08. Dezember 2023
Rubrik Konzert
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
Am 6. Dezember 2023 ist im Konzerthaus Berlin kein Nikolaus-Rot angesagt, sondern das „Yellow Label“ der Deutschen Grammophon, die ihr 125-jährigen Bestehen feiert und hierfür einige ihrer exklusive Künstlerinnen und Künstler zum Galakonzert versammelt hat, in dem die Werke von Beethoven, Brahms und Mahler zu Gehör gebracht werden.
Von Arabella Meran
An diesem Abend herrscht erwartungsvolle Stimmung im ausverkauften Saal unter der goldenen Kassettendecke und den prächtigen Kristalllüstern, die feierlich glitzern.
Der Publikumsmagnet dieses Konzerts ist jedoch Joana Mallwitz, die ab Saison 2023/24 neue Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin ist und jede Menge frischen Wind mitgebracht hat.
Das ganze Programm des Hauses ist auf diese charismatische Führungsgestalt zugeschnitten:
Zuletzt gestaltete die junge Dirigentin eine ganze Woche unter dem Motto „Mostly Mallwitz“, wobei die Nähe zum Publikum und die Musikvermittlung im Mittelpunkt standen (so z.B. in ihren „Expeditonskonzerten“).
Den Auftakt des Abends macht die „Akademische Festouvertüre“ op. 80 von Johannes Brahms, in der sich das Konzerthausorchester Berlin mit einem perlenden und differenzierten Klang präsentiert.
Die große und grazile Joana Mallwitz dirigiert mit ganzem Körpereinsatz wie eine Tänzerin, die mit beiden Armen die Töne anstupst und leitet und mit ihrem Torso auf den Klangwellen mitschwingt.
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
Mal geht sie in die Knie, mal springt sie dynamisch in die Höhe wie eine Ballerina, dabei bauscht sich ihr scharf geschnittener blonder Bubikopf auf wie Gischt in bewegter See – sie fasziniert nicht nur mit dem Klang, den sie ihrem Orchester entlockt, sondern ist auch als Persönlichkeit ein Hingucker.
Der weibliche Shootingstar unter den Taktstockkünstler:innen unterscheidet sich dabei sehr von ihren berühmten Vorgängern. In der Galerie der Deutschen Grammophon-Exklusivkünstler:innen findet sich u.a. auch der legendäre Herbert von Karajan, der das Image des Genies schon zu seinen Lebzeiten selbst inszeniert und zelebriert hat.
Joana Mallwitz hingegen hat eine ganz andere Ausstrahlung: Sie ist natürlich und nahbar ohne eine Spur von Eitelkeit, dicht an ihrem Publikum und vor allem auch auf Augenhöhe mit ihrem Orchester.
Diese Dirigentin ist keine Herrscherin, die den Taktstock wie ein Zepter schwingt, sondern eine Ermöglicherin, die Freiräume zur musikalischen Entfaltung gewährt.
Mit großem kollegialem Respekt beklatscht Mallwitz auch die drei Solist:innen für das folgende Stück: Das Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 „Tripelkonzert“ von Ludwig van Beethoven wird exzellent dargeboten von Bomsori Kim an der Violine, Kian Soltani am Violoncello und Rafał Blechacz am Klavier.
In den drei Sätzen des Stücks treten vor allem Violine und Violoncello miteinander in einen lebendigen Dialog, man kann sich ein Liebespaar beim Kennenlernen vorstellen, mal umschmeicheln sie sich mit süßen und melancholisch-tiefen Tönen, im Wechselspiel von Frage und Antwort, kess und herausfordernd, dann wieder im lieblichen Gleichklang.
Das Klavier nimmt dabei die Rolle der Gouvernante ein, die das Streicherpaar mit sanften Tönen der Harmonie begleitet. Das Stück wird mit großem Applaus belohnt.
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
Nach der Pause stehen Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ für Bariton und Orchester auf dem Programm.
Dieser Zyklus aus vier vertonten Gedichten erzählt die leidenschaftliche und tragische Geschichte eines Gesellen, der schmerzlich verliebt ist in eine Frau, die seine Liebe nicht erwidert. Ähnlich wie bei Schuberts „Winterreise“ braucht es hier einen Sänger, der diesen tragischen Jüngling vokal und interpretatorisch glaubwürdig herüberbringen kann.
