28. November 2022
Rubrik Konzert
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
Ein Galakonzert der Superlative und noch dazu für einen guten Zweck: An der Wiener Staatsoper kommen just am 1. Advent die Superstars der Klassik von Heute und Morgen zusammen, um in der vorweihnachtlichen Zeit musikalisch und menschlich ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen.
50 Jahre ist die humanitäre Hilfskampagne "Licht ins Dunkel" jung, die als Verein mit Sitz in Wien bedürftigen Familien, insbesondere Kindern und Teenagern finanziell unter die Arme greift. Aus Anlass zum runden Jubiläum unterstützen neben Publikumslieblinge wie Jonas Kaufmann, Bassbariton Erwin Schrott, Mezzosopranistin Patricia Nolz und die Sopranistin Maria Nazarova die Benefizveranstaltung in singend klingender Form.
Und wie es klingt! Ein Programm querbeet, das weder einen roten Faden aufzeigt, noch stark an ein leitmotivisches Thema gebunden scheint, so stimmt das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Leo Hussain mit einer buffonesken Ouvertüre aus Rossinis "Il barbieri di Siviglia" auf einen Abend ein, der sowohl heitere Lichtmomente als auch düstere Schattenseiten des Lebens in musiktheatralischer Form offenbart.
Die Leiden des jungen Werther, so klagend und verzweifelt öffnet Tenor Jonas Kaufmann gleich zu Beginn tonal sein Herz, als es in Jules Massenets gleichnamiger Oper mit "Pourquoi me réveiller" melodramatisch ans arios Eingemachte geht.
Epochale Welten überwindend, reisen wir nach Kaufmanns Auftritt direkt in das Barockzeitalter zurück und lauschen gebannt der honiggoldenen Stimme von Patricia Nolz, die in einer atemberaubenden Robe so umwerfend in Erscheinung tritt, dass man der gesanglichen Interpretation von Händels Arie "Dopo notte, atra e funesta" aus der Oper "Ariodante" umso gespannter und aufmerksamer lauscht.
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
Geschmeidig, seidig schimmernd, golden und gaumenrund, zudem so herrlich biegsam gestalten sich die virtuosen Koloraturen mit samt der ambitusreichen Läufe, welche die Mezzosopranistin zum Besten gibt. Patricia Nolz wird nicht müde, sich vokalakrobatisch in einem "ekstatischen Flow" zu verlieren, der ihre Stimme scheinbar mühelos in immerzu rauschhaftere Höhenflüge katapultiert.
Großartig ist die gesangliche Darbietung der gerade mal 27-jährigen Interpretin, die zudem mit einer bemerkenswerten Bühnenpräsenz gesegnet scheint.
Während die Programmpunkte tatsächlich keinem musikalisch stringenten Plan folgen, singen sich die Wiener Sängerknaben mit Mozarts " Dir Seele des Weltalls" in sphärisch entrückte Dimensionen. Schön und sogar ein bisschen unwirklich klingen die unverbrauchten Knabenstimmen, die einen beseelten Zauber offenbaren, wie er eben nur von jugendlich zarten Stimmen erzeugt werden kann.
Ist denn schon wieder Kaufmann-Zeit? Kaum, dass wir Jonas Kaufmann gesehen und gehört haben, betritt der Barde mit seinem voluminös ausgereiften Vokalinstrument erneut die Bühne.
Als Fidelio aus Beethovens gleichnamiger Oper wie aus dem Nichts seine Stimme langsam erhebt - durchlässig, dumpf und kratzig, entfaltet sich das anfänglich guttural abgewürgt klingende Pianissimo erst zu voller Vokalpracht, als der Tenor sein Stimmmaterial peu à peu zu einem ausbalancierten und deutlich saturierteren "Crescendo" aufdreht.
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
Die präzise Intonation aus dem Reich der hauchzarten Piani heraus klappt an dieser Stelle nicht wirklich gut. Jedoch gelingt dem Tenorissimo der langatmige Sprung in das mächtigere und furchteinflößendere Dunkel eines gewaltigen, wuchtbebenden Crescendo.
