03. Juli 2023
Rubrik Konzert
©ORF / Hans Leitner
Wenn der Herrgott nicht will, geht mal wieder gar nichts, auch dann nicht, wenn himmelhochjauchzende Walzerseligkeit in der sommerlich warmen Luft liegt. Just im zweiten Anlauf, ein Jahr nach der erstmaligen Prater-Picknick-Eröffnungssaison, die mit Nikola Hillebrand und Daniel Schmutzhard einen fulminanten Erfolg feierte, lässt sich der Wettergott auch dieses Jahr leider nicht erbarmen.
Tatsächlich lässt er Sängerinterpreten und Zuschauer, die sich auf ein romantisches Picknickdecken-Stelldichein gefreut hatten, einfach kalt im Regen stehen.
Doch die Wiener lassen sich das nicht noch mal und auch nicht so einfach bieten. Trotz Regensuppe und Schlechtwetterwarnung findet das feucht-fröhliche Dreivierteltakt-Vergnügen inklusive Regen und Wind dennoch statt. Stoisch harren die neugierigen Musikfans der Dinge und bleiben solange im Regen stehen, bis die Stars des Abends sich zwar nicht in festlicher Garderobe, aber immerhin ganz leger auf der Bühne blicken und sich trotz ungemütlicher Wetterlage zu ein paar musikalischen Einlagen hinreißen lassen.
Dass der Abend dennoch unvergesslich bleibt, daran hat, man mag es glauben oder nicht, das unberechenbare Wetter großen Anteil. Und genau diese Volatilität macht oftmals auch das Faszinosum konzertanter Veranstaltungen unter freiem Himmel aus.
Was hingegen die Zuschauer vor den Fernsehbildschirmen nicht wissen: Die Generalprobe, die am Vortag bereits aufgezeichnet wurde, zeigt den Veranstaltungsort selbstverständlich von seiner sommerlich besten Seite. Da war das Wetter den Künstlern und Zuschauern auch noch gnädig.
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
Doch wenn man es ganz genau nimmt, hätte es das auch noch einen Tag später sein dürfen, denn die musikalischen Genüsse, so zuckersüß und süffig satt, hätten wirklich jeden miesepetrigen Regentropfen versöhnlich stimmen müssen.
Dirk Kaftan, der gut gelaunt noch während der regenfreien Generalprobe mit Reinhard Summerers "Wiener Prater" Ouvertüre forsch-dynamische Klänge in den lauen Sommerabend zaubert, überaus schwungvoll und mit explosivem Elan, stimmt seine Zuhörer auf der Kaiserwiese taktstockversiert auf einen vergnüglichen, äußerst rhythmusintensiven Abend ein.
Mit stimmungsvollen Walzermelodien, heurigenseligen Wiener Liedern und einer großen Portion Herz-Schmerz-Schmelz kommt man nicht umhin, ganz verstohlen unterm Couchtisch seinen Fuß im Takt mitwippen zu lassen.
Leicht und mühelos gehen einem die bekannten, ohrwurmlastigen Melodien in den Gehörgang. Ja, ja! Im Prater blühen wieder die Bäume, so prächtig und majestätisch wie einst zur Kaiserzeit.
Schwelgend und ein wenig der Zeit entrückt, verliert man sich in nostalgischen Erinnerungen, träumt von vielen herrlichen Open-Air-Veranstaltungen unterm Sternenzelt und hofft, dass dieser Abend die Lust samt Laune auf noch mehr Picknickdecken-Feeling schürt.
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
Mit den jungen Stars der Opernszene, Vera-Lotte Boecker und Rafael Fingerlos gelingt sogar mein imaginärer Transfer vom Fernsehbildschirm auf die Picknickdecke, denn das Träumen überwindet Grenzen genau dort, wo die Musik zweier grandioser Sängerinterpreten eine Brücke schlägt.
Und so finden sich Sopran und Bariton zu einem musikalischen Stelldichein in der einzigen Stadt der Träume ein. "Wien, Wien, nur du allein", singen beide wie beseelt und aus ganzem Herzen mit ausdauernd legatointensiver Linienführung.
Vera-Lotte Boecker stellt dabei ihren gaumenrunden, reifen Sopran unter Beweis, der je nach Tonlage zwischen warmhölzernen, honiggoldenen und samtweich schimmernden Klangfacetten changiert. In den exponierten Höhen von kristallklarer, feiner und extrem zarter Eleganz offenbart sich in der Mittellage ein durch und durch sonores Vokalinstrument, das überraschenderweise an eine raumgreifende Altstimme erinnert.
Und so klingt es denn auch bestechend schön, selten und exotisch, wenn die junge Sopranistin ihr eingedunkeltes Timbre mit zartem Vibrato ins Publikum absetzt.
Ebenso verführerisch, elegant und absolut schnörkellos singt sich auch Rafael Fingerlos in mein austrophiles Herz.
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
Dialektisch versiert und mit einer gehörigen Portion humoristischem Esprit erobert sich der österreichische Bariton mit dem zackigen Marsch "Heut' kommen d'Engerln auf Urlaub nach Wean" singend die Picknick-Wiese.
Schwer fällt es nicht, dem komödiantischen Sänger bei seiner ausgesprochen präsenten Darbietung zu lauschen. Warmgolden und mit einem Klangschmelz zum wahrhaften Dahinschmelzen genießt man die stimmlichen Verführungen, die zwar durchaus baritonaler Natur sind, aber dennoch ein äußerst leichtes, perlendes und erfrischend pastelliges Stimmbouquet aufweisen.
Mutmaßend, das "wein-, weib- und gesangslastige" Musikprogramm könnte sich in Dauerschleife durch den Abend ziehen, macht es tatsächlich die genreübergreifende Mischung, die nicht nur den Walzerkönig Johann Strauss aufs Programm setzt, sondern auch die Swing-Klassiker eines Georg Gershwins und Cole Porters.
Und so können die Stars der Opernmanege auch mal zeigen, wie man es stimmlich macht, wenn es heißt "Let´s do it". Und dass man mit "Summertime" beim Publikum punkten kann, zeigt sich ganz offensichtlich in der formschönen Interpretation von Vera-Lotte Boecker.
Nur einer passte irgendwie nicht so ganz ins Programm, obgleich der Hit, den John Lennon mit "Imagine" seinerzeit gelandet hat, nach wie vor ein unverwechselbar grandioses Meisterwerk der Popularmusik ist.
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
©ORF / Hans Leitner
Nur klingt es mit einem ausgebildeten klassischen Vokalinstrument befremdlich und andersartiger als mit einer rockröhrenden "Normalo-Stimme". Aber wenn das der einzige Wermutstropfen ist, dann hat Wien mit seinem Prater-Picknick doch alles richtig gemacht.
Zwei Herzen im Dreivierteltakt hat diesmal nicht der Mai, sondern das Wiener Prater Picknick zusammengebracht. Zur Eröffnung des Wiener Kultursommers lassen es sich die Wiener Philharmoniker mit ihren zwei Solisten Nikola Hillebrand und Daniel Schmutzhard...