25. Juli 2022
Rubrik Konzert
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Mit einer Mischung aus hoffnungsvollen Erwartungen und ebenso leisen Bedenken, dass er vielleicht doch noch nicht fit genug für sein Konzert sein könnte, fiebert das Publikum der Bayerischen Staatsoper am heutigen Festspielabend auf den Auftritt des genesenen Jonas Kaufmann hin.
Noch vor ein paar Wochen stand es nicht gut um den Münchner Tenor, der aufgrund einer erneuten COVID-Infektion alle Termine der Londoner Opernproduktion Cavalleria Rusticana mit äußerstem Bedauern absagen musste.
Guter Dinge, eventuell doch noch an der letzten Aufführung der Opernserie teilnehmen zu können, wurde im letzten Moment auch diese Illusion aufgrund des unverändert gebliebenen Krankheitszustands zunichtegemacht. Kein einziger Termin am Royal Opera House fand mit Herrn Kaufmann statt.
Und selbst das vor wenigen Tagen auf Instagram gepostete Video, in dem der Tenorissimo seine freudige Rückkehr auf die Konzertbühne verkündete, ließ auch nichts Gutes verheißen.
Brüchig, angeschlagen und extrem belegt klang es da noch aus der ansonsten so warmgoldenen, samtsatten Kehle des Ausnahmekünstlers.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Was für ein Glück, dass sich das mir schwanende Übel am heutigen Abend des 23. Juli nicht bewahrheiten soll.
Zwar immer noch hörbar lädiert, schafft es Jonas Kaufmann auch mit anfänglichen vokalen Anlaufschwierigkeiten, seine Stimme im Laufe des Konzerts hinreichend zu kontrollieren. So klingt Beethovens "Adelaide" zwar im ersten Programmteil mehr dahingeräuspert als gesungen.
Doch schon mit den nächsten romantischen Lieddarbietungen blüht der Schöngesang des Tenorrisimo vollends auf.
Traumverloren, weltentrückt, aber immer authentisch: Wenn Jonas Kaufmann sich dem Lied hingibt, ist es pure Offenbarung. Da stört nicht wirklich, dass so manches Mal die Emotionen vor leidenschaftlicher Verve überschwappen und das zutiefst menschelnde in der Stimme die Technik gewaltig überbietet.
Wer tatsächlich nur auf puristisch ausgefeilten Schöngesang setzt, der ist im Publikum sowieso fehl am Platz, denn für Kaufmann scheint dieser lediglich die Grundlage für seine persönliche Liedinterpretation zu bilden.
Und so klingt eben auch kein Lied wie das andere.
Immer neu, immer überraschend anders, eigensinnig, impulsiv, zart, weich, stürmisch, rau, leidenschaftlich: Kaufmanns Stimme kann sich fast jeder emotionalen Facette ausdrucksstark und so lupenrein wie porentief ganz inniglich bedienen.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Ecken und Kanten muss man dabei allerdings mit in Kauf nehmen. Da hilft es auch nichts, wenn man das bis ins kaum hörbar abgedämpfte Mezza-Voce als stilistisch unpassend empfindet oder die fast schon dahingehauchten Piananissimi als nahezu sprechgesangliche Entgleisung wahrnimmt.
Auch das gaumige, geraunte und dahingezärtelte Flüstern in der Stimme, die kribbeligen Momente, wenn sich der Zuhörer nicht nur durch das Lied selbst, sondern eben auch durch die geballte Emotionalität, die Kaufmann über sein Publikum gekonnt und ungekünstelt ausschüttet, berührt fühlt, muss man hinnehmen oder es schlimmstenfalls lassen.
Schließlich könnte es dem einen oder anderen gehörig zu viel werden.
Fakt ist. Jeder Ton, den Kaufmann singt, ist echt, aufrichtig und durchdrungen von einer zartpastelligen Textur und Klangfarbe.
Durch einsame Wälder, liebestrunkene Gefühlsverirrungen, lyrische Liebkosungen der Unerreichbaren, sogar bis ins Grab mäandert der liedpoetische Pfad zu "Seliger Stunde" weit bis in den zweiten Programmteil, der nun einen völlig anderen, weniger verklärten, dafür deutlich bildsprachlicheren Ton anschlägt.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
"Vergiftet sind meine Lieder"- In aufbrausender Wut naht nun ein vokaler Sturm herbei. Gleich nach der Pause läuft Jonas Kaufmann zu gesanglicher Höchstform auf und präsentiert sich so gut bei Stimme, dass deren farbenreiche Vielschichtigkeit und klangliche Textur stark konturiert hervortreten.
Ob es an der Expressivität des Lisztschen Liedguts liegt oder einfach nur daran, dass die Lieder einer Erzähldramaturgie folgen, die eine vokal ausgeprägte Charakterstärke erfordert?
Mit "Lieb, solang Du lieben kannst" wird es jedenfalls auch bei Liszt noch mal romantisch. Melancholisch klangvoll durchfärbt steht man rein imaginär mit Kaufmann an Gräbern und trauert der Vergänglichkeit hinterher, die nicht mehr wiedererweckt werden kann.
Von beseelter Schönheit, perlreiner Eleganz und einem nostalgischen Sehnen in der Stimme verklingt die eindringliche Darbietung des Sängerdarstellers harmonisch satt im Auditorium.
Nach fünf Zugaben und der Rausschmeißer-Nummer des Brahmschen Wiegenliedes "Guten Abend, gute Nacht", entgleitet das enthusiasmierte Publikum in selig süße Traumwelten.
Und ob der Traum am nächsten Morgen bereits ausgeträumt ist, möchte ich nur allzu gerne anzweifeln.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
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