01. Januar 2023
Rubrik Konzert
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
Was wäre wohl ein Silvesterkonzert ohne sprudelnd spritzigen Entertainmentgenuss auf musikalisch hohem Niveau? Mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Kirill Petrenko und einem Tenor, der mit seiner warmgoldenen Stimme den Sängerolymp schon lange erklommen hat, erlebt das Publikum am Abend des 31. Dezember 2022 sowohl im Auditorium der Berliner Philharmonie als auch vor den Fernsehbildschirmen und auf den Kinoleinwänden weltweit ein fulminantes Klassik-Highlight der absoluten Superlative.
Während die Spannung an den Bildschirmen bereits im 20-minütigen Vorspann ins Unermessliche steigt, macht uns Sarah Willis, die Hornistin der Berliner Philharmonie, mit ihrer vereinnahmend charmanten Anmoderation bereits den Mund auf uneingeschränkten Kulturgenuss wässrig.
Was dem Publikum an diesem letzten Abend eines scheidenden Jahres live dargeboten wird, gleicht einer musikalischen Kulinarikreise in das Sehnsuchtsland Italien.
Viele kompositorische Appetithappen wie Tschaikowskys "Capriccio italian" oder Nino Rotas Orchestersuite "La Strada", lockern den zu Beginn ernsteren Programmteil deutlich auf, der mit Verdis Ouvertüre des epischen Meisterwerks "La forza del destino" angeführt wird.
So schlagen Kirill Petrenko und Jonas Kaufmann zusammen mit den Berliner Philharmonikern zwischen den vielen ernsteren Werken und Arien immer wieder eine optimistisch stimmungsvolle Brücke in das Neue Jahr 2023.
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
Dass es tatsächlich im Land der Zitronen nicht immerfort blüht, davon kann der Tenorissimo Jonas Kaufmann gleich mehrere Lieder singen, was er auch prompt mit der ersten melancholisch durchwirkten Arie " La vita è inferno all´infelice. Oh, tu che in seno agli angeli" aus Verdis "La forza del destino" tut.
Sein trauriges, unumkehrbares Schicksal beklagend, verfällt Jonas Kaufmann sofort in eine packende Interpretation, die er gesanglich mit einer Bandbreite vielschichtiger emotionaler Temperaturen versieht.
Tonpoetisch multifacettiert, mit hypnotisierend klangmalerischen Pianissimi und einer magnetischen Strahlkraft, die ganz besonders in den lyrisch sanfteren Kantilenen zum Ausdruck kommt, erschafft Jonas Kaufmann eine Vokalwelt sphärischer Klangräume, die ästhetischer nicht sein könnte.
Warmgolden, legatoreich und mit einer dunkelsamtigen Brillanz in der saturierten Mittellage ausgestattet verzaubert er sein Publikum auch als schwelgerisch verträumter Dichter Andrea Chénier, der zuerst schwärmerisch und im späteren Verlauf der Arie: Un di all´azzurro spazio" leidenschaftlich ekstatische Stentorkraft an den vokalschönen Tag legt.
Die Stimme Kaufmanns gleicht an diesem Abend einem farbenprächtigen Bildnis, das weder an Textur, inhaltlicher Aussagekraft noch an stimmcharakterlicher Raffinesse vermissen lässt.
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
Spätestens bei Pietro Mascagnis Arie "Mamma, quel vino è generoso" aus der Verismo-Oper "Cavalleria rusticana" merkt man deutlich, dass in diesem Ausnahmetalent eines Tenors ebenso viel darstellerische wie gesangliche Qualitäten stecken.
Wie überzeugend glaubwürdig Herr Tenorissimo den stark Angetrunkenen mimt: Fast könnte man meinen, der gute Mann auf der Bühne hätte sich tatsächlich vor Konzertbeginn noch ein kleines Gläschen Wein zum Lockerwerden genehmigt.
