Gemischte Gefühle bei der Opern-Gala mit Jonas Kaufmann in der Arena di Verona

21. August 2023

Rubrik Konzert

©Ennevi / Arena di Verona

Wenn es dieser Tage in der Arena di Verona hoch her geht, weil das 100-jährige Jubiläum des antiken Amphitheaters gebührend gefeiert wird, darf selbstverständlich ein Künstler nicht fehlen: Der deutsch-österreichische Tenor Jonas Kaufmann, der bereits etliche Monate zuvor ankündigte, genau dort eine exklusive Opern-Gala geben zu wollen.

 

Was er nicht gleich vermelden ließ: Dass unter anderem die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva und der französische Bariton Ludovic Tézier mit von der Partie sein würden. Und so wird aus der erwarteten "Jonas-Kaufmann-Opern-Gala" ein gemischtes Tripel der Superlative.

 

Doch superlativ scheint das Ganze nur unter Vorbehalt zu sein, denn noch Wochen vor dem Auftritt in der Arena di Verona verkündete der charismatische Opernsänger, dass er schon seit geraumer Zeit an einem multiresistenten Keim herumlaborieren würde.

 

Bereits bei seinem Auftritt in der Waldbühne in Berlin litt er daran und stemmte dennoch das Konzert mit Verve, Leidenschaft und gesanglicher Bravour, sodass man nun zuversichtlicher Dinge auf seinen Auftritt im italienischen Verona blickt.

 

Das heutige Konzert muss doch einfach umwerfend gut werden, noch dazu im Land des "Dolce Vita". Positive Erwartungen kurz vor Konzertbeginn schürend, folgt jedoch die bittere Enttäuschung postwendend gleich mit dem Auftakt zur ersten Arie.

 

©ZDF / Markus Hertrich - Arena di Verona

©Ennevi / Arena di Verona

Mit "Recondita Armonia" aus Puccinis meisterlicher Oper Tosca, die für den Spitzentenor normalerweise ein Selbstläufer darstellt, geht der vokale Schuss sofort nach hinten los. Unter hoher Anstrengung, gepresst und in der Kehle eng, erkennt man den Opernsänger just in dem Moment nicht wieder. Jeder Ton klingt merkwürdig unfrei, schwerfällig und entbehrt jeglicher Strahlkraft, mal ganz abgesehen vom weichen Klangschmelz, mit dem der Tenor normalerweise sein Publikum bezirzt.

 

Irgendwie scheint es so, als seien die stimmlichen Probleme noch nicht ganz überwunden, obgleich doch der Auftritt in der Waldbühne große Hoffnungen und Erwartungen schürte.

 

Erst während des Duetts zu "Gìa la notte densa" aus Verdis Otello mit der bulgarischen Sopranistin Sonya Yoncheva wärmt sich Kaufmanns Stimme langsam auf, wird weicher, runder und satter in der ausgewogen klingenden Mittellage. Doch noch viel faszinierender klingt es, wenn sich Kaufmann vokal in die seelischen Abgründe des Protagonisten Otello begibt und in "Dio mi potevi scagliar" das volle Potenzial seines klanglichen Farbenreichtums auspackt. 

 

Ein bisschen ist es wie eine Wundertüte, wenn in der saturierten Mittellage die ganze Bandbreite emotionaler Temperaturen hochköchelt und den zerrissenen Charakter des Otello konturiert zum Vorschein bringt.

 

In dieser Partie ist Jonas Kaufmann wirklich unschlagbar und seine goldene Mittellage scheint immer deutlicher zum neuen Markenzeichen zu avancieren. Nur was wird dann aus dem Tenorissimo?

 

©Ennevi / Arena di Verona

©ZDF / Markus Hertrich -  Arena di Verona

Nachdem der französische Bariton Ludovic Tézier für ein kurzes Intermezzo einen Jago auf die Bühne gebracht hat, der etwas brav und wenig ausdrucksstark daherkommt, obgleich die Stimme herrlich in die laue Nacht transportiert, erlebt das Publikum einen kompletten Szenenwechsel. 

 

Plötzlich tauchen wir ab in die Epoche der Französischen Revolution. Andrea Chénier und seine Geliebte Maddalena gehen gemeinsam in den Tod.

 

Dieses Duett erzeugt absolute Gänsehaut, die Steigerungsmomente, in denen sich Handlung und Musik verdichten und im Wechselbad leidenschaftlicher Gefühle in einem höhepunktintensiven Rausch kulminieren, ist ein applausstarkes Erdbeben wert.

 

Das haben beide Interpreten gut gemacht. Doch mein Gänsehautmoment bleibt aus, wohl auch, weil ich es in der Bayerischen Staatsoper dramaturgisch schon mal bewegender erlebt habe. Dafür erlebt sich die laue Sommernacht warm und in einem Ambiente, das unvergleichbar schön ist.

