08. Oktober 2024
Rubrik Oper
©Karen Almond / Met Opera New York
Wein, Weib und Gesang. So oder so ähnlich könnte der Titel von Jaques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" auch lauten, denn fließen tut die Wahrheit aus Weingläsern und geküsst wird von den Musen, derer da vier sind, die über fünf Akte großzügig verteilt werden, nicht zu vergessen Nicklausse, die heimlich verliebt in Hoffmann als Mann verkleidet nicht von seiner Seite weicht.
So weit, so gut! Was die Metropolitan Opera aus diesem meisterhaften Werk, das nicht ganz Oper, aber auch nicht ganz Operette sein will, gemacht hat, übertrifft das Maß ästhetischer Vollkommenheit.
Von Nicole Hacke
Herrlich inszeniert vom Regisseur Bartlett Sher taucht man von Anfang an ein in eine illusorische Welt der Fantasien, nicht wissend, was Wirklichkeit oder Traum ist.
Viel zu fantastisch ist die Welt, die gleich im ersten Akt im Wein ertränkt wird. Hoffmann, der Protagonist wandelt leichtfüßig, da vom Wein beseelt, durch die Erzählungen seiner abenteuerlichen Liebschaften.
Zuerst ist da Stella, die ihn sitzengelassen hat. Deshalb ertränkt Hoffmann auch prompt seinen Liebeskummer in einer Schankwirtschaft, in der er zusammen mit Studenten ausgelassen feiert.
Während die Bühne Schauplatz überbordender Fröhlichkeit ist, leichte Mädels die Beine schwingen und die 20er Jahre ganz gewaltig grüßen lassen, bleibt Hoffman rein kostümisch in einer anderen, eleganteren Epoche stecken, die mehr an die Kaiserzeit erinnert und ihn aus der Masse der quirligen Lebhaftigkeit ernst und als Beobachter der Szenerie herausstechen lässt.
Ist es eine Retrospektive, in der Hoffmann auf sein glückseliges Leben zurückblickt?
In einem langen schwarzen Wollmantel durchkämmt er jedenfalls alle Akte dieser opulent ausgestalteten Oper und durchlebt sein ausschweifendes Liebesleben, dass von vier sehr unterschiedlichen Frauenfiguren bestimmt wird.
©Karen Almond / Met Opera New York
©Karen Almond / Met Opera New York
Nach Stella, die mit der Ouvertüre nur ein kurzes Vorspiel hat, wird sodann Olympia zum Leben erweckt. Kein fleischgewordener Traum, leider! Denn Olympia ist eine Aufziehpuppe, die mechanisch bedient ebenso mechanische Klänge von sich gibt.
Doch Hoffmann, der aus dem Fundus von Coppelius eine magische Brille erwirbt, sieht nur noch rosarote im idealen Licht erscheinende Wirklichkeiten, die ihm den Blick für die Realität verblenden. Und so bemerkt er gar nicht, dass Olympia kein menschliches Wesen ist.
Verliebt wie ein Gockel lauscht er Olympias viel zu perfekten Stimme, die von der Sopranistin Erin Moreley absolut genial interpretiert wird.
Szenisch in ein purpurrotes Zirkuszelt verortet, tritt die puppenhafte Gestalt im rosafarbenen Kleid mit Krönchen in Erscheinung.
Und was für eine Erscheinung Erin Morely doch ist, schafft sie es gekonnt, sich mechanisch wie eine Puppe vorwärtszubewegen.
Aber das ist längst noch nicht alles. Denn ihr Gesang, der in der Koloraturarie: „Les oiseaux dans la charmille“ ausgezeichnet zum Einsatz kommt, macht Lust auf noch mehr Erin Moreley.
Wie die Opernsängerin die Koloraturen nimmt, ihre Töne wie Bälle in die Luft wirft und sie dabei so lässig jongliert, dass einem beim Zuhören fast schon schwindelig wird, ist sensationell.
Wenn es nicht schon eine ausgesprochen athletische Gesangsleistung wäre, so müsste man Erin Moreleys künstlerischen Beitrag zu einer großartigen Zirkusnummer stilisieren.
©Karen Almond / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
Denn wer bitte hat diese exponentiell schwierige Gesangseinlage schon mal in solch überwältigender Perfektion mit so viel Leichtigkeit und Nonchalance erlebt. Ein Salto mortale ist so gut wie ein Klacks dagegen.
Schier beeindruckt von so viel gesanglichem Glamour und einem viel zu kurzen Auftritt dieser charmant wirkenden Sängerpersönlichkeit, erleben wir Hoffmann just im 3. Akt mit seiner Künstlerfreundin Antonia innig beieinandersitzen - und zwar im Haus ihres werten Herrn Papas, der nicht sonderlich begeistert von der Liebschaft seiner Tochter mit diesem "Trunkenbold" Hoffmann ist.
