Das süße Gift: Sonya Yoncheva als fulminante Tosca in der Staatsoper Unter den Linden

20. April 2024

Rubrik Oper

©Hermann & Clärchen Baus

Man nehme einen Künstler mit revolutionärer Gesinnung und schicke ihn in den unheilvollen Versuch, einem politisch Verfolgten zur Flucht zu verhelfen, packe eine Geliebte dazu, die sich betrogen wähnt und auf den feurigen Stürmen ihrer Eifersucht in den Abgrund rauscht, gebe dieser desaströsen Spirale einen mächtigen «Spin» anhand eines skrupellosen Polizeichefs, der seine Macht missbraucht, würze all das rückhaltlos mit einer genialen Mischung aus Phonstärke, Wildheit, Feinsinnigkeit und subtiler Durchsichtigkeit aus dem Orchestergraben…

 

Klingt irgendwie bekannt? Genau. Nach diesem Rezept hat Puccinis seine Tosca «gekocht». Tosca. Nicht irgendeine Oper, sondern ein Werk, das zum Meilenstein der Operngeschichte wurde.

 

Von Heike Franke

 

Und selbst wenn Puccini seinen Protagonist:innen den Konflikt zwischen Napoleons Revolutionsheer und den habsburgisch-päpstlichen Truppen im Jahr 1800 zum Verhängnis gedeihen ließ, so kann man die Erzählung der Oper im Grunde in jede Zeit verlegen – und sollte es unbedingt tun, denn sie hat alles, was Oper sein soll und kann.

 

An der Staatsoper Unter den Linden transferierte 2014 der lettische Regisseur Alvis Hermanis die Erzählung in die Entstehungszeit der Oper um 1900. Bühnen- und Kostümbildnerin Kristīne Jurjāne ergänzte die szenische Darstellung durch einen aufwendig gestalteten Graphic Novel, der an den Originalschauplätzen des 17. und 18. Juni 1800 in Rom spielt und auf das Bühnenbild projiziert wird.

 

Hermanis Lösung, das Geschehen doppelt zu erzählen, faszinierte bereits zur Premiere und hat seitdem an nichts eingebüßt – gerade auch aufgrund der einander so wunderbar durchdringenden Erzählebenen, die der Regisseur geschaffen hat.

 

©Hermann & Clärchen Baus

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Was also macht es nun diesen Abend im Berliner Haus bei der x-sten Wiederaufnahme wert, darüber auch nur eine Zeile zu verlieren? Die Antwort ist so simpel wie die Frage selbst: Sonya Yoncheva.

 

Als Tosca durchlebt die Ausnahme Sopranistin akustisch und darstellerisch die Gefühlsstürme der Tosca, und singt und spielt dabei in ihrer ganz eignen Liga. Mühelos und mit viel sängerischem Mut gleitet sie durch alle Register und gleichzeitig durch unendlich viele Stimmfarben – lyrisch, dramatisch, warm, kalt, samtig, metallisch, engelsgleich, brutal…

 

Das alles, ohne je schrill zu werden oder zu schreien, nicht einmal in den höchsten Lagen. Dafür mit der für sie so typischen Fülle an Obertönen, die berühren, ja mehr noch, packen, Gänsehaut zaubern, Tränen fließen und einen nicht mehr loslassen.

 

Sonya Yoncheva spielt mit den Reizen ihrer Stimme und ihres Körpers gleichermaßen, katapultiert uns durch die ganz großen Emotionen, lässt uns die tiefe Liebe und die abgründige Eifersucht mit erleiden, um dann Scham und Hass aus dem Innersten mit atemraubender Wucht herauszuschleudern.

 

Und dabei hält sie in jedem einzelnen Moment auf unnachahmliche Weise eine enge Verbindung zu ihrem Publikum, zieht es in das Geschehen, fast schon als braucht sie das, als ist sie darauf angewiesen, dass alle an und auf ihrer, auf Toscas Seite sind.

 

Beispielhaft und enorm beeindruckend ist hier vor allem die Szene, in der sie erst Scarpia tötet, dann das Glas Wein in einer Geste des Triumphs hochhält und plötzlich den Blick ins Publikum richtet.

 

Nicht in das Halbdunkel, den toten Raum, über Köpfe hinweg. Nein. Sonya Yonchevas Blick trifft. Auge in Auge. Innig. Intensiv. Zweisamkeit mit ihrem atemlosen Publikum für einen langen Augenblick. Und nie habe ich die Figur der Tosca so verstanden wie in diesem ergreifenden Moment, in dem es keinen Zweifel gibt, warum sie töten muss und dem mit Fug und Recht tumultartiger Szenenapplaus im ausverkauften Haus folgt.