 

Nach der Pause geht es weiter mit einem Operettenklassiker, den der Tenor schon häufiger in Auditorien geschmettert hat: "Freunde, das Leben ist lebenswert" von Franz Lehár. Mit der vermeintlich leichteren Muse zieht sich entgegen meiner Erwartungen allerdings kein wirklich roter Faden durch den zweiten Programmteil, denn die Mixtur aus Operette, Oper, neapolitanischem Liedgut, Musical und Filmmusik mutet wie ein kunterbuntes Patchwork an, das man scheinbar willkürlich zusammengestrickt hat, nur damit auch für jeden Musikgeschmack etwas dabei ist.

 

Das kann man natürlich so machen, um seine Reichweite möglichst effizient zu streuen. Passend gemacht ist das Programm jedenfalls nicht. Aber sei es drum.

 

©Ennevi / Arena di Verona

©Ennevi / Arena di Verona

Dafür versöhnt Kaufmanns Interpretation aus Bernsteins Westside Story: "Maria". Wie oft kann man einen weiblichen Vornamen in so sinnlich repetitiver Manier vor sich hin singen, dass man sich als Zuhörer fast schon angesprochen fühlt, obwohl man nicht Maria heißt.

 

Aha, dann sind es jetzt also Musicals, die es dem Sängerinterpreten angetan haben. Auf jeden Fall lassen sich Bernsteins Vertonungen gut anhören, zumal auch Sonya Yoncheva ein sphärisch entrücktes "Somewhere" in den Orbit der Arena di Verona absetzt.

 

Doch noch viel grandioser ist ihre rassige Carmen, die sie vokalstark mit dunkel eingefärbter Sopranstimme und leidenschaftlichem Temperament auf die Bühne bringt. Alle Achtung, Frau Yoncheva. Das hat gesessen! Noch dazu in einem langen Abendkleid mit Wow-Effekt und einer Schärpe, die während der Darbietung plötzlich von einem seichten Lüftchen ergriffen wird und sich im Takt der Musik flatternd im Wind hin und her wiegt. Tja, das sind genau diese magischen Live-Momente, die man leider nie im Stream so wirklich gut festhalten kann.

 

Und dennoch! Dieses Konzert wird sogar im ZDF übertragen. Was muss, das muss eben! 100 Jahre Arena di Verona müssen anständig beworben werden, gefeiert sowieso.

 

Und was wäre ein italienischer Abend ohne die echten neapolitanischen Klassiker. "Non ti scordar di me" singt Herr Kaufmann zu fortschreitender Stunde mit Inbrunst und melancholischem Tiefgang, dass einem doch ganz plötzlich wieder so richtig warm ums Herz wird.

 

Bravo, bis dahin läuft doch alles gut! Aber dann! Aber dann zeigt ein italophiler Kaufmann, was er kann?

 

©Ennevi / Arena di Verona

Oder etwa doch nicht? Der Abstecher ins neapolitanische Italien war zumindest kurz, eigentlich viel zu kurz für meine Begriffe. Stattdessen folgen noch zwei Filmmusik-Hits und dann ist der offizielle Programmteil des  Konzerts auch schon beendet. Wie bitte? Das soll es tatsächlich schon gewesen sein?

 

So richtig musikalisch gesättigt bin ich aber noch lange nicht. Wo war die Würze, Wo die herrlichen Zutaten, die einem musikalischen Abend in Italien den echten Geschmack von südlichem Flair verliehen hätten?

 

Nun gut, sechs Zugaben folgen, die sich ganz passabel anhören lassen. Doch was war eigentlich bei der letzten Darbietung zu Hans Zimmers Filmmusik "Gladiator" los? Die Höhe hat nicht gesessen, die exponierten Töne kamen, wenn überhaupt, lediglich herausgequält und hinterließen einen etwas bitteren Beigeschmack im Gehörgang.

 

Auch wenn der Abend und das Ambiente in der Arena di Verona insgesamt ganz schön waren, so hat der Tenor der Herzen diesmal gesanglich nicht wirklich überzeugen können. 

 

Versöhnt mit der lauen Sommernacht und der italienischen Lebensart lasse ich den Abend ausklingen. Und der klingt bei einem Gläschen Wein auf der Piaza Brá wirklich gut aus! 

 

©ZDF / Markus Hertrich -  Arena di Verona

Zum 100-jährigen Jubiläum der Arena di Verona hat das ZDF die Opern-Gala mit Jonas Kaufmann, Sonya Yoncheva und Ludovic Tézier aufgezeichnet. Die Übertragung ist seit dem 03. September 2023 in der ZDF-Mediathek abrufbar.

 

©ZDF / Markus Hertrich -  Arena di Verona


JONAS KAUFMANNS UNVERGESSLICHE PREMIERE IN DER ARENA DI VERONA

Strahlend leuchtet der Halbmond am dunkelblauen Nachthimmel über der Arena di Verona, so als ob man ihn mit einer Lampenschnur extra für das bevorstehende Musikereignis angeknipst hätte.

 



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