgemeinde zur Grabstelle getragen wird. Kurz nachdem die Verblichene beerdigt worden ist, geht die Hetzjagd auf Max, den Mörder, los. 

 

Er wird am Baum gehängt, zappelt wie wild hin und her und zack, plumpst ins erfrischende Wasser des Bodensees. Gott sei Dank ist Sommer. Die Szene selbst spielt im bitterkalten Winter und sie hat mich ebenfalls zappelnd wie ein Fisch an der Angel. Jeder Roman, der so beginnt, kann nur zum Bestseller werden.

 

Aber dann läuft es mir eisig den Rücken herunter beim bloßen Anblick, der sich mir so eindrücklich bietet. Der Teufel erscheint auf der Bildfläche und nimmt vorweg, was man sich ansonsten mühsam über den Opernführer erarbeiten müsste.

 

Genial gemacht, staune und staune ich Bauklötze. Der Erzähler ist der Leibhaftige selbst, der in dieser Oper normalerweise gar nicht als Sprecher vorgesehen ist. 

 

Und dennoch passt er grandios ins Bild, wie er da so erzählt, was er mit Agathe, Max und seinem teuflischen Genossen so vorhat. Er führt, wie könnte es auch anders sein, nichts Gutes im Schilde.

 

Während er das Publikum mit seiner hässlich-listigen Art, teils auch mit sehr makabrem Humor, immer tiefer in die Geschichte des Freischütz einführt -  und das mit aller Regelmäßigkeit nach jedem Szenenabschnitt mundgerecht und in Häppchen dargereicht, dürstet es einem nach immer mehr Information. Was mag wohl als nächstes passieren?

 

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Genau so, denke ich, lässt sich Oper gut degustieren, noch dazu bleibt man an der Handlung dran, selbst wenn einem fast schon die Augen zufallen wollen. Und dann noch die vielen Spezialeffekte, Stunts und mystischen Szenen, die den roten Handlungsfaden mehr und mehr auf Spannung bringen.

 

Zum Zerreißen gebannt, starrt man nur noch auf das extrem bewegende Bühnengeschehen, fiebert in der Szene des Kaspar mit, als der mit viel Tamtam und Hokuspokus dem glücklosen Freischütz Max im magischen Feuerkreis ein paar Freikugeln gießt.

 

Tief unten in der finsteren Wolfsschlucht passieren merkwürdige Dinge. Und so bekommt man unmittelbar danach schnappatmungswürdige Zustände, als der leibhaftige Teufel auf dem Kopf einer überdimensionierten Schlange aus der Wasseroberfläche emporgehoben wird. Ein Spektakel wie plötzlich Feuer aus dem Rachen des Ungeheuers schießt.

 

Wow! Ich kann mich kaum noch halten und tue es dennoch! Das ist so viel mehr als großes Kino auf der Leinwand. Das ist absolut genial gemacht und mit einer großen Portion Detailliebe versehen.

 

So sollte Oper unter freiem Himmel immer und überall sein dürfen, damit sie ihre Magie in die Welt transportieren kann. Geflasht von so viel Ästhetik, künstlerischer Ausgestaltung und effektvoller Regieführung staune ich ebenfalls nicht schlecht über die herausragenden Gesangsleistungen der Protagonisten auf der Bühne.

 

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Und mal wieder ist Nikola Hillebrand mein ganz persönlicher Favorit, nicht nur, weil sie die Agathe so lyrisch anmutig interpretiert, sondern weil sie gleichermaßen stark in ihrem Schauspiel aufgeht.

 

Nikola Hillebrand ist ein "Bühnentier" durch und durch. Jede Geste, jede Mimik nimmt man der jungen Sängerdarstellerin auf der Stelle ab.

 

Fein, kostbar, elegant sind ihre strömenden Legati. Schlank erhebt sich ihre angenehm timbrierte Stimme in lupenreiner Brillanz in die "tönende Luft", strahlt empor und hinterlässt ein irisierendes Klanggefühl, das anfasst, ja das sehr berührt.

 

Ihre Warmherzigkeit sprüht aus jeder tonalen Pore, ihr Lächeln überträgt sich auf jeden vokalen Ausdruck. Emotionale Tiefe steckt in der koloraturschönen Stimme, der man sich absolut nicht entziehen kann.

 

Und auch Mauro Peter, der Pechvogel unter den Schützen, hat einen wahnsinnig starken Auftritt. Stimmlich sonor und leuchtend in der stentoralen Höhe strahlt der hoffnungslose Fall eines Freischützen vokal und auch darstellerisch hell in den mittlerweile königsblauen Nachthimmel.

 

Was den Sängern auf dieser Bühne aber auch alles abverlangt wird. Durchs Wasser hüpfen sie jedenfalls alle und machen dabei immer eine gute Figur, ebenso wie das Wassernixenballett à la Hollywood.

 

So ganz bringe ich es nicht in die Szene unter, aber es entzückend zauberhaft anzusehen. 

 

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Am Ende wird -  und das ist der Plot-Twist - alles gut! Max bekommt seine Agathe, keiner wird erschossen. Der Teufel geht zurück in seine Hölle und schmollt. Tja, und die Moral von der Geschicht´: Bloß keine Freischütz-Kugeln nicht!

 

Während ein Applausregen (soweit ich es im Stream vernehmen konnte) wie donnernde Kugeln auf die Sänger herniedergeht, lasse ich noch mal Revue passieren, was mir eigentlich an dieser Oper am besten gefallen hat.

 

Allen voran Nikola Hillebrand, Mauro Peter, Katharina Rückgaber als Ännchen (eine zuckersüße Stimme), Christoph Fischesser als des Teufels Handlanger und Moritz von Treuenfels, der als Teufel Samiel an diesem Abend den größten Applaus einheimsen darf. Er war aber auch einfach teuflisch gut! 

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