jonas kaufmann live vor publikum in Wagners konzertanter Walküre an der bayerischen staatsoper

BEGEISTERUNGSSTÜRME EINES KULTURELL AUSGEHUNGERTEN PUBLIKUMS

14. Mai 2021

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Tosender Applaus und schier nicht verebben wollende Beifallsrufe dringen durch die erlauchten Hallen des Münchner Nationaltheaters, das am gestrigen Abend zum ersten Mal seit letztem Sommer 2020 seine Pforten für das kulturell ausgehungerte Publikum wieder öffnen durfte.

 

Es sind die Begeisterungsstürme einer nach Musik lechzenden Zuhörerschaft, die von ihrem Recht zu Applaudieren demonstrativ und voller Leidenschaft Gebrauch macht, noch bevor drei hochkarätige Sangeskünstler den hehren Musentempel in tonale Wohlklänge hüllen.

 

Mit der Wiederaufnahme des Opernbetriebs und einem vorsichtigen Herantasten an eine auf etwa 800 Sitzplätze restringierte Besucherzahl, läuteten der Münchner Tenor Jonas Kaufmann zusammen mit der Norwegischen Sopranistin Lise Davidson und dem Sauerländischen Bass Georg Zeppenfeld eine konzertante Erlebnisreise durch Richards Wagners 1. Akt der Walküre ein.

 

Ein historisches Momentum, das sowohl die Uraufführung von Wagners Meisterwerk vor 151 Jahren markiert, als auch den hoffnungsweisenden Neubeginn einer wieder auflebenden Opernkultur des Hauses manifestieren soll.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

"Die Musik als Toröffner für Herz und Sinne, ein nicht zu ersetzender Ort künstlerischen Erlebens und der Begegnung, anders aber fortdauernd", so anrührend artikuliert der Generalintendant Nikolaus Bachler seine optimistischen Gedanken im Hinblick auf die erschöpfend lang anhaltende pandemiegetriebene Kulturbremse, kurz bevor die Musik nach langer Abstinenz das Wort ergreift.

 

Dass der Rückbau des Orchestergrabens in seinen ursprünglichen Zustand dabei ein Zeichen für kulturelle Normalität setzt, selbstverständlich unter Einhaltung aller gesundheitskonformen Maßnahmen, macht Mut und lässt Retrospektiven und zukunftsgerichtete Bedenken gar nicht erst zu.

 

Diese verblassen gleich mit den ersten Orchesterklängen, die so heroisch fortissimo und spannungsgeladen an das musikentwöhnte Gehör dringen, sodass man jeglicher Zweifel komplett erhaben scheint.

 

Ausgehebelt ist das Gedankenkarussell spätestens, als der Gastdirigent Asher Fisch das Pult auf der Bühne betritt. Mit dem Erheben des Tacktstocks verstummt das Publikum und die Magie der tonalen Entrücktheit hält vollumfänglich Einzug.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Und prompt ist der Hörer mitten im Geschehen. Nervös flirrende Geigen schrauben sich in ekstatische Crescendi, nur um der Dynamik Raum verleihend, mal kurzweilig zu verebben, um sogleich wieder aufzubegehren. Wagners Auftakt ist rhythmisch vorpreschend, schnelllebig und von einer spannungsgeladenen agogischen Sprengkraft, dass man in einen rauschenden Sog hineingezogen wird.

 

Musikalische Erzählkunst, das scheint bezeichnend für die tonalen Facetten der Musik Wagners zu sein. Waldähnliche Geräusche, imitiert durch den Klang der Oboen und Hörner, stimmen gegen die peitschenden Geigen und Kontrabässe an, die entfernt an den eigentlichen Ritt der Walküren im 3. Akt erinnern.

 

Mit dem Einsatz der Gesangssolisten gestaltet sich ganz plötzlich die orchestrale Untermalung deutlich reduzierter, getragener und teilweise monoton abflachend.

 

Mal erklingen aus der Gedämpftheit der Töne expressive Klarinettensoli, mal gesellt sich zuweilen noch eine Oboe dazu. Wirklich raumgreifend wird der Orchesterklang aber nur stellenweise, was dazu führt, dass der Gesang in den Mittelpunkt rückt und zum Charaktermerkmal des musikalischen Handlungsrahmens erhoben wird.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Ein tonal erfrischender, glasklarer