 

©Hermann & Clärchen Baus

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Dieses Zusammenspiel aus einzigartiger Stimme, perfekter Gesangstechnik, hingebungsvollem Schauspiel, innigster Verbundenheit mit dem Publikum und das alles noch dazu mit Demut und großer Bescheidenheit dargebracht, das ist Sonya Yonchevas Zauber.

 

Das ist pure Magie.

 

Aber auch wie sie sich in den Duetten zurücknimmt, um dem mehr als indisponierten Joseph Calleja Raum zu geben zeugt davon, dass auf der Berliner Bühne eine ganz Große steht. Eine, die alles und jeden überstrahlt, es aber nicht tun muss.

 

Womit wir beim – an diesem Abend – arg geschundenen Joseph Calleja wären, der mit Sicherheit über die Klangfarben und die Leidenschaft verfügt, die man sich für den Cavaradossi wünscht, aber sich mit hörbar arger Erkältung heldenhaft durch die Aufführung kämpft.

 

Die Ansage vor Beginn der Vorstellung ließ vermuten, dass am Haus kein Ersatz so kurzfristig aufzutreiben war und Calleja die Vorstellung retten wollte, was ihm ohne Zweifel gelingt.

 

Calleja schlägt sich wacker und mit viel Entschlossenheit, aber selbst der beste Tenor wird von einer solchen Erkrankung natürlich in den hohen Registern niedergerungen.

 

Der Tenor bekommt die hohen Töne trotz allem erstaunlich sauber, dennoch leise und fragil, und ich habe mir für ihn sehr gewünscht, Ivan Repušić hätte am Pult mehr Rücksicht genommen, das Orchesterforte gezügelt und es somit Calleja ein wenig leichter gemacht. Das Publikum feiert den Tenor – zurecht – umso mehr (und von Akt 1 bis zum Vorhang leidet es mit ihm).

 

©Hermann & Clärchen Baus

Ambrogio Maestri als Scarpia weiß das Publikum zu überzeugen, zumindest der tosende Schlussapplaus lässt daran keinen Zweifel, nicht aber mich. Stimmlich gibt es nichts zu beanstanden, wenn auch mir persönlich seine Farbe zu «bassig» tragend und warm ist. Ich mag den Scarpia eher «baritonig» leichtfüßig, aber das ist Geschmackssache.

 

Mir fehlen allerdings bei Maestris Darstellung die exzessive Verächtlichkeit des Polizeichefs und dessen Gier. In der Stimme vermisse ich die Brutalität und Kälte, und dass hier und da auch seine Einsamkeit durchblitzen würde. Und so bleibt mir dieser Scarpia zu eindimensional.

 

Aber ich gebe es gern zu, mein idealer Scarpia ist Thomas Hampson. Seit ich den Bariton in der Rolle gesehen und gehört habe, die Leichtfüßigkeit, die er dem Scarpia verleiht, dazu die teuflische Sexiness, messe ich jeden anderen daran. Das mag nicht fair sein, aber was soll ich tun?

 

Ivan Repušić leitet die wie immer hervorragend aufspielende Staatskapelle im Graben souverän und blitzsauber durch die Paritur. Wie bereits ausgeführt, ein wenig mehr Unterstützung für den erkrankten Calleja wäre wünschenswert gewesen, doch vielleicht erwarte ich auch hier zu viel, denn natürlich lebt Tosca musikalisch gerade von der Phonstärke und Wildheit.

 

Was bleibt als Fazit?

 

Egal, wie viele Toscas ich schon gesehen, wie viele Sopranistinnen ich sie habe singen hören, der Abend lehrt, es kann irgendwann die eine geben, die mir die Figur anders, neu, und plötzlich sehr umfassend nahe bringt und die ihre eigenen vorherigen Darstellungen noch einmal übertrumpft.

 

Das ist «Opera at its best». Und wem es noch nicht aufgefallen sein sollte, der Abend stellt klar: Sonya Yoncheva ist die beste lebende Sopranistin unserer Zeit und jede Aufführung, in der man sie sehen kann, ist ein Geschenk. Man kann nur hoffen, dass ihr und uns noch viele Jahre geschenkt werden, in denen sie uns zu fesseln und zu beglücken vermag.


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