Rachel Willis-Sørensen rockt als Rusalka die Elbphilharmonie

09. Mai 2022

 Rubrik Konzert

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Meerjungfrauen küssen besser oder aber sie singen so verzaubernd schön wie die derzeit umjubelte und stark gefeierte Sopranistin Rachel Willis-Sørensen.

 

Unter der musikalischen Leitung von Alan Gilbert, seinem NDR-Elbphilharmonie-Orchester und einer aufregenden Sängercast, die eindeutig vielversprechend den heutigen Abend rund und sorglos gestaltet, wird das Opernmärchen Rusalka zu einer schöpferischen Leistung musikalischer Traumlandschaften.

 

Gefangen genommen in eine irisierende Klangpoesie, geben sich in Hamburgs Elbphilharmonie Operngrößen wie Ekaterina Gubanova, Michelle de Young und Rachel Willis-Sørensen sowie aufstrebende Jungstars, darunter Nicholas Mogg, Attilio Glaser und David Junghoon Kim die Ehre und verzaubern mit Dvořáks tonmalerischer Märchenerzählung das enthusiasmierte Publikum in einer semiszenischen Konzertversion der Wassernymphe.

 

Dass konzertante Opernaufführungen auch gelingen und dabei so spannend, fesselnd und hypnotisierend zugleich in den Bann ziehen können, zeigen die Sängerdarsteller mit einem Höchstmaß an schauspielerischer Versiertheit, dramatisch-ekstatischen Ausbrüchen und mit einem überdurchschnittlich gesanglichen Genie, das am Ende der beeindruckenden Vorstellung zurecht mit Standing Ovations belohnt wird.

 

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Während sich aber zu meiner berechtigten Enttäuschung die Handlung größtenteils hinter dem Orchester auf einem nur leicht erhöhten Podium abspielt und man in der ersten Reihe des Parketts aus sichteingeschränkten Gründen bedauerlicherweise nicht viel vom dramaturgischen Tiefgang mitbekommt, erlebt man leider auch die Sängerdarsteller lediglich gedämpft und passagenweise von der orchestralen Wucht stark überlagert, schwammig und tendenziell undifferenziert über die 100 Dezibel hinwegsingen.

 

Das ist schade und mindert das musikalische Genusserlebnis beachtlich.

 

Dass die Akustik in diesem Haus aber auch andere gehörfeinere Nuancierungen auffahren kann, zeigt die für mich experimentelle Ausweitung der Bühne auf die einzelnen Ränge.

 

Von ganz oben in den Reihen des Publikums versteckt positionieren sich abwechselnd Chor, Waldnymphen, Wassermann und Jäger.

 

Alle Gesangsinterpreten hört man, den unterschiedlichen Klangrichtungen folgend, aus luftigen Höhen des gewaltigen philharmonischen Bienenstocks in das Auditorium herabsingen.

 

Und das klingt himmlisch, kristallklar und so raumfüllend, dass sich der Klangteppich des Orchesters plötzlich dezent hintergründig dem Gesang mit akzentuierter Dynamik unterordnet.

 

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Es scheint in jedem Fall, als ob die Akustik in diesem hehren Musentempel einfach macht, was sie will.

 

Je nachdem, wo und wie welcher Sänger steht und singt, akustisch ergibt sich nie auch nur ein annähernd einheitliches Klangerlebnis. Und das muss man als Zuhörer mögen.

 

Dann endlich erfüllt sich mir eine halbe Stunde vor Pausenbeginn das lang ersehnte Hautnah-Erlebnis auf der Bühne - unmittelbar vor meiner Nase.

 

Vor dem Orchester geben sich Rusalka und der Wassermann einem szenisch und gesanglich dramatischen Schlagabtausch hin - und der hat es absolut in sich.

 

Mit welch stentoraler Kraft Willis-Sørensen die vokale Urgewalt aus sich herausholt, ist überwältigend. Und dabei schimmern die Töne mit Verve brillant und ausdrucksstark in die exponiertesten Tonalhöhen. Es ist zum aus der Haut fahren herrlich, wenn sich die amerikanische Sopranistin mit Leidenschaft und müheloser Eleganz in die Rolle der krankhaft verliebten Rusalka versenkt.

