Asmik Grigorian und Lukas Geniušas sorgen im Kleinen Saal der Elbphilharmonie für Beifallsstürme

26. Mai 2022

Rubrik Konzert

©Daniel Dittus

Vielleicht zählt Asmik Grigorian mit Anfang vierzig tendenziell eher zu den Spätzünderinnen unter den Shooting-Stars der Opernbranche. Gewiss ist jedoch, sie hat gezündet. Und zwar bei den Salzburger Festspielen im Jahr 2018.

 

Dort nämlich triumphierte sie in Richard Strauss Oper Salome und ist seitdem nicht mehr von den internationalen Bühnen wegzudenken.

 

Mittlerweile gilt die litauische Schönheit mit der etwas geheimnisvollen Aura sowieso als absoluter Geheimtipp am Sopranistinnenhimmel und wird, wie könnte es anders sein, von den großen Häusern mit aller Regelmäßigkeit angefragt und gebucht.

 

Dass sie einst mit Stimmproblemen kämpfen musste und nahe daran war, ihren Beruf als professionelle Opernsängerin an den Nagel zu hängen, kann man kaum glauben, wenn man Asmik Grigorian mit einer selbstbewussten Selbstverständlichkeit auf der Bühne singen hört.

 

Ihr Markenzeichen, das zugleich auch ihr Alleinstellungsmerkmal ist, findet in allen tragischen Rolleninterpretationen ihre Wirkstätte. Höchst effektvolle und extrem ekstatische Dramatik in all ihren facettenreichen Abspreizungen: Genau darin ist Grigorian die absolute Spezialistin.

 

Mal singt sie sich theatralisch um den Verstand, dann wieder katapultiert sie sich in eine so authentisch wirkende Verzweiflung, dass sich Schauspiel und gesangliche Ausdruckskraft zu einem Schmelztiegel kontrollierter Ekstase formschön vereinen.

 

©Daniel Dittus

Fasziniert bleibt man an dieser Sängerinterpretin hängen und kommt so leicht auch nicht mehr von ihr los, obgleich ihre Stimme etwas Raues, Unangepasstes, ja etwas Kantiges und Eckiges mit sich bringt.

 

Leicht hölzern, wenig geschmeidig, dafür aber umso expressiver, leidenschaftlicher und von einer tiefen Beseeltheit ummantelt, transportiert das Vokalinstrument der Litauerin zutiefst ehrliche, unverfälschte und wahrhafte Gefühle ins Auditorium.

 

Davon kann man sich am heutigen Abend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie selbst überzeugen. Mit einem romantischen Liedrepertoire des russischen Komponisten Rachmaninow treten Asmik Grigorian und Ihr Liedbegleiter Lukas Geniušas die musikalisch genussvolle Probe aufs Exempel an.

 

Jeder Liedzyklus steht dabei für sich, wird aber leider durch den unnötigen Zwischenapplaus nach wirklich jeder künstlerischen Darbietung in all seine Einzelteile zerlegt. Das stört ungemein, hemmt den musikalischen Erzählfluss und unterbindet so eine sich intensiv entwickelnde Emotionalität.

 

Es wird tatsächlich so viel und so ungehemmt geklatscht, dass beide Interpreten aus dem Konzept gerissen immer wieder Anlauf nehmen und von Neuem beginnen müssen. Der musikalische Flow ist jedenfalls komplett dahin.

 

Doch Asmik Grigorian trägt es mit bescheidener Fassung und lächelt jeden einzelnen Applausregen auf eine charmante Art relativ schnell hinfort.

 

©Daniel Dittus

Ein wenig schüchtern und verloren wirkt das zarte Persönchen, wie es da so allein auf der Bühne steht. Kaum zu glauben, dass in der Sängerdarstellerin so viel geballte Vokalkraft steckt, dass der Kleine Saal beinahe zu Vibrieren beginnt.

 

Tatsächlich ist dort die Akustik deutlich differenzierter und unmittelbarer als im Hauptsaal der Fall, dem Schuhkartonprinzip sei Dank.

 

Bis in die letzten Reihen erlebt man daher einen intimen Liederabend, der von resonanzstarken Schwingungen geprägt ist und die tönende Luft stabil in jeden Winkel des Saales trägt.

