26. Juli 2023
Rubrik Konzert
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Es war nicht vorauszuahnen und wirklich keiner konnte damit rechnen, dass der Liederabend mit Jonas Kaufmann regelrecht ins Wasser fallen würde.
Noch nicht ganz gesundet, zwar gesanglich wieder auf der Höhe, aber dennoch angeschlagen von den Antibiotika, die des Tenors Stimmbänder von dem multiresistenten Virus befreien sollten, musste der deutsch-österreichische Sänger sein Festspielkonzert an der Bayerischen Staatsoper mit Bedauern kurzfristig absagen.
Dass an seiner statt der polnische Tenor Piotr Beczala ganz salopp für den Kollegen in die Bresche springen würde, kam als überraschender Schachzug und erfreute nicht nur mich, sondern auch ein besonders begeisterungsstarkes Publikum.
Schon beim Betreten der Bühne kassierte der Spitzentenor einen überbordend donnernden Applaus ein, der sich aus einer dankbarkeitsbekundenden Euphorie speiste und eine überschäumende Freude zutage treten ließ, die fast schon etwas Legendäres an sich hatte.
Schließlich sprang nicht irgendwer für Herrn Kaufmann ein, sondern ein ebenbürtiger Ersatzmann der tenoralen Zunft und das noch dazu mit einem sehr exotischen Liedrepertoire:
Anstatt des deutschen Fachs gab der Ausnahmekünstler mit stentoraler Strahlkraft Lieder von Rachmaninow, Tschaikowski und Karlowicz zum Besten und statuierte ein kontrastreiches Exempel, das zwar im ersten Moment bei den gespannten Zuhörern eine gewisse Skepsis hervorrief, sich aber relativ schnell ganz wohlgefällig wieder in Luft auflöste.
Denn was sich durch die slawische Seele in die Herzen des Publikums lavierte, waren besonders zauberhafte Melodien, die von irisierender Klangdichte und melancholisch verdichteten Facetten zeugten und somit besonders intensive nostalgische Gefühle aufkommen ließen.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Mit duftiger Leichtigkeit, einem samtigen Timbre und kristallklaren Höhen überzeugte Piotr Beczala, auch wenn die Lieder von Mieczyslaw Karlowicz, Pjotr Tschaikowski und Serge Rachmaninov dem rein poetischen Verständnis aufgrund des Publikums sprachlichen Unvermögens leider entbehren mussten.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb verstand es der polnische Tenor mit großem Gefühl tief in das Seelenreich der russischen, polnischen und tschechischen Liedkompositionen blicken zu lassen. Außergewöhnlich selten dargeboten, stellten die tonalen Perlen einen absoluten und bereichernden Hörgenuss dar.
Was wollte man auch mehr, wenn man mit so selten schönen Liedstücken vokal auf das Beste verwöhnt wurde. Dass dieser Abend mit der heißen Nadel gestrickt war und auch ein Helmut Deutsch am Klavier noch wenige Stunden zuvor mental auf deutsches Liedgut getrimmt war, merkte man ihm absolut nicht an.
Souverän und mit flexibler Fingerfertigkeit gelangen die kompliziertesten und schnellsten Läufe, verwoben sich Übergänge nahtlos zu harmonisch saturierten Einheiten.
Schnell war raus, dass Tenor und Liedbegleiter ein eingespieltes Team waren und sich in Adrenalinschüben perfektionistisch in einen Rausch sphärischer Klangwelten schaukelten.
Dass aber so eine kurzfristige Programmänderung samt Auswechslung des Tenors auch Risiken barg, konnte auch das musikalisch versierte Gespann nicht verhindern.
Und so kam es, wie es eben manchmal auf der Bühne kommen muss, dass plötzlich etwas ganz Wesentliches fehlt.
Wo waren bloß die Noten für das letzte Tschaikowski-Lied abgeblieben?
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Genau das fragte sich die junge Dame, die Herrn Deutsch beim Umblättern der Partiturseiten so geflissentlich beistand. Doch nun gab es nichts mehr zu blättern.
Aus die Maus! Plötzliche Stille machte sich breit. Aber dann, wie vom Blitz geölt, sprang es auf, das junge Küken, rannte flugs von der Bühne und kam im Eiltempo geradewegs mit den fehlenden Noten zurück an ihren Platz.
Leises Aufatmen und einige Lacher durchdrangen das Auditorium. Und auch ein Piotr Beczala konnte sich ein augenzwinkerndes Lachen nicht verkneifen. Zu komisch aber auch war der Moment der inszeniert wirkenden Imperfektion.
Dann aber ging es hürdenfrei weiter zum letzten Programmteil mit wundersamen, frühlingshaften Weisen von Serge Rachmaninow.
Perlend rein und kristallklar wie ein Gebirgsbächlein plätscherten die vokalen Ergüsse in rauschhafte Höhen und gesättigte Tiefen. Herrlich die gaumenrunde Klangfarbe in Beczalas saturierten Mittellage.
Was für ein Abend! Und dann noch das Zugaben-Dessert, bestehend aus vier Schmankerln, an denen man sich einfach kaum satthören wollte.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Und als dann zu guter Letzt noch der Operetten-Klassiker Lehárs "Dein ist mein ganzes Herz" aus dem Munde des Tenors erklang, ward es tatsächlich und endgültig um das enthusiasmierte Publikum geschehen. Kein Wunder, denn der strahlende Opernsänger interpretiert die leichte Muse einfach wie kein anderer Tenor seines Fachs.
Und so kam Piotr Beczala, sang und siegte auf ganzer Linie. Das Publikum war jedenfalls kaum im Zaum zu halten, so stark prasselte der Applausregen auf den freudig erregten Tenorhelden des Abends ein.