 

Jede Gefühlsregung, jede Geste, jede vokale Facette ist ein emotionales Statement. Und das bei einem samtfeinen Timbre, das einen angenehm wohlige Schauer den Rücken rauf und runter laufen lässt.

 

Dass sich Gesang und Schauspielkunst bei diesem Ausnahmetalent auf das Ausgewogenste vereinen, ist in der Opernbranche nicht immer ein selbstverständliches Attribut.

 

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Willis-Sørensen hingegen liebt die kontrollierte Ekstase, versenkt sich inniglich in ihr und treibt sie an diesem Abend bis an den Rand der Bühnenrampe.

 

Zum Dahinschmelzen auch ihre Interpretation der Arie "An den Mond". Beseelt und weltentrückt erträumt man sich mit der Künstlerin eine Welt, die jenseits der einengenden Schranken des Lebens zu mehr uferloser Freiheit und prickelndem Abenteuer einlädt.

 

Besonders expressiv gestaltet sich auch die Darbietung der Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova, die mit ihrem sonoren, eichenfassgereiften Timbre Strahlkraft, Esprit und voluminöse Legati aus dem Ärmel schüttelt, als kostete es kaum ein MÜ an Kraftanstrengung.

 

Dabei spürt man die körperliche Anspannung, mit der die vokalathletische Leistung aus der Sängerin elektrisierend herauspulsiert.

 

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Temperamentvoll und feurig, das ist Frau Gruberova als Fremde Fürstin, die mit aller Macht und mit allen unlauteren Mitteln Rusalka ihren "Prince Charming" ausspannen will.

 

Auch die Hexe Jezibaba, gesungen von der renommierten amerikanischen Mezzosopranistin Michelle de Young, glänzt mit darstellerisch kalter Strahlkraft und einem stimmlich oudschweren Timbre, was man gleichermaßen von Eric Owens in der Paraderolle des Wassermanns behaupten kann.

 

Kraftvoll, voluminös und von einer vokalen Elastizität überzeugt auch er auf ganzer Linie.

 

An der Seite von Rachel Willis-Sørensen erobert "Prince Charming", alias David Junhoon Kim das Herz der Wassernixe. Allerdings nur auf dem Papier der Partitur.

 

Gesanglich kann die Stimme nur bedingt gegen die vokale Strahlkraft der Rusalka aufbegehren. Eher durchlässig und auch stimmfarblich nicht wirklich kompatibel, bilden die Hauptprotagonisten klangfarblich tendenziell kein so optimales Match.

 

Doch das wird an anderer Stelle durch die Waldnymphen wieder wettgemacht, die von Catherina Witting, Lucy de Butts und Anna-Maria Torkel auf eine betörend und berauschende Art interpretiert werden, ebenso wie durch den Chor der Prager Philharmoniker, der das Auditorium mit seinen sphärisch beseelt und weltentrückten Gesängen in eine Märchenwelt aus längst vergangener Zeit entführen.

 

Zart, anmutig und mit irisierenden Klangfarben bestückt, wird so aus purem Klangzauber große musikalische Magie.

 

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

©Jan Reuter / Elbphilharmonie Hamburg

Alan Gilbert, der Meister am Dirigentenstab, erarbeitet sich in diesem schweißtreibenden Stunden mit kompromissloser Hingabe und einem absoluten Taktgefühl eine begeisterungswürdige Aufführung.

 

Obgleich das direkte orchestrale Klangerlebnis aus so unmittelbarer Nähe des Parketts teils undifferenziert und ansatzweise wild durcheinander lärmend anmutet, so unwirklich schön, weltentrückt, märchenhaft und dennoch bodenständig folkloristisch verklangbart sich die satt ausufernde, in allen Regenbogenfarben schillernde romantische Musik des Antonín Dvořák.

 

Oper ich komme! Auf ein hoffentlich baldiges "Encore une fois" mit Rusalka und vor allem mit der  unnachahmlichen Rachel Willis-Sørensen!


©Rachel Willis-Sørensen / über youtube zur Verfügung gestellt

Herrlich ihr Gesang, herrlich ihre Diktion. Rachel Willis-Sørensen ist ein Allround-Talent. Versiert, koloratursicher und stimmlich facettenreich. Die Rusalka ist ihre Lieblingsrolle. Wen verwundert es!


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