An diesem Abend schlüpft der junge Bariton Andrè Schuen in die Rolle des Gesellen und lässt die Zuhörenden mit seiner vollen und warmen Stimme alle Gefühlsschattierungen des Liebenden erleben. Dabei singt Schuen mit sehr guter Textverständlichkeit und wirkt insgesamt in seinem Vortrag nobel und eher introvertiert.
Der aus Südtirol stammende Sänger (Jahrgang 1984) ist ein aufsteigender Stern am Klassikhimmel und hat sich in den letzten Jahren auf internationalen Opernbühnen vor allem als Mozart-Interpret und schauspielerisch begabter Darsteller einen Namen gemacht, so bei den Salzburger Festspielen als Guglielmo in Così fan tutte 2021 und als Graf Almaviva in Le nozze di Figaro 2023 – beides ebenfalls unter der Leitung von Joana Mallwitz.
Doch auch als Liedsänger hat Schuen schon seine gestalterischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt: Im März 2021 ist sein DG-Debütalbum mit Schuberts "Die schöne Müllerin" (mit dem Pianisten Daniel Heide) erschienen und im Folgejahr legte er mit Schuberts Schwanengesang nach.
Man darf gespannt sein, was dieser talentierte und sympathisch wirkende Künstler in Zukunft noch für musikalische Genüsse präsentieren wird.
Das Konzerthausorchester begleitet diese Gefühlsreise des fahrenden Gesellen melancholisch bis gewollt dissonant, dann punktuell aufbrausend und effektvoll – besonders das Blech der Posaunen beim 3. Lied „Ich hab ein glühend Messer“ schneidet scharf und kraftvoll wie ebendiese Klinge.
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
Die letzten beiden Stücke stehen wieder ganz im Zeichen von Ludwig van Beethoven. Bei „Meeresstille und Glückliche Fahrt“ op. 112 Kantate für gemischten Chor und Orchester (mit Text von Johann Wolfgang von Goethe) herrscht am Anfang atemlose Stille im ganzen Saal und Mallwitz kostet diesen Moment der andächtigen Erwartung voll aus.
Dann schwellen wie das Säuseln des Windes über dem Meer die einzelnen Stimmen aus dem Klangkörper an und vereinen sich mit den menschlichen Stimmen des RIAS Kammerchors Berlin zu einer wahrhaft glücklichen Fahrt voller rauschhaftem Optimismus.
Den fulminanten Abschluss bildet die „Fantasie für Klavier, Chor und Orchester c-Moll op. 80“. Am Klavier zeigt Bruce Liu virtuose Fingerfertigkeit und die eingängigen Melodien werden von Orchester und Chor wie Ruf und Echo zum Erklingen gebracht.
Das gelungene Konzert wird mit enthusiastischem Beifall belohnt und so mancher dürfte mit prickelnder Champagnerlaune durch den Schneeregen heimgegangen sein – jedenfalls ist es der Autorin dieses Artikels so ergangen.
©Stefan Höderath / Deutsche Grammophon
Programm: 125 Jahre Deutsche Grammophon - Berliner Konzerthaus
Dirigat: Johanna Mallwitz
Akademische Festouvertüre Op.80 Johannes Brahms
Triple Concerto in C Major Op. 56 Ludwig van Beethoven - Bomsori (Violine), Kian Soltani (Cello), Rafal Blechacz (Klavier)
Lieder eines fahrenden Gesellen Gustav Mahler - Andrè Schuen (Bariton)
Meeresstille und Glückliche Fahrt, Op. 112 Ludwig van Beethoven - RIAS Kammerchor
Fantasie für Klavier, Chor und Orchester in c-Moll, Op.80 Ludwig van Beethoven, Bruce Liu (Klavier) und RIAS Kammerchor
©Sima Deghani - Joana Mallwitz
1986: Joana Mallwitz wird in Hildesheim geboren, studierte an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Dirigieren bei Martin Brauß und Eiji Oue sowie Klavier bei Karl-Heinz Kämmerling und Bernd Goetzke.
2014-18: Generalmusikdirektorin am Theater Erfurt – im Alter von 27 Jahren war sie damals die
jüngste Generalmusikdirektorin Europas.
2018-23: Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg
2019: Das Fachmagazin Opernwelt wählt Mallwitz zur Dirigentin des Jahres.
2020: Sie ist die erste Frau in der 100-jährigen Geschichte der Salzburger Festspiele, die eine Opernaufführungsserie dirigiert: Mozarts Cosí fan tutte.
Seit September 2023: Chefdirigentin und Künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters Berlin Joana Mallwitz ist mit dem Tenor Simon Bode verheiratet und hat mit ihm einen Sohn (geb. 2021). Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.