 

Mit Rachmaninows Musik, die sich dramatisch-leidenschaftlich immer wieder aufbäumt und durch eine ausgeprägt differenzierte Dynamik besticht, bleibt es musikalisch spannend, abwechslungsreich und interessant.

 

Kaum mit dem deutschen Liedgut zu vergleichen, wirken Rachmaninows Kompositionen zuweilen schwerfällig und heben sich aufgrund des stark ausgeprägten melancholischen Untertons von allem bislang Gehörten markant ab.

 

Aber wie war das noch gleich mit der russischen Seele?

 

©Daniel Dittus

Geniušas, der sich ebenso klangvoll wie ausdrucksstark auf seiner Klaviatur verewigt, erhebt sich bei seinen zwei eindrucksvollen Soli zu einen wahrhaften Musikgestalter, der fingerakrobatisch ausgesprochen virtuos aus der Deckung des Liedbegleiters hervorkommt und unter anderem das Auditorium mit Rimski-Korsakows weltbekannten Hummelflug entertainmentsicher ganz für sich und sein verrückt temporeiches Spiel vereinnahmt.

 

Wie ein Derwisch tanzen seine Finger auf der Klaviatur, schlagen auch mal hart und treffsicher auf den Tasten herum, dass einem ganz anders wird.

 

Wild, ungestüm und von einer unkontrolliert wirkenden Manie schüttelt der Russe seine technisch perfekten Asse aus dem Ärmel, als koste es weder Mühe noch großartige Anstrengung.

 

Wie gut muss ein Pianist wohl sein, um so lässig schwerste musikalische Kost darbieten zu können?

 

Leicht und salopp dahingeplänkelt sieht es zuweilen schon aus. Doch der Schein trügt gewaltig.

 

Nach einem gekonnt atemberaubenden und riskanten Flug, der mit frenetischem Applaus quittiert wird, geht es vorerst in die Pause, bevor sich der zweite Programmteil mit weiteren Romanzen und kleineren Tragödien unterhaltsam durch den klangvollen Abend mäandert.

 

©Daniel Dittus

©Daniel Dittus

©Daniel Dittus

Und Asmik Grigorian klingt von Lied zu Lied besser, potenziert ihre Stimmgewalt selbstbewusst ins Auditorium. Ungebrochen scheinen dabei ihre leidenschaftlichen Ausbrüche leidvoll schmerzend nachzuhallen.

 

Sanft und durchlässig, beinahe schon fragil klingt es zuweilen in den verklärten Liedern. Bei "Hier ist es schön" zeigt sich Asmik Grigorian interpretativ entrückt verzückend und zutiefst beseelt.

 

Ein wahrhaft beseelter Abend geht, man will es wirklich kaum wahrhaben, nach knapp eineinhalb Stunden zu Ende und wird zum Bedauern des enthusiasmierten Publikums gerade mal mit einer Zugabe komplementiert.

 

Dafür aber bekommt man direkt nach dem Konzert die Gelegenheit den beiden kongenialen "Musiküssen" bei einer Autogrammstunde noch etwas näher zu kommen als in der 1. Reihe des Parketts.

 

Was will man mehr? Musikgenuss mit Aha-Effekt und ein auratisches Künstler-Hautnaherlebnis. Die Elphi macht´s doch tatsächlich immer mal wieder möglich.


©Alpha Classics / über youttube zur Verfügung gestellt

Asmik Grigorian singt op. 4 des Komponisten Rachmaninow und begleitet sich selbst dabei am Klavier - eine Frau mit einer unverwechselbaren Stimme, die nicht angepasst und schon gar nicht gefällig klingen will, sondern aus allen Facetten des Lebens schöpft - gefühlsecht und authentisch.

 

©Various Artists / über youttube zur Verfügung gestellt

In Dissonanz op. 34 überrascht die Litauerin mit einer wahnsinnig intensiven Energie. Stimme und Emotionen verschmelzen in einer elektrisierenden Interpretation, die man selten so je zu Gehör bekommen hat.


©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Die unwiderstehliche Manon Lescaut an der Wiener Staatsoper

Geld oder Liebe? In Puccinis melodramatischer Oper Manon Lescaut wird die Protagonistin Manon alias Asmik Grigorian genau vor diese Entscheidung gestellt - entweder oder! Beides kann sie nicht haben.

 



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