09. Februar 2023
Rubrik Konzert
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners Opernmarathon, verbaut in einem vierteiligen Opernzyklus, erlebt heute Abend die Aufführung des dritten Teils "Siegfried" in einer konzertanten Version, die nicht etwa auf dem grünen Hügel in Bayreuth, sondern in der Hamburger Elbphilharmonie zelebriert wird.
Ganze vier Stunden - ohne szenische Unterfütterung - liegt der Fokus exklusiv auf der musikstilistischen Ausgestaltung und Interpretation der sagenhaften Geschichte, die sich, ähnlich wie in J.R. Tolkiens dystopischer Weltuntergangstrilogie "Herr der Ringe", um einen Ring mit magischen Kräften dreht.
Wer in seinen Besitz kommt, erlangt die Weltherrschaft. Das lassen sich Wagners machtsüchtige Geschöpfe natürlich nicht zweimal sagen und jagen dem Ring bis fast zum bitteren Ende hinterher.
Doch ein "reiner Tor" namens Siegfried vereitelt das böse Spiel um die weltzerstörerische Macht der Eliten durch die Kraft seiner selbstlosen Liebe. Ende gut, alles gut.
Und dass es wirklich außerordentlich gut wird, dafür sorgen bereits die Sängerdarsteller, allen voran Simon O´Neill als Siegfried, Peter Hoare als Mime, Michael Volle als Wotan, Georg Nigl als Alberich, Anja Kampe als Brünnhilde und Danae Kontora als Waldvogel.
Noch dazu unter der musikalischen Leitung von Sir Simon Rattle, dem dieser durchaus ungewöhnliche Versuch, den "Siegfried" konzertant auf die Bühne zu bringen, erfolgreich gelingt.
Abwegig erscheint die Idee vielleicht noch im ersten Moment. Doch bereits mit den ersten Akkorden, die sich aus dem Orchester herauskristallisieren, erlebt der Zuhörer ein uneingeschränktes Hörerlebnis, das sich nur noch auf Wagners Tonmalerei und die stark ausgeprägte leitmotivische Opulenz des Werkes fokussiert.
Immerhin hat Wagner bis zu 270 Motive im ganzen Ring verarbeitet. Und wer mit so vielen Motiven aufwarten kann, der kann auch locker die grundsätzlich dazugehörige Inszenierung entbehren.
Wagners "Siegfried" spricht an diesem Abend nicht nur für sich, er lässt tatsächlich Bilder vor dem inneren Auge entstehen.
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
Und was dem Zuhörer an szenischen Raffinessen an diesem Abend abgehen mag, machen die Sängerdarsteller mit ihrem interpretatorischen Geschick und ihrer gesanglichen Kontur ganz meisterlich wieder wett.
So nimmt der britische Tenor Peter Hoare gleich zu Beginn des ersten Aufzuges seine Rolle als Schmied Mime so ernst, dass er denn zugleich auch den Amboss spielt. Im Takt der Musik haut er mit seinen zwei Hämmerchen auf ein Metallstück, sodass es im großen Saal der Elbphilharmonie wie in einer kleinen Schmiedewerkstatt rhythmisch tönt.
Das Publikum muss seine Fantasie kaum noch bemühen, denn die gesangliche Expressivität, mit der Hoarse den mürrischen Schmied gibt, darf jeglicher Vorstellungskraft entbehren.
Mit List und tückischem Eifer, den Ring an sich zu reißen, koste es, was es wolle, vertieft sich auch der Bariton Georg Nigl rollenintensiv und gesanglich facettenreich in die Figur des Alberich.
Grausam, gehässig und böse und dabei so scharf wie die Klinge eines Messers durchschneidet Nigls Vokalinstrument den akustischen Raum. Die Stimme ein Präzisionsinstrument, mit dem der österreichische Bariton scheinbar machen kann, was er will.
Mal tragen die Töne strahlend in das Auditorium, mal bricht der Ton absichtlich und offenbart dabei eine vokale Fratze, die der Hässlichkeit des Charakters besonderen Ausdruck verleiht.
Wütend bricht es immer wieder an gegebener Stelle stimmgewaltig aus emotionalen Tiefen an die Oberfläche, zwar kontrolliert, aber dennoch mit einer kondensierten Intensität und teils eruptiven Wucht, dass man nicht nur gebannt zuhört, sondern dem Interpreten dabei auch zusehen muss.
Und was das Laute, Aufbegehrende anbelangt, so beherrscht der Mann mit seinem multifacettierten Vokalinstrument ganz besonders auch die leisen Töne, die an diesem Abend gefährlich züngelnd an das Ohr dringen.
Wenn Georg Nigl singt, ist es manchmal unerträglich intensiv, schonungslos absolut, aber immer aufregend und anregend.
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
Auch Michael Volle begeistert als Wotan, der sich ebenfalls den Ring unter den Nagel reißen will. Mächtig durchdringt das voluminöse Kraftpaket eines ozeanisch tiefen Baritons schier unangestrengt den letzten Winkel des großen Saales.
Sonor trägt die Stimme weit über das Orchester hinaus, auch an den tonal gewaltigen Höhepunkten. Im Dialog mit Erda, die von Gerhild Romberger gesungen wird, zeigt sich Michael Volle in seiner goldenen Mitte ruhig, kraftvoll und von einer triumphalen Strahlkraft, bei der man gebannt an den Lippen des Sängerinterpreten hängen bleibt.
Gerhild Romberger verzaubert dabei mit ihrer eindrucksvollen honigsatten Mittellage und einer profunden, farbenreichen und saturierten Tiefe, aus der es gaumenrund in das Auditorium strömt.
Während Siegfried alias Simon O´Neill den stimmlichen Löwenanteil des Abends stemmen muss, macht sich ein Waldvögelchen namens Danae Kontora mit ihrem leuchtend hellen Sopran aus dem 15. Rang bemerkbar. Es trällert und zwitschert koloraturreich, perlend leicht und duftig zart in den bienenstockartigen Bau.
Auch wenn diese Rolle klein und vielleicht nicht der Rede wert ist, so hinterlässt die griechische Sängerin mitsamt ihrem liebreizenden Erscheinungsbild einen bleibend erfrischenden und federleichten Eindruck, der im Zusammenwirken mit der orchestralen Untermalung nahezu eine waldatmosphärische Verschmelzung erlebt.
Im letzten Aufzug geben sich Siegfried und Brünnhilde einen harmonisch ausgewogenen Schlagabtausch. Lyrisch und mit heroischer Strahlkraft durchsetzt, erlebt man insbesondere die Sopranistin Anja Kampe in einer Rolle, die ihr wie auf den Leib geschneidert scheint.
Strahlend strömt die Stimme von Phrase zu Phrase, ruhig mäandernd hinauf in die kraftvollen Höhen. Völlig frei fliegen die Spitzentöne, schimmern für Millisekunden im Raum, bevor sie verblassen. Herrlich, wie Anja Kampe - weich und samtzartklingend - auch das Stentorale in der Stimme mit heroischem Glanz ins Publikum transportieren kann.
Die emotionale Vielschichtigkeit kommt dabei keinesfalls zu kurz. Und auch Simon O´Neill schafft es, sein Publikum mit seinem eleganten Tenor zu verzaubern, der sehr jung und dynamisch klingt - und vor allem nach drei Stunden eines Wagner-Marathons immer noch unangestrengt und frisch wirkt.
Keine Spur an Müdigkeit ist dem Tenor anzumerken, obgleich die anspruchsvolle Partie gesangstechnisch mittlerweile auslaugend sein muss.
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
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Und so singt er sich zusammen mit Anja Kampe im letzten Aufzug in einen wahrhaft liebestaumendeln Rausch der Gefühle.
Geschichtenerzählerisch ausgestaltet verzaubert das Dirigat des Briten Sir Simon Rattle an diesem Abend auf ganzer Linie. Elegant und dynamisch wohl austariert wirkt die Musik Wagners wie ein sphärischer Klangteppich, auf dem man ganze vier Stunden lang schwebend in einen anderen Kosmos abdriftet.
Man braucht nur die Augen zu schließen und wird allein mit den Leitmotiven auf eine Reise in eine andere Welt entführt. Während man im Wald alle nur erdenklichen Grüntöne wahrnimmt, gestaltet Sir Simon Rattle bereits das nächste Bild, in das man eintauchen, aus dem man aber eigentlich nicht wieder auftauchen will.
Was für eine märchenhafte Erzählung, die allein durch die Musik gestaltet, eine illusorische Kraft entwickelt, die man vielleicht in einer Operninszenierung stark vermisst hätte.
©Daniel Dittus / Elbphilharmonie
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