WITZIGE ANNEKDOTE (von JM in einem Interview des NDR):
„Ich habe aus Versehen meinen Dirigierstab ins Publikum geschmissen“, erzählt Joana Mallwitz. „Und dann war der weg! Aber man kann 'Idomeneo' auch ohne Dirigierstab dirigieren, das ging dann schon irgendwie. Mir hat dann jemand aus dem Orchester einen Bleistift gereicht, den ich so zum Dirigierstab umwandeln konnte. In der Pause haben einige Leute angefangen, den Stab zu suchen. Mein Inspizient sagte: Joana, der steckt da hinten noch in dem Mann, der so halb auf dem Sessel hängt! Das war natürlich ein Witz. Aber dieser Stab ist tatsächlich nie wieder aufgetaucht.“
QUELLEN
https://www.joanamallwitz.com/
Homepage
https://www.konzerthaus.de/de/magazin/rund-um-joana-mallwitz/152
Biografie Konzerthaus Berlin
https://www.ndr.de/kultur/Joana-Mallwitz-Kuriose-Panne-bei-Mozart-Oper-,joanamallwitz104.html
Interview NDR: Kuriose Panne (dort Zitat für die Anekdote)
©Veronika Hautz - Arabella Meran
Arabella Meran lebt in Berlin, wo sie ihrer Berufung als Autorin und Schreiblehrerin folgt. Im Jahr 2020 hat sie ihren Masterabschluss im Studiengang »Biografisches und Kreatives Schreiben« an der Alice Salomon Hochschule Berlin erworben. Die gebürtige Kölnerin hat sich bereits in jungen Jahren für Literatur begeistert, ebenso wie für die klassische Musik.
Sie hat einige Jahre als Posaunistin im Schulorchester und in einer Big Band gespielt. Seit rund 25 Jahren geht sie leidenschaftlich gerne in die Oper. So ist es kein Wunder, dass sie in ihrem neusten historischen Roman „Im Takt ihrer Träume“ (im Oktober 2023 im Verlag Tinte & Feder erschienen) eine junge Dirigentin an der Wiener Oper in den 1920er Jahren zur Hauptfigur gemacht hat, die sich dort als einzige Frau in der Männerwelt behaupten muss. Hierfür war u.a. Joana Mallwitz eine große Inspiration.
Herausgeberin Nicole Hacke (Montag, 11 Dezember 2023 19:34)
Liebe Frau Seeblick,
herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Tatsächlich hat Frau Meran einen sehr lebendigen Beitrag geschrieben, der sehr schön beschreibt, was für ein tolles Konzert Joana Mallwitz gegeben haben muss. Auch ich finde, eine großartige Dirigentin, die unglaublich charismatisch und im positivsten Sinne mit ihrer Musik vereinnahmt.
Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.
Herzliche Grüße
Nicole Hacke
Herausgeberin
Gisela Seeblick (Montag, 11 Dezember 2023 17:41)
Ein wunderbarer, bestechend kompetenter Beitrag der Autorin Arabella Meran über das Galakonzert zum 125-jährigen Bestehen der Deutsche Gramophon.Die neue Chefdirigentin Joana Mallwitz des Konzerthausorchesters Berlin ist ein neuer strahlender Stern am Dirigentinnen/Dirigenten Himmel.Sie ist fulminant Beschrieben mit ihrem Können und der Ausstrahlung und Wirkung auf ihr Orchester.Herzlichen Dank an Arabella Meran für diese feine Beschreibung des Konzertabends.
Herausgeberin Nicole Hacke (Montag, 11 Dezember 2023 17:19)
Liebe Dori,
der Beitrag meiner Autorin Arabella Meran ist großartig. Dem kann ich absolut zustimmen. Frau Meran war im Konzerthaus, während ich die Übertragung auf Stage+ gesehen habe. Dies übrigens als Tipp. Dort könnten Sie sich das Konzert noch ansehen, zumal Sie Joana Mallwitz sehr beeindruckt.
Ich freue mich über Ihren Kommentar und hoffe, Sie lesen uns weiterhin.
Herzliche Grüße und Ihnen ein schönes Weihnachtsfest.
Nicole Hacke
Herausgeberin
Dori (Montag, 11 Dezember 2023 17:07)
Ein sehr schön geschriebener Artikel! Ich habe beim Lesen das Gefühl, dabei zu sein. Die Dirigentin ist beeindruckend.