Opus Klassik Gala 2022: auf dem roten Teppich kultureller Relevanz

12. November 2022

Rubrik Print & Medien

©Claudius Pflug / ZDF

Mal wieder ist es so weit! Das Berliner Konzerthaus feiert zum nunmehr 5. Mal seine etablierten Klassik-Stars und aufleuchtenden Sterne an diesem noch sommerlich lauen Oktoberabend.

 

Raschelnde Roben, elegantes Publikum und meine Wenigkeit schreiten majestätisch über den rot ausgelegten Teppich am Treppenaufgang, der in die glanzvolle Eingangshalle des hehren Musentempels führt.

 

Aus den Augenwinkeln über die Schulter blickend beobachte ich, wie ein strahlender Jonas Kaufmann in einem BMW Oldtimer vorgefahren wird.

 

Spannung und Vorfreude liegen in der Luft. Während die eleganten Damen beim Erklimmen der steilen Treppenstufen ihre teils ausufernd bauschigen Roben geschickt zusammenraffen, werden die Preisträger des diesjährigen Events, noch bevor sie sich vor den Zaungästen ins Konzerthaus flüchten können, noch flugs von einem Komiker par excellence in einen plauderhaft-amüsanten Small-Talk verwickelt.

 

Fabian Köster, der ein gewagt loses Mundwerk an den Tag legt und auch schon mal den einen oder anderen Stargast auf die klassische Schippe nimmt, bringt Pep und Esprit in die doch sehr gediegene Veranstaltung.

 

©Claudius Pflug / ZDF

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Das tut dem Image der Echo-Klassik-Verleihung gut und bringt Schwung nebst neuen Wind in die viel zu häufig angestaubt wirkende Branche. Unterhaltsam, zuweilen nachdenklich stimmend, ist die Anmoderation der eloquent sprachtalentierten Désirée Nosbusch, die ganz offensichtlich eine große Leidenschaft für die Kultur hegt und dies sehr wortgewaltig und emotional berührend auf den Punkt bringt:

 

"Die Kultur hält alles zusammen. Die Kultur ist der Kitt unserer Gesellschaft. Ohne sie geht es einfach nicht." Recht hat sie mit jeder ihrer wohlüberlegten Aussagen.

 

Doch was wäre die Kultur ohne ihre vielen kleinen und größeren Lichtpunkte am sternenbesetzten Firmament?

 

Supertalente, Neuentdeckungen und etablierte alte Hasen des Klassikgetriebes werden heute für ihre jeweils individuellen künstlerischen Leistungen ausgezeichnet. Allen voran die französisch-italienische Sopranistin Lea Desandre, die als Sängerin des Jahres mit ihren ästhetisch biegsamen Koloraturen, ihrem zauberhaften Lächeln und ihrer schmeichelhaft zarten Gestalt eine absolute Erscheinung auf der Bühne darstellt.

 

Bescheiden und fast schon demütig nimmt sie ihren wohlverdienten Preis entgegen. Ihre Freude spürt man, ebenso ihre tiefe und ehrliche Dankbarkeit.

 

©Claudius Pflug / ZDF

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©Claudius Pflug / ZDF

Solche feinen Gäste lob ich mir. Doch auch die Sopranistin Jeanine De Bique, die für die stimmliche Interpretation der Barockmusik wie geschaffen ist, strahlt leuchtend hell mit ihrem kristallklar perlenden Vokalinstrument. Schwindelerregend höhenrauschhafte Koloraturen, Läufe, die sich aus ihrem Mundwerk zu verselbstständigen scheinen - und das mit einer Leichtigkeit, schlank und duftig dahingeträllert, so virtuos muss es klingen, wenn der Barock die Zukunft der Musik weiterhin bereichern will.

 

Viel beeindruckender als alle Läufe, exponierten Tonalhöhen und stimmakrobatischen Verrenkungen, welche die karibische Schönheit mühelos von sich gibt, ist jedoch ihr atemberaubender Calypso, den sie von ihrer Heimatinsel Trinidad als überraschende Zugabe heiß besohlt auf das Parkett der Berliner Konzerthausbühne legt.

 

Vollständig überwältigt von so viel vokaler Grazie, Anmut und Verve lasse ich mich von den darauffolgenden Darbietungen inspirieren.

 

Ob nun die Geigerin Tianwa Yang, die als Instrumentalistin des Jahres ausgezeichnet wird oder aber der Pianist Ludovico Einaudi, der in der Kategorie "Neue Klassik" seine höchst interessanten Kompositionen darbietet: Der Abend wird immer mehr zu einer runden Sache, tischt er doch alle Facetten der klassischen Musik genussvoll auf.

 

©Claudius Pflug / ZDF

©Claudius Pflug / ZDF

©Claudius Pflug / ZDF

Und wie könnte es anders sein, wäre nicht ein Star unter den Preisträgern anwesend, der gleich zwei Preise mit nach Hause nehmen darf: Einen für sich selbst und den anderen für die Opernproduktion "Die tote Stadt" der Bayerischen Staatsoper, an der er selbstverständlich entscheidend mitwirken konnte.

