Elbphilharmonie: Hélène Grimaud hypnotisiert klangmalerisch mit Schumann und Mozart

08. April 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Mat Hennek/DG / Universal Music

Ein Programm wie aus dem musikalischen Bilderbuch, eine Pianistin, so virtuos und gefühlvoll zugleich und ein international renommiertes Kammerorchester, das sich den Mozartklang zu Recht auf die tonale Fahne schreiben darf:

 

Hélène Grimaud und die Salzburger Camerata hypnotisieren das Publikum in der Hamburger Elbphilharmonie an diesem unvergesslichen Abend mit klangmalerisch einzigartigen Klavierkonzerten der frühromantischen Ära Mozarts und Schumanns.

 

Kaum dass ich mich je an Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 in d-Moll satthören kann, trete ich zu meiner großen Überraschung an diesem bezeichnenden Abend in eine mir völlig neue Erlebniswelt irisierender Tonalsphären ein.

 

So intensiv, so packend und lebendig ist mir das dramatische Stück, das sehnsuchtsvoll süßen Schmerz in die resonanzstarke Atmosphäre absetzt, noch nie so unmittelbar seelisch erfahrbar geworden.

 

Was die Salzburger Camerata aus der charakterstarken Musik des Komponistengenies herausholen, ist einzigartig. Die Musik klingt sinfonisch satt, überwältigend, vereinnahmt, fesselt und dringt aus einem tonal verdichteten Klangkern an die orchestral feine Oberflächenstruktur.

 

Die Töne geraten in einen Schwebezustand, werden zu duftigen Leichtgewichten und verflüchtigen sich schwerelos neckisch tänzelnd im Auditorium.

 

Ein Wechselbad der Gefühle, mal sprühend leidenschaftlich, dann weltentrückt, verklärt und zu guter Letzt beinahe zuversichtlich sprudelnd. So intensiv und spannungsgeladen gestaltet sich die orchestral-klaviertuose Interpretation des Mozart-Klassikers.

 

Von der ersten Sekunde an verschmilzt Hélène Grimaud mit ihrem Instrument. Ihre fragilen, langgliedrigen und sehr wendigen Finger dringen mit sanfter Entschlossenheit in die Klaviatur ein.

 

Sie werden eins mit den Tasten, meistern salopp und mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit schwindelerregende Läufe, erforschen mit eindringlicher Schärfe die dramatisch temperamentvollen Presti, um sich letztendlich in der beglückenden Romanze des 2. Satzes in hauchzarter, balsamischer Weichheit wohlgefällig aufzulösen.

 

©Mat Hennek/DG / Universal Music

Dabei genießt die Pianistin ganz offensichtlich jeden einzelnen Ton. Ihre Mimik spricht Bände. Ihr Gesichtsausdruck wirkt entrückt und fern. Versunken in eine kosmische Klangwelt und dennoch mit präzisiertem Fokus hoch konzentriert  bei der Sache, haucht Grimaud dem Werk Mozarts ihre eigene Empfindsamkeit ein.

 

Es ist tatsächlich die persönliche Interpretation dieser begnadeten Künstlerin, die das Erbe des musikalischen Genies auf einen noch emotions- und ausdrucksstärkeren Sockel erhebt.

 

Als schließlich Schumanns Klavierkonzert zum Zuge kommt, verwandelt sich das virtuose Spiel der Hélène Grimaud in eine unvergleichbar harmoniesatte Traumlandschaft und lässt  klangmalerische Poesien entstehen, die wahrhaft Bände sprechen. 

 

Landschaftsbilder, emotionale Texturen, Farbtemperaturen: Ein Kaleidoskop vielschichtiger Eindrücke entsteht beim bloßen Zuhören. Es ist ein Kopfkino, das den roten Faden der musikalischen Geschichte fort- und weiterspinnt.

 

Am Ende ist es aber auch in ganz besonderem Maße eine überaus intensive Stimulation der Sinne.

 

Schließlich weiß die kongeniale Musikgemeinschaft, in welch tonal facettierten Gewässern Schumanns Klavierkonzert fließen muss, damit sich die Klangpoesie zu ausgeprägter Reife entwickeln kann.

 

Übersteigerte, herrlich überschwappende romantische Gefühle. Verklärte, hochelegante Harmonieergüsse. Mit Grimauds interpretatorischem Geschick klingt Schumann so überwältigend traurig und zum Mitleiden schön wie sonst nie.

 

Dabei wirkt das motivische Leitthema so multifacettiert und mehrdimensional in all seiner Klangbarkeit, dass man sich mit jeder Sekunde mehr und mehr in der Musik verliert, sich mit ihr so sehr identifiziert, dass man meinen könnte, der Gefühlswelt des Komponisten aufs Intimste nahe zu kommen.

 

Hélène Grimaud vereinnahmt, hypnotisiert und zieht ihr Publikum in den Bann der sinnlichsten aller Empfindungen: der uneingeschränkten Hingabe zur Musik - das hört man, sieht man und spürt man beinahe schon körperlich.

 

©Mat Hennek/DG / Universal Music

Und die Salzburger Camerata werden dabei zu keinem Zeitpunkt müde, der Pianistin den süffigsten aller Klangteppiche zu unterbreiten.

 

Nie zu vordergründig, übergriffig oder gar vereinnahmend untermalen sie die Einsätze der Fingerakrobatin mit wohldosiert akzentuierter Geschicklichkeit.

 

Bei Mozarts Sinfonie Nr. 40 in g-Moll trumpfen die Kammermusiker unter der Leitung von Giovanni Guzzo dann aber so richtig im Alleingang auf.

 

Mit Verve, Esprit und leidenschaftlicher Hingabe verklangbart sich das symphonische Meisterwerk zu einem fulminanten Feuerwerk orchestraler Gefühlsausbrüche.

 

Viel Temperament, eine gehörige Portion Dynamik und rhythmisch-agogische Raffinesse lassen den Zuhörer den Puls der Musik gänsehautnah fühlen, bevor der letzte musikalische Coup den höhepunktreifen Abschluss der höchst eindringlichen instrumentalen Inszenierung bildet.

 

Moderne Anklänge an das Neuzeitliche werden durch Valentin Silvestrovs "The Messenger" wach. Zutiefst beseelt, zart und nahezu zerbrechlich lehnt sich die klangreduzierte Moderne an die Opulenz der epochalen Romantik und schafft somit etwas grundsätzlich Neues, ohne den Blick für die Schönheit einer vergangenen musikalischen Ära zu trüben.

 

Feinschimmernd verglimmen die Streichersoli im Wechsel mit dem akzentuierten Klavierspiel. Symbiotisch wirkt das Zusamnenspiel von Klavier und Streicher und gleicht doch einer wundersamen Metamorphose.

 

Schmetterlingshaft mit sanftem Flügelschlag entgleitet die Musik in die unendliche Weite des tonalen Universums und rückt langsam aus dem Blickfeld der Sinne.

 

Noch lange höre ich ihm hinterher, dem Schmetterling meines musikalischen Glücksmoments, der mir an diesem Abend ein grenzenloses Freiheitsgefühl voller emotionaler Magie beschert hat.


©Felix Boede / Sony Classical

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