Anna Netrebko kam, sang und siegte beim Senkrechtstarter Nabucco in der Staatsoper Unter den Linden

07. Oktober 2024

Rubrik Oper

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Da kann man schon mal in Ohnmacht fallen, wenn Anna Netrebko in einer Neuinszenierung von Verdis Nabucco an der Staatsoper Unter den Linden ein königlich rauschhaftes Fest mit allen Sinnen abfeiert.

 

Leider, muss man mit Bedauern und Anteilnahme für diejenige welche bemerken, der diese furchtbare Unpässlichkeit widerfahren ist. Schließlich singt die absolute Königin des Sopranfachs eine so bedingungslos umwerfende Abigaille, dass einem vor ungläubigem Staunen Hören und Sehen buchstäblich vergeht. 

 

Von Nicole Hacke

 

Ja,  man muss dabei sein, um zu verstehen, welch herausfordernden Charakter die Superheldin des Sopranfachs auf der Bühne darzubieten vermag. 

 

Dass die Inszenierung dabei etwas in den Hintergrund des Geschehens rückt, spielt nur eine sekundäre Rolle, versteht sich aber irgendwie auch von selbst, da eine flächendeckende Ausnutzung des Bühnenraumes einer senkrechten "Hochstapelei" weicht. 

 

Geschickt eingefädelt, muss man sagen, denn Nabucco ist Verdis absolutes Chorwerk, das nicht nur sehr viel klanglichen Raum, sondern insbesondere horizontale Weite verlangt. Wo sollten ansonsten bloß all die Menschen untergebracht werden? Wie schafft man es die Hauptakteure nicht in dem Gewusel eines großen Chores untergehen zu sehen?

 

Zwar befinden wir uns im Krieg und ein chaotisches Gewusel auf der Bühne wäre grundsätzlich keine schlechte Idee. Dennoch verlangt dieses Mammutwerk des italienischen Meisters Verdi nach etwas strukturierter Übersichtlichkeit, die in diesem Fall von der Regisseurin Emma Dante in einem güldenen Bienenwabenkonstrukt im Hochbau realisiert worden ist.

 

Und so bleibt der Chor in geschützten wabenähnlichen Parzellen außer Reichweite der kriegerischen Auseinandersetzungen, die massakrierend- zwar lediglich angedeutet, aber dennoch ausartungsintensiv zur Schau getragen werden.

 

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Inszenatorisch perfekt visualisiert, steigert sich das kriegerische Entsetzen in eine Art Blutrausch, der symbolisch durch rote Akzente in Kostümen und Bühnenbild zum Einsatz kommt.

 

Mit Pistolen, die stets in die Luft gehalten werden, immer am Abzug und damit am Anschlag des Fürchterlichen, nimmt das Grauen vom ersten Akt Gestalt an.

 

Und Anna Netrebko befindet sich mittendrin im Geschehen, dringt ein in den reinen Tempel des Friedens, stört dessen Ruhe und provoziert lasziv-aggressiv in einem jungfräulichen Kleid, das  durch eine blutrote Spitzenmaske entweiht wird.

 

So wirkt die vermeintliche Tochter des Königs wie eine Domina, die für Qual, Schmerzen und abgründiges Leid steht. Spaß macht es der Opernsängerin, Angst und Schrecken zu verbreiten, mit der Pistole auf ein verängstigtes Volk zu halten. Ja, Frau Netrebko hält alles und alle in Schach.

 

Die böse Herrscherin steht ihr prächtig, genauso wie das goldene Prachtkleid aus dem dritten Aufzug, das sich von hinten wie ein Pfauenfächer aufspannen lässt und Abigailles brutale Machtherrschaft über das unterdrückte Volk ins unermesslich Glorifizierende aufbauscht.

 

Mit den gefühlt Abertausenden Blumenarrangements im bienenstockähnlichen Gerüst wirkt die Ausnahmesängerin fast wie eine unsterbliche Bienenkönigin, die ihre Arbeiterbienen bis in den bitteren Tod auf das Brutalste ausbeutet.

 

Das farbenprächtige, unglaublich ästhetische Bild ist wie gemalt und begeistert auch das Publikum, das ungeachtet der musizierenden Instrumentalisten mitten hinein in die laufende Vorstellung applausstarke Salven auf die Bühne abfeuert.

 

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Doch noch viel eindrücklicher, verzaubernder und ohnmächtig stimmender ist der reine, liebliche und entrückt sphärische Gesang der Anna Netrebko im 2. Aufzug. Welch unfassbare Magie sich plötzlich im Auditorium lauffeuerartig verbreitet. 

 

Anna Netrebko verliert sich in ihrer Arie hoffnungslos, wird mild, weich und mäandert mit honigsatter Textur in die orbitalsten Höhen.

 

Wo um Himmelswillen nimmt diese Frau nur diese Töne her? Wo entschweben sie ihr so leicht und duftig, so balsamisch warm und anschmiegsam, dass man sich fallen lassen möchte in den Geborgenheit vermittelnden, samtig warmen Klang hinein?