Antonia, die gerne singt, es aber nicht darf, weil ihre Stimme den Vater an die verstorbene Mutter erinnert, leidet "melancholisiert " vor sich hin. Da kommt Hoffmanns Anwesenheit sehr gelegen, um sie aus ihrem lethargischen Zustand zu befreien.
Doch weit gefehlt, schließlich hat das Singen den Tod der Mutter herbeigeführt. Und Antonia wird dasselbe Schicksal ereilen, lässt sie nicht ab von der Musik.
Fast schafft es Hoffmann, seine Geliebte von der musikalischen Abstinenz zu überzeugen, da kommt Doktor Mirakel ins Spiel, der durch eine illusorische List den Tod der jungen Frau herbeiführt.
Noch während sich Antonia in einen ekstatischen Rausch singt, versagt ihr der Atem und sie stirbt auf der Stelle.
Diese Szene, die sehr düster und leidvolle Facetten aufzeigt, wird von der südafrikanischen Sopranistin Pretty Yende ganz famos in beseelte Entrücktheit getaucht - und zwar mit einer ausgesprochen warmgoldenen Stimmversatilität, die alle emotionalen Temperaturen authentisch und mit viel Herz bedient.
Herrlich und zu Tränen rührend ist vor allem ihre ergreifende Arie " „Ma mère, ma mère, son âme m’appelle“.
Der verstorbenen Mutter nachtrauernd, spürt man die Verletzlichkeit einer verwundeten Seele, die nachtblaue Trauer in sich trägt und in vokal melancholischer Schönheit erblüht.
Grandios ist, was Pretty Yende aus der Rolle der Antonia bis zum letzten sich aufbäumenden Atemzug herausholt.
©Karen Almon / Met Opera New York
©Karen Almon / Met Opera New York
Während im letzten Akt und im Epilog das Liebesleben mit der Kurtisane Giulietta in einer rauschenden Ballnacht versinkt, träumt man sich mit der bekannten "Barcarole" in amouröse Zustände.
Belle nuit, ô nuit d’amour“. Wer hat nicht auf diesen Akt hingefiebert. Oh, könnte es doch heißen: Venedig sehen und sterben. So unwirklich schön berührt dieser Schmachtfetzen einer gefühlsduseligen Arie.
Und die hört sich besonders süffig an, wenn zwei Grazien aus Sopran und Mezzo zu einer wundersamen tonalen Einheit verschmelzen. Clémentine Margaine und Vasilisa Berzhanskaya machen ein Fest für die Sinne daraus, lassen die Liebe hochleben und verehren L´amour durch die Anmut beider erotisierend warmen Stimmen.
Tatsächlich fällt die Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya positiv im Pool der virtuosen Sängercast auf. Es ist ihr Debüt an der Met und was soll man sagen:
Auch ihre gesamtheitliche Darbietung ist ein Fest für die Sinne, allen voran ihr schmeichelnd sattes Timbre, dass fluid und biegsam durch sämtliche ihrer Register mäandert.
Aber was wären all die Musen, all die schönen Frauen aus Hoffmanns Erzählungen ohne den leibhaftigen Hoffmann selbst. Benjamin Bernheim, der aktuell beste französische Tenor im französischen Opernfach ist in der gleichnamigen Rolle einfach umwerfend.
Ja, es haut einen um, wenn man dieser glockenklaren, kristallfeinen Stimme lauscht. Betörend, verführerisch, umgarnend: Irgendwie schafft man es nicht, sich von diesem Zauberklang, den irisierenden Höhen, der Strahlkraft dieses Ausnahmekünstlers zu lösen.
Aufsaugen, in sich aufnehmen will man sie, die weichen wogenden und ach so eleganten feinen Linien, die perfekt registerverblendet in den Orbit strahlen, leuchtend hell und mit einem ästhetisch traumhaften Glanz behaftet, dass es einem beim Zuhören vor Gänsehautmomenten wonnig warm den Rücken hinunterläuft.
Bernheim ist ein Meister des französischen Fachs, unübertroffen, unglaublich - ohne Worte!
©Karen Almon / Met Opera New York
©Karen Almon / Met Opera New York
Was kann da ein Dirigat des Italieners Marco Armiliato noch ausrichten? Nun 500 Mal mit dem "Zauberstab" hantiert und just an diesem Abend Magie damit versprüht. So eindrücklich, wahrhaft und märchenhaft können Bilderbuchopern gestaltet werden. Bravo!
Besetzung:
Dirigat:
Marco Armiliato
Regie: Bartlett Sher
Giulietta:
Clémentine Margaine
Four Servants:
Aaron Blake
Olympia:
Erin Moreley
Nicklausse/ Muse:
Vasilisa Berzhanskaya
Four Villains
Christian Van Horn
Antonia/Stella:
Pretty Yende
Hoffmann:
Benjamin Bernheim
Weitere Termine von Benjamin Bernheim auf www.operabase.com