Doch weit gefehlt. Jonas Kaufmann versenkt sich einfach nur viel zu gerne in seine Rollen, die er mit Leib und Seele, Kraft seiner Überzeugung, darbietet.
Und auch Kirill Petrenko ist an diesem besonderen Abend kaum zu stoppen. Der Mann am Dirigentenpult sprüht vor energetischem Temperament. Mit vollem Körpereinsatz, taktstocksicher gestikulierend und mimisch ausdrucksstark, schwappen die Gefühle vom Dirigentenpult komplett auf das Orchester über.
Es entsteht eine spannungsgeladene Atmosphäre, bei der sich die Dynamiken des Dirigenten agogisch differenziert auf jeden einzelnen Instrumentalisten übertragen.
Das Klangergebnis ist auf den Punkt, präzise, tonal haarnadelscharf und dabei so akkurat und gleichermaßen harmonisch perfekt austariert, dass man nicht ein einziges Haar in der orchestral klangteppichrunden Suppe finden würde.
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
Was für ein Spaß, diesem Dirigat zuzuschauen, vom grandiosen Höreindruck der orchestralen Virtuosität mal ganz abgesehen. Bei Tschaikowskys "Capriccio italian" bin ich zum ersten Mal an diesem Abend einfach hin und weg - von der Schönheit der Musik geblendet und von der emotionalen Anziehungskraft des Leitmotivs wie auf Wolke Sieben hinfortgetragen.
Bin ich jetzt etwa in Italien angekommen? Im Land, wo die Zitronen blühen und die Sonne meine Haut ganz sanft kitzelt? Was für eine Wärme. Was für eine herrliche Leichtigkeit geht doch von dieser süffigen Melodik aus.
Es ist nahezu berauschend, welch fantastische Musik Kirill Petrenko mit seinem Taktstock immer wieder auf Kommando herbeizaubert.
Bei Dmitri Schostakowitschs "Die Hornissen / Die Stechfliegen" brummt und summt es nur immerzu, mal lauter, fordernder und extrem temporeich, sodass meine Füße sukzessive mehr und mehr aufdrehen und einfach mit der Musik im Takt mitwippen wollen.
Auf meinem Sofa hält mich jetzt fast nichts mehr. Und die Begeisterung bricht sich nicht nur bei mir Bahn. Auch im Auditorium der Berliner Philharmonie klatscht das enthusiasmierte Publikum ovationsstark minutenlang und ohne Unterlass.
Ein Donnerregen applausstarker Begeisterungsbekundungen, der gar nicht so schnell abbrechen will und auch einen Jonas Kaufmann trifft wie ein angenehm sommerwarmer Regenguss.
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
©Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
Glücklich wirkend, gelöst und äußerst zufrieden gibt Jonas Kaufmann nur eine einzige Zugabe, bevor er sich in die herannahende Silvesternacht verabschiedet.
Mit "Parla piu piano", einem intimen, innigen Liebeslied aus Nino Rotas Filmmusik zu "Der Pate", beendet der Startenor freudestrahlend sein Programm. Und mal wieder zeigt sich, dass besonders die leisen Töne die große Stärke des Künstlers sind.
Die schönsten "Silvesterkracher" sind schließlich auch jene Feuerwerkskörper, die am Nachthimmel einzigartig farbenprächtige Gebilde malen und dabei am wenigsten Lärm machen.
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Fidelio, das dramatische Meisterwerk Beethovens, das von Freiheit in einer Welt erzählt, in der genau dieses Attribut nicht von Grund auf selbstverständlich ist. Zeitlos wie eh und je hält es in diesem Festspielsommer Einzug in das Konzertzelt des Schweizer Alpendörfli Gstaad.
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Laue Sommernächte eignen sich perfekt für die leichtere Muse und ebenso für ohrwurmlastige Opernarien, die mit einer gewissen musikalischen Leichtigkeit genommen, beschwingt und romantisch satt durch einen...