In irisierenden Traumwelten gefangen und dennoch sphärisch schwerelos, mutet die lyrische Zauberhaftigkeit der Sopranistin Maria Nazarova an. Wer Richard Strauss´ "Morgen" so weltlich entrückt, so gedankenverloren und verträumt interpretieren kann, der hat sich seinen Applaus mehr als nur redlich verdient.
Was für eine perfekte Interpretation. Was für intensive Gefühle, die sich in melancholischer Hoffnung auf ein neues Glück - auf einen neuen Morgen - stimmlich so rein und duftig zart verlieren.
Nachdem die Wiener Sängerknaben ein zweites Mal zum Vokalangriff übergehen und der zweite Programmteil ganz offensichtlich die zweite Runde für alle bisher aufgetretenen Sängerinterpreten einläutet, bespaßen uns Markus Hering und Grischka Voss vorher noch kurz mit herzerwärmenden und ebenso herzzerreißenden Texten, die beim Literaturwettbewerb "Ohrenschmaus" ihre Entstehungsgeschichte fanden.
Auch die Tanzeinlage der "Ich bin O.K." Dance Company mit einer Coldplay Adaption von "Viva la vida" lockert die ariose Veranstaltung ein wenig auf und bringt rhythmischen Schwung sehr bewegend auf die Bühne.
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
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Und da nun mal aller guten Dinge drei sind, erleben wir Startenor Jonas Kaufmann wiederholt auf den Brettern des Ersten Hauses am Ring mit seiner allseits beliebten Signature Arie " E lucevan le stelle" aus Puccinis epischer Oper "Tosca".
Kaum ein anderer Tenor besingt die leuchtenden Sterne am Himmel so tieftraurig und zu Tode betrübt wie Jonas Kaufmann höchstpersönlich. Auch wenn der leicht verschnupfte Tenorheld sich an diesem Abend nicht ganz auf der Höhe seiner gesanglichen Kapazitäten entfalten kann, so überzeugt die zutiefst gefühlsbetonte Interpretation des Vokaldichters allemal.
Ein Encore gibt es jedoch nicht!
Voller Erwartung, dass auch der Bassbariton Erwin Schrott endlich seinen Weg auf die Bühne finden wird, besänftigen uns Patricia Nolz und Maria Nazarova vorab gemeinsam mit romantischen Nachtschwärmereien. Jaques Offenbachs Duett "Barcarolle" hat es immer wieder in sich und verführt zu einer melodisch klangfarblichen Gondelreise.
Leider stört die dynamische Disbalance zwischen Sopran und Mezzosopran. Eine Prise zu dominant singt sich Maria Nazavora mit übertönender Stimmgewalt in den Vordergrund, was dazu führt, dass der Guss aus zwei vokal gleichberechtigten Klangkörpern keine harmonische Verschmelzung erfährt.
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
Stattdessen erfährt das Publikum Temperament. Und zwar in höchst geballter Form. Erwin Schrott und Tobias Kochseder zeigen, was es braucht, um das Feuer im argentinischen Tango zu entfachen. Mit "Rojotango" wird einem dabei nicht nur warm ums Herz, sondern geradezu heiß, was sicherlich auch daran liegt, dass Erwin Schrotts verführerisch tiefsamtenes Timbre sein übriges dazutut.
Man ist versucht, das Tanzbein mitschwingen zu wollen, so vereinnahmend ist die musikalische Darbietung der beiden Musiküsse. Doch der bunt durchmischte Gala-Abend neigt sich gen Ende. Stürmischen Applaus erfahren alle Gesangssolisten beim Anstimmen von Leoncavallos "Mattinata".
Licht ins Dunkel hat das Benefizkonzert tatsächlich geworfen, denn es hat sein Publikum mit musikalisch erhellenden Momenten verwöhnt und wird hoffentlich auch alle Benefizianten des heutigen Abends alsbald aus dem Dunkel ins Licht führen.
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel
©Roman Zach-Kiesling / 50 Jahre Licht ins Dunkel