 

Jonas Kaufmann wird Sänger des Jahres 2022 und das, obgleich man den Ausnahmetenor so gut wie jedes Jahr auf der Liste der nominierten Künstler vorfindet. Irgendwie kommt man an diesem Mann nicht vorbei, wenn es um die sowohl holde als auch hohe Kunst des tenoralen Gesanges geht.

 

Wohlverdient ist der Preis dennoch, insbesondere wenn man sich die künstlerische Darbietung von Liszts Liedvertonung "Lieb´, solang Du lieben kannst" einmal genauer anhört. Schwierig ist das sehr eigene, fast schon sperrige Liedrepertoire, das seinem Liedinterpreten sowohl vokaltechnisch als auch emotional gehörig viel abverlangt. Da braucht es definitiv einen Liederzähler, der Wortpoesie und Tondichtung stimmlich konturiert, gehaltvoll und gefühlsecht darbieten kann.

 

Und Jonas Kaufmann ist so einer, der sich das nicht nur zutraut, sondern es tatsächlich auch kann.

 

Doch bevor es zur Überreichung der nachhaltig überarbeiteten Stimmgabel kommt, wird unser Augenmerk auf einen kleinen Filmausschnitt gelenkt, in dem Florian Köster Jonas Kaufmann beim Herumwerkeln an einer Siebträgermaschine in einer Werkstatt für reparaturbedürftiges Kaffee-Equipment antrifft.

 

©Claudius Pflug / ZDF

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Unter dem imaginär aussagekräftigen Titel: "Espresso ist mein Leben!", könnte eine potenziell kommende Dokumentation mit dem Tenor der Tenöre ein voller Erfolg werden. Dass seine Lieblingsoper dann selbstredend "Cappuccini" lauten müsste, schlussfolgert der schlagfertige Florian Köster und erntet damit ein sonor schallendes Lachen des humorliebenden Tenors.

 

Was für eine nette, auflockernde Einlage, bevor es musikalisch wieder seriöser wird. Igor Levit, der Mann am Klavier, dem man einfach lauschen muss, sowohl seinem klaviertuosen Spiel als auch so manches Mal seiner Worte, hat an diesem Abend - entgegen meiner Annahme - nicht wirklich viel zu sagen.

 

Dafür ergreift allerdings sein Laudator pfeilspitzenscharf das Wort - direkt und ohne Umschweife. Ob das so gut ankommt? Das Thema zumindest passt nicht unbedingt in den feierlichen Rahmen einer Kultur würdigenden Veranstaltung, zumindest nicht dann, wenn man die Bedeutung der Kultur rein auf die künstlerische Essenz einer musizierenden Zunft herunterbricht.

 

Nun gut. Sei es drum! Musik darf auch manchmal gesellschaftskritische Laute von sich geben. Und was so manch anderer instrumentalgewaltiger Interpret in die Welt posaunt: Hat man da noch Töne?

 

©Claudius Pflug / ZDF

©Claudius Pflug / ZDF

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Sie fehlen zumindest dem Tubisten-Trio "21meter60" nicht. Was für eine Kammermusikeinspielung. Auch wenn mich die Tuba bislang als Instrument wenig überzeugen konnte, so imponiert sie mir am heutigen Abend mit ihrer kraftvoll musikalischen Aussage ungemein. Virtuos klingt das Spiel auf dem Blasinstrument. Und dann dieser ungewöhnliche Name. Wenn diese drei Herren nicht lautstark mit ihren 21meter60 auffallen, wer denn dann?

 

Kurz vor Ende der Veranstaltung ergreift Kulturstaatsministerin Claudia Roth als rhetorisch vereinnahmende Rednerin das Wort. Ihre Laudatio gilt dem 85-jährigen ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, der laut Claudia Roth als einer der wenigen lebenden Komponisten gilt, der fast allein für die Musik seines Landes steht.

 

Wofür die Musik selbst steht, oftmals gerade steht und in einer krisenbehafteten Zeit stehen muss, das wissen wir intuitiv und wir fühlen es auch. Und damit die Relevanz der Kultur in Deutschland und allen anderen Ländern der Welt noch einmal gebührend herausgestellt wird, singen Schüler des Projekts "The Young ClassX" gemeinsam mit der Starsängerin Joyce DiDonato ein abschließendes Lied für eine bessere Zukunft.

 

Hoffen wir mal, dass diese bessere Zukunft Kultur inkludiert und Zweifler an ihrer Systemimmanenz nie wieder rütteln werden.


©Jonas Kaufmann Opus Klassik 2022 / Youtube

"Oh lieb, solang Du lieben kannst". Lieder liegen dem Tenor Jonas Kaufmann. Kraftvoll, konturiert und mit äußerster Differenziertheit gelingt dem Opernsänger die Interpretation der oftmals sperrig wirkenden Liedwerke des österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Liszt.


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