Brutal geniale Tosca mit JOnas Kaufmann und Eleonora Burrato an der Bayerischen Staatsoper

28. Juli 2024

Rubrik Oper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Bevor man sich diese Neuinszenierung der Tosca an der Bayerischen Staatsoper mit allen Sinnen einverleibt, muss man wohl oder übel tief in die Interpretation des Regisseurs Kornél Mundruczó eintauchen, denn selbsterklärend ist die modifizierte Handlung des packendsten Opernthrillers der Musikgeschichte ganz sicher nicht.

 

Was für ein Gewusel von Menschen, die gleich zu Beginn des 1. Aktes über die Bühne stürmen, bewaffnet mit Kameraequipment, Requisiten, ein paar splitterfasernackten Models, die nur mit einem Brautschleier ausstaffiert und über und über mit roter Farbe bemalt, ihren barbusigen Oberkörper an eine Leinwand drücken, um sich in "Body Art" Manier auf weißem Grund zu verewigen.

 

Von Nicole Hacke

 

Mit fiebrigem Eifer schießt der Fotograf, Regisseur und Künstler in Personalunion (Jonas Kaufmann) wie getrieben ein Foto nach dem anderen, immer auf der Jagd nach dem perfekten "Schuss", für eine Kunst, für eine Haltung, die sich scheinbar gegen alle Konventionen, gesellschaftlichen Konformitäten und politischen Doktrinen aufzulehnen scheint.

 

Und dabei geht es fürwahr blutig zu in dieser schockierend realistischen und jeglicher Romantik entbehrenden Inszenierung.

 

Der Maler Mario Cavaradossi wird durch eine reale Figur substituiert, die im Italien der 70er-Jahre Furore um seine provozierende Kunst gemacht hat: Pier Paolo Pasolini - Filmemacher, Philosoph, Dichter, Rebell und verliebt in eine Operndiva, die Maria Callas hieß.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Kornél Mundruczó sucht Parallelen zum Original-Handlungssujet und findet sie in dieser politisch aufgeheizten Ära Italiens,  in der der "Neuzeit-Cavaradossi" zwischen die Fronten autoritärer Machtverhältnisse und der terroristischen Roten Brigade gerät.

 

Spannend erzählt, spinnt sich der Handlungsfaden hin zum zweiten Akt immer klarer und konturierter aus dem anfänglich wuseligen Filmset-Brimborium heraus, das ein bisschen verwirrend und zu überladen allzu leicht ein Publikum erschlagen kann, das sich tendenziell mehr für die historische Darstellung der Rollen und Handlung ausspricht.

 

Nichtsdestotrotz überzeugt die sehr eigenwillige Interpretation mit packenden Steigerungsmomenten, insbesondere im 2. Akt. Während Floria Tosca den eiskalten, psychopathisch veranlagten Machthaber Scarpia aufsucht, um die Freilassung Cavaradossis / Pasolinis zu bewirken, wird die Folterszene nicht wie gewöhnlich subtil angedeutet, sondern vor aller Augen auf offener Bühne extrem blutrünstig ausgetragen.

 

Auf zwei Stockwerken spielt sich das Paralleldrama doppelt so intensiv und doppelt so verstörend ab.

 

Oben rangeln Tosca und Scarpia im Wohnzimmer des Funktionärs miteinander: Tosca, die sich voller Verzweiflung aus dem gierigen Klammergriff des widerlichen Scarpias zu lösen versucht und ein Jonas Kaufmann, der im Kellergewölbe  unter der Decke an beiden Armen aufgehängt, zappelnd und zuckend von den Handlangern Scarpias brutal gefoltert wird.

 

Blut auf weißer Wand, überall spritzt es, klebt es, haftet an und lässt einen das ohnmächtig machende Drama schonungslos miterleben.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Aber auch die Mordszene an Scarpia fällt nicht minder brutal aus. Statt eines im Eifer des Gefechts impulsiv ausgeführten Messerstichs scheint Tosca ihre Tat genauestens zu planen.

 

Auf dem Kaminsims im Wohnzimmer liegt nicht ganz zufällig ein scharfes Messer, gut versteckt unter einer Obstschale. Ein ehemaliges Vergewaltigungsopfer Scarpias hat es dort ganz bewusst und vor den Augen Toscas platziert.

 

Und so lockt Tosca Scarpia mit der Obstschale an und rammt ihn genüsslich als erstes das Messer in den Bauch, dann in den Rücken und schneidet ihm zu guter Letzt auch noch die Kehle durch.

 

Genau das ist kein Verzweiflungsakt im Affekt, sondern ein kaltblütig ausgeführter Racheakt einer Frau, die Regimegegnerin und Verbündete Cavaradossis zu sein scheint.

 

Politisch aufgeheizt und deutlich auf die Psychologie der einzelnen Charaktere einzahlend, wird diese Tosca zu einem Psychogramm ideologischer Werte. Alles schreit hier Revolution, Machtübernahme - und das im Namen der Freiheit und der Kunst!

 

Nach Toscas Mord an Scarpia postieren sich alle längst verblichenen, als Geister in Erscheinung tretenden Vergewaltigungsopfer des brutalen Machthabers in Reih und Glied hinter Tosca. Auf ihren weißen, jungfräulich wirkenden Nachthemdchen prangen jeweils große Blutflecke auf Höhe des Schambereichs.

