14. Dezember 2023
Rubrik Konzert
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
Von der Liebe und dem Meer: Mit dem romantisch-melancholischen Liedzyklus Poème de l’amour et de la mer" von Ernest Chausson entführt die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva zusammen mit dem Chefdirigenten der Royal Liverpool Philharmonic Hall, Domingo Hindoyan, das englische Publikum an diesem Abend auf eine zutiefst poetische Tonreise.
Von Nicole Hacke
Doch zuvor erklingt Richard Wagners Prélude und Liebestod aus der Oper "Tristan und Isolde". Mit kontrollierter Hand, die den Taktstock mit sanfter Geschmeidigkeit führt, erzeugt der aus Venezuela stammende Dirigent vom ersten Moment an ein zart schimmerndes Klanggewebe, das sich feinporig aus dem Nichts in immer dichter werdenden Klangwaben spannungsgeladen und hoch elektrisierend in einer dynamisch rauschhaften Klimax entlädt.
Wagners tonpoetischer "Wahnsinn" lässt einen nicht los. Man fühlt sich transzendierend in überhöhten Gefühlszuständen gefangen genommen und von einem leisen Sog mitgerissen, der einen willenlos hinfort treibt in einen undefinierbar irrealen Seinszustand.
Dass man dabei seinen Verstand nicht verliert, ist erstaunlich, denn Wagners Musik kann, wenn sie denn überdosiert genossen wird, verrückt machen.
Nicht verrückt, sondern ganz Herr über das musikalische Werk Wagners, scheint Domingo Hindoyan zu sein, obgleich auch er sich immer mehr im irisierenden Klang des Orchesters aufzulösen scheint.
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
Fein, elegant und mit äußerster Sensibilität gleitet sein Taktstock weich und dennoch ausdrucksvoll über die Instrumentalisten - mit einer lässigen Unaufdringlichkeit - bei der sich der Klangzauber vollends entfalten kann.
Nichts kann diesen Moment stören. Es ist, als ob die Zeit im Fluss der Gegenwart stehenbleibt. Anfang und Ende existieren nicht, zumindest nicht in Wagners Tonschöpfungen.
Irgendwann dann, nach einer halben Ewigkeit, die Zeit und Raum redundant macht, löst man sich erleichtert vom in sich zerfließenden Schlussakkord auf - überrascht, dass man aus der musikalischen Parallelwelt entstiegen und in der Realität wieder angekommen ist. Nun hat sie einen doch noch losgelassen, diese wahnsinnig schöne Musik.
Zögerlich lässt man die nun folgende kurze Pause sacken, absorbiert die stille Leere um einen herum und wartet auf den Moment, in dem Sonya Yoncheva vom untermalenden Applaus die Bühne betritt. Noch ahnt man nicht, welch Perle der Liedschöpfung sie da aus den Untiefen des Meeres ausgegraben hat.
Die Kompositionen Chaussons sind wahrlich ein exquisiter Genuss verzaubernder Poesie, vorgetragen von einer Künstlerin, die sich abgrundtief fallen lässt in eine Welt traumverlorener Melancholie.
Welch Zauber umfängt den Zuhörer, der sich an diesem Abend glücklich schätzen kann, live im Konzertsaal dabei sein zu dürfen.
Sonya Yoncheva betört, verzaubert und bestückt die vertonten Liebesgedichte von Maurice Bouchor mit ihrer lyrisch perlmuttfarbenen Stimme, die in den tieferen Registern warmhölzern weibliche Nuancen offenlegt.
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
Obgleich manch exponierte Obertöne leicht flackern und Vibrato-lastig anmuten, so überzeugt die bulgarische Sopranistin mit ihrer samtweichen Mittellage. Anmutig fließen die Töne, satt und rund, warmgolden und von einer champagnerperlenden Textur in das Auditorium. Ihre Stimme hat Kraft, Volumen und Saturation.
Doch viel angetaner ist man von den leisen, zärtelnden Tönen, die frei und duftig ein irisierendes Klangerlebnis bilden.
Fast hat man das Gefühl Sonya Yoncheva würde jeden ihrer Töne liebevoll streicheln. So viel Zartheit und zerbrechliche Verve liegen darin, dass man sich sehr in eine Klangdecke eingehüllt und liebkost fühlt.
Das absolut musikalische Sahnehäubchen ist jedoch Yonchevas sehr eindringliche Interpretation von Antonín Dvořáks Arie der Rusalka "An den Mond". Im tschechischen Originalduktus vorgetragen, merkt man sofort, dass die Sopranistin nicht nur sprachlich, sondern auch musikalisch in der Welt des slavischen Lokalkolorits beheimatet ist.
Diese Arie geht ihr zuckersüß von den Lippen. Elegante Legato-Linien, ein sirenengleicher Klang der mondsüchtig macht. Ein Meer aus pastellfarbenen Tönen, die sich in verführerische Farbfacetten aufspalten. Was kann man sich von einer Sopranistin an diesem Abend wohl noch wünschen?
Wunschlos glücklich ist man, nachdem dieses gesangsintensive Intermezzo beendet ist.
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
Doch wirklich zu Ende ist noch gar nichts. Es fehlt Antonín Dvořáks Symphony No. 8 in G Major, Op. 88, die mit Esprit und eleganter Raffinesse vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra interpretiert wird.
Und noch einmal kann Domingo Hindoyan zeigen, welch zauberhafte Kunststücke er aus seinem Taktstock produzieren kann. Mit dem "Allegro con brio" wird es sofort verspielt. Hinfort sind die ekstatischen Eruptionen, die noch mit Wagners ätherischer Musik den Saal in einen überirdischen Rausch versetzt haben.
Bodenständiger und volkstümlicher wird es nun mit Dvořák. Es bildet sich ein absolut reicher Klangteppich aus Vogelgezwitscher und wehmütiger Walzerklänge, so leichtfüßig, salopp und mit schwungvollem Elan auf die Bühne gebracht, dass man versucht ist, eine Sohle aufs Parkett zu legen.
Was für ein impressionistischer Konzertgenuss, der die Brücke zwischen Wagners romantischer Verklärtheit und der poetischen Klangtextur Chaussons gekonnt miteinander vereint.
©Medici TV - Royal Liverpool Philharmonic Hall / Sonya Yoncheva
Programm:
Richard Wagner, Tristan und Isolde, WWV 90
I: Vorspiel (Prelude)
III, 3: "Mild und leise wie er lächelt" (Liebestod)
Ernest Chausson, "Poème de l’amour et de la mer"
1. La Fleur des eaux. Calme
Interlude
2. La Mort de l'amour. Vif et joyeux
Antonín Dvořák, Rusalka, Op. 114, B. 203
"Mĕsičku na nebi hlubokém" (Song to the Moon)
Antonín Dvořák, Symphony No. 8 in G Major, Op. 88
1. Allegro con brio
2. Adagio
3. Allegretto grazioso
4. Finale: Allegro ma non troppo
Dirigat: Domingo Hindoyan
Sopranistin: Sonya Yoncheva
Orchester: Royal Liverpool Philharmonic Orchestra
Verfügbar auf Medici TV seit Dienstag, 5. Dezember 2023
Konzertdauer: 1 Stunde 41 Minuten
Waltraud Becker (Donnerstag, 14 Dezember 2023 22:27)
SO KANN ES KOMMEN; WENN EIN LIEBENDES pAAR AUF DER BÜHNE ZUSAMMEN AGIERT!!!