 

Tief hinab in das Seelenleben der Abigaille durchdringt man scheinbar auch die inneren Emotionsschichten der Anna Netrebko mit Leichtigkeit.

 

Die Sängerin lässt es zu, dass man sich in ihrer seelischen Nacktheit baden kann. Es ist einer dieser höchst intensiven und spannungsreichen "Wow-Momente", die einen innerlich ganz still und fast schon demütig werden lassen.

 

Nur eine fallende Stecknadel könnte die Magie der atemlosen Stille brüsk unterbinden.

 

Und dann erst diese Registerakrobatik, mit der sich Anna Netrebko in oktavenreichen Kaskaden in der Sekunde aus der tiefen Mittellage in die exponiertesten Höhen explosionsartig katapultiert. Umgekehrt funktioniert diese technische Endlosschleife aus registerreichen Salti mortale natürlich auch.

 

Genau das ist der absolute Wahnsinn, eine extrem schwierige, melodisch schwer fassbare Gesangspartie so athletisch meisterhaft darzubieten, noch dazu mit einer tonalen Zerbrechlichkeit, aus der sich farbenreiche Nuancierungen herausbilden, von denen man kaum glauben kann, dass sie tatsächlich existieren. Einfach umwerfend und atemberaubend schön.

 

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Und so ist nach dieser Arie nichts mehr wie zuvor.  Die Stimmung im Auditorium hat sich urplötzlich verändert. Sie ist auf einmal positiv aufgeladen ob der anfänglich spürbaren Zurückhaltung gegenüber der Neuinszenierung.

 

Was folgt, ist ein warmer Regen aus Applausergüssen, gefolgt von Bravo-Rufen und der Bitte nach einem "Encore".

 

"Anna, noch einmal", klingt es aus dem Publikum. Und Anna Netrebko steht inmitten der Bühne mutterseelenallein und wirkt wie ein kleines, unschuldiges Mädchen, das ganz gefasst, vielleicht sogar gerührt nicht wagt, aus ihrer Rolle herauszuschlüpfen, obgleich sie ganz fest im Klammergriff des stürmischen Applauses gefangen gehalten wird.

 

Ruhig der Dinge ausharrend und mit leicht gesenktem Haupt bricht sich die Souveränität der Netrebko immer mehr und immer stärker Bahn. Es geht weiter, ohne Encore - und wie!

 

Schließlich packt einen auch der sensationelle Auftritt des italienischen Baritons Luca Salsi, der wie gemacht für die Interpretation des Nabucco scheint.

 

Mit sonorem Klangvolumen, ausufernd saturiert und "verdiesque " und einem äußerst überzeugenden Schauspiel liefert sich Luca Salsi einen besonders aufregenden und spannenden Schlagabtausch mit seiner Gesangspartnerin Anna Netrebko.

 

Im Eifer des Gefechts, streitsüchtig und aggressiv schrauben sich die beiden Spitzensänger miteinander in das wohl höchste aller darstellerischen und gesanglichen Gefühle.

 

Es funkt böse Blitze zwischen den beiden. Es elektrisiert, befeuert die Handlung, treibt sie voran und an. Aber vor allem halten Netrebko und Salsi zu jeder Zeit ihr Publikum in Schach. Schach matt!

 

Oh ja. Es ist ein Vergnügen, den beiden Protagonisten dabei zuzuschauen, wie sie einander zu bedingungsloser Höchstleistung anstacheln.  

 

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Und auch der Finne Mika Kares beeindruckt als Zaccaria mit enorm ausdrucksstarkem Bass. Herrlich, wie sonor raumgreifend es voluminös in das Auditorium dringt, ganz zu schweigen von dem schauspielerischen Vermögen, das keinerlei  Überzeugungskraft bedarf.

 

Lediglich der Gefangenenchor schlägt an diesem Abend künstlerisch etwas ab vom Feld, wohl auch, weil sämtliche Protagonisten dieser Inszenierung so dermaßen stark, präsent und vordergründig agieren können, wie es dem Chor aufgrund seines Parzellendaseins in Wabenstruktur leider nicht gestattet ist.

 

An der Stelle schlägt tatsächlich die Statik der Inszenierung negativ zu Buche, was wiederum durch ein elegantes und agiles Dirigat des Franzosen Bertrand de Billy ausbalanciert wird.

 

Wie schön, dass bei so viel Krieg und Unruhen auf der Welt, inklusive der nicht nennenswerten Proteste vor den erlauchten Eingängen des Musentempels, sich die Kunst während der heutigen Vorstellung ihre Freiheit ersungen hat - und zwar so was von!

 

 

Giuseppe Verdi

 

Dauer: ca. 2:40 h inklusive einer Pause

 

BESETZUNG

 

Musikalische Leitung:

Bertrand de Billy

 

Inszenierung:

Emma Dante

 

Nabucco:

Luca Salsi

 

Ismaele:

Ivan Magrì

 

Abigaille:

Anna Netrebko

 

Fenena:

Marina Prudenskaya

 

Zaccaria:

Mika Kares

 

Weitere Termine von Anna Netrebko auf www.operabase.de

 

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