 

Weit entfernt von einem idealisierten Historiendrama nebst Dreiecksgeschichte mit tödlichem Ausgang täuscht diese Inszenierung nicht über eine vermeintliche Thriller-Romantik hinweg. Hier wird so richtig ernst gemacht, was sich auch im finalen Akt gewaltig zu Buche schlägt.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Da nämlich wird Kaufmann von mehreren Salven aus Maschinengewehren durchlöchert, bis die weiße Wand hinter ihm von einem riesengroßen Blutfleck besudelt wird. Nein, diese Inszenierung ist bis auf den friedlichen Moment der Zweisamkeit vor der Kulisse einer italienischen Seenlandschaft, hoffnungslos brutal, beklemmend und albtraumhaft.

 

Jonas Kaufmann, für den die Rolle des verliebten Malers Cavaradossi normalerweise ein absoluter Selbstläufer ist, muss sich in dieser neuen "Handlungsrealität" ebenfalls neu definieren. Das gelingt ihm ausgezeichnet. Als selbstbewusster Künstler, der voller Leidenschaft in seinem filmischen Schaffen aufgeht, versprüht er den schillernden Glanz eines gefeierten Regisseurs, der ganz genau weiß, was er will und es noch dazu versteht, sich gekonnt in Szene zu setzen.

 

Da passen das Alter des Tenors, die Reife der Stimme und die Tiefgründigkeit, die ein jugendlich naiver Cavaradossi nicht ohne Weiteres mitgebracht hätte.

 

Ein wenig geheimnisvoll und höchst attraktiv wirkt die Rolle, in der sich Kaufmann zu 100 Prozent verliert. Auch stimmlich begeistert Jonas Kaufmann mit Strahlkraft und einer emotionalen Tiefe, die ganz besonders in seiner Signature Arie "E lucevan le stelle" zum Ausdruck kommt.

 

Samtsatt und mit eingedunkeltem Klangschmelz berührt hier jeder Ton, jede Note. Alles, was der Tenor an diesem Abend an klangästhetischer Poesie produziert, hat emotionale angereicherte Substanz. Keiner gestaltet diese Arie so beeindruckend intensiv und bewegt insbesondere durch seine konzentrierten, stark saturierten Pianissimi so immens aufwühlend, dass sie einem auch noch lange nach so einer Vorstellung in der Seele nachhallen.

 

Jonas Kaufmann lebt auch diese Neuinterpretation mit Haut und Haaren, versenkt sich kraftvoll und stimmlich charakterstark in jede Facette seiner Rollenpersönlichkeit und überzeugt mit einem baritonalen Timbre, das die Schönheit einer reifen, warmen und vollmundigen Stimme zum Leuchten bringt.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Außergewöhnlich und einfach umwerfend spielt sich auch Eleonora Burrato in die Herzen des Münchner Publikums. Mit viel Überredungskunst und mehreren Anläufen gelang es dem Intendanten der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny,  diese herrliche Stimme für die Rolle der Tosca zu gewinnen.

 

Und dann betritt Eleonora Burrato einfach die Bühne und räumt alles ab, was man darstellerisch und gesanglich so abräumen kann. Hervorragend steht der Sopranistin die Rolle der Tosca zu Gesicht. Grandios verkörpert sie die exzentrische Diva, die viel Herz, aber auch den abgrundtiefen Hass gegen Scarpia vokal und darstellerisch ausspielen kann.

 

Schillernde, lupenreine Höhen, eine Leidenschaft bis zum Mond, herzerwärmend und voller saturierter Klangwellen: Diese Stimme ist betörend, rauschhaft und macht süchtig nach mehr und mehr Tosca.

 

Vielleicht ist die Sopranistin sogar die darstellerisch und gesanglich überzeugendste Interpretin, die aktuell in dieser Rolle glänzt. Dass sie diese noch gar nicht so lange singt, merkt man kein bisschen.

 

Auf den Leib geschneidert scheint sie ganz passgenau zu sitzen! Und auch Ludovic Tézier, der den kalten Sozipaten Scarpia gibt, lässt einen vor Ekel und Abscheu kalte Schauer den Rücken rauf- und runterlaufen. Passiv-aggressiv statt monströs brutal und testosterongesteuert, so abartig anders kann man den Charakter des Bösewichtes ebenfalls interpretieren.

 

Gesanglich eine Meisterklasse für sich, kann man an diesem Abend rein gar nichts aussetzen. Und auch die orchestrale Leidenschaft, die Subtilität der Klangtextur, mit der Andrea Battistoni sein Dirigat führt, zeigt einmal mehr, wie erotisch Puccinis Musik sich elegant aus der Partitur herausschälen kann. Alles steht und fällt mit der Interpretation eines Meisterwerkes - und das auf allen Ebenen. Auch wenn Historienromantik einfacher zu verdauen ist, so erhöht doch die Neuinszenierung den Charakter der Musik und konturiert zudem Schauspiel und Gesang in Perfektion.

 

Musikalische Leitung

Andrea Battistoni

 

Inszenierung

Kornél Mundruczó

 

 

Floria Tosca

Eleonora Buratto

 

Mario Cavaradossi

Jonas Kaufmann

 

Baron Scarpia

Ludovic Tézier

 

 

Cesare Angelotti

Roman Chabaranok

 

Der Mesner

Martin Snell

 

Spoletta

Tansel Akzeybek

 

Sciarrone

Christian Rieger

 

Ein Gefängniswärter

Paweł Horodyski

 

Stimme eines Hirten

Solist(en) des Tölzer Knabenchors

 

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