24. Mai 2023
Rubrik Konzert
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
Was Andris Nelsons aus dem Taktstock zaubert, kann nur etwas monumental, kolossal Bedeutsames sein. Beim diesjährigen Mahler Festival in Leipzig ehrt der lettische Dirigent die hohe Kunst des Ausnahmekomponisten Gustav Mahler, der mit seiner Auferstehungssymphonie einen wahren Monolithen meisterhafter Klangpoesie auf das nostalgisch vergilbte Notenblatt gezaubert hat.
Dabei war das Werk in seinen Ursprüngen als musikalische "Totenfeier" gedacht und sollte genau diesen morbiden Charakter symphonisch widerspiegeln. Doch aus den ersten beiden Sätzen, die fast schon brutal, urgewaltig und nachtschwarz daherkommen, schälen sich die letzten drei Sätze wie ein erleichtertes Aufatmen aus dem todernsten Meisterwerk heraus, sie kontrastieren es geradezu auf eine lyrisch verklärte und versöhnliche Weise.
Tod und Auferstehung, eine symbiotisch kraftvolle Verquickung, aus der ein Hoffnungsschimmer des Lebens nach dem Tod glimmt.
Und Andris Nelsons changiert dabei als tonangebender Schicksalsbote immer wieder zwischen gewaltig überwältigender orchestraler Opulenz und zarten Anklängen hin und her, leisen Versuchungen und romantisiertem Aufbäumen erlegen, so vereinnahmend, dass man sich der Musik Mahlers hilflos ausgesetzt fühlt, sich seiner eigenen Hilflosigkeit aber bedingungslos hingeben will.
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
Mitgerissen wird der Zuhörer gleich mit dem ersten tonalen Pulsschlag, der einem heftig entgegenpocht. Flimmernde Streicher, die sich hektisch, gehetzt und mit dem Leben davonkommend, doch relativ schnell vom Schicksal der donnernden Pauken überwältigt fühlen, werden zudem von der raumgreifenden Wucht des voluminös großen Orchesterklanges nahezu verschluckt.
Der erste Satz ist übermächtig, ein reißender Thriller, unfassbar gigantisch und in seinem tonalen Fassungsvermögen ausufernd. Mahlers Tonpoesien muss man einfach lieben oder aber man fühlt sich von ihnen erschlagen.
Die goldene Mitte gibt es insbesondere in der Auferstehungssymphonie leider nicht. Zwei Fronten treffen hier hart aufeinander und bauen eine unüberwindbare Spannung zwischen den Extremen der scharf konturierten Brutalität des Todes und dem sanftmütigen, verklärt und schönmalerischen Bildnis der Auferstehung auf.
Genau aus diesem Grund wird der direkte Übergang vom ersten in den zweiten moderaten und gemächlicheren Satz durch eine demonstrativ lange Pause unterbunden. Das erstmals Gehörte muss verdaut werden und kann nicht einfach so ohne Weiteres von der musikalisch milden Antidote des Folgesatzes weggewischt werden.
Mein Gemüt beruhigt sich, die Aufruhr, das Getriebene, die Düsternis, die sich über die "Totenfeier" wie bleiernes Gift gebreitet hat, verflüchtigt sich harmoniesatt und irisierend farbenreich.
Was jetzt kommt, ist einfach nur schön! Blühende Klangteppiche, die sich in voller tonaler Pracht öffnen, Töne wie bunte Blumen, eine Gemälde von unfassbarer Ästhetik - Klangmalerei voller Fantasie, Genie und virtuoser Strahlkraft. Umwerfend einzigartig!
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
Aus den bunten Blumen des 2. Satzes werden just im 3. und 4. Satz melodiöse Blumenwiesen, die gleichermaßen symphonische und liedcharakterliche Merkmale aufweisen. Noch dazu rauscht und plätschert es mäandernd durch ein imaginäres Auenland. Programmatik lässt hier plötzlich tiefer blicken.
Motivisches durchwirkt den orchestral-symphonischen Charakter, Streicher und Holzbläser imitieren den Klang des Wassers, Bilder flackern vor dem inneren Auge auf: Des Antonius von Padua Fischpredigt wird lebendig, ein Gedicht aus den Wunderhorn Liedern, von Mahler tonpoetisch auf das Feinste zum Leben erweckt.
Die Zeit bleibt stehen, mitten in der Musik, inmitten des süffig satten Klanges. Sie verschmilzt mit ihr, hält an ihr fest und lässt einfach nicht los, wohl um der Schönheit des Augenblicks willen, die einen so dermaßen berührt: Ebenso wie die vokale Pracht, die von zwei grandiosen Solistinnen dezent dosiert dem Werk Mahlers funkelnd warmen Glanz verleiht.
Die Apotheose der Auferstehung erfährt nämlich erst durch die menschliche Stimme eine Erhöhung des vielleicht sogar sakralen Gedankens, den man dem Werk durchaus zugrunde legen kann.
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
Lauscht man der taufrischen, hell schimmernden Stimme von Nikola Hillebrand, die von berührend zarter Entrücktheit in himmlische Sphären zu entgleiten scheint, glaubt man jedenfalls an der Himmelspforte angekommen, den Gesang einer Engelsgestalt zu vernehmen.
Betörend und einfach zum Niederknien schön. Der Stimme der jungen Sopranistin kann man sich einfach nicht entziehen. Sie zieht einen magisch in den Bann und lässt einen kaum los.
Auch Gerhild Romberger, die mit ihrem satten, reifen Mezzosopran besondere Vokalpräsenz an den Tag legt, verzaubert ihr Publikum mit astreinen Phrasierungen, formschönen Legatolinien und einem goldwarmen Klangschmelz, der honigsüß den Gehörgang herunterfließt.
©Tom Thiele / Gewandhausorchester Leipzig
Steigerungsintensiv entlädt sich das Orchester letztendlich in einer Klimax des 5. und letzten Satzes, der gewaltig anmutet und mit einem schier übermächtigen Schlussakkord verklingt.
Die Auferstehung, so stellen wir sie uns vor: Das Leben nach dem Tod, ein anderes Dasein, eine andere Art, tröstlich und zu guter Letzt versöhnend.
Gustav Mahler entlässt uns aus seiner Musik, die sich noch im Verklingen wie ein hauchzartes Gewebe schwebend über uns legt.
Die letzten verglühenden Funkenschläge der Musik, die noch vor ein paar Sekunden ein lebendig sprühendes Feuer waren, erlischen endgültig. Angenehm kühlende Erleichterung macht sich in der Seele breit.
Das war ein absoluter Gänsehautmoment. Was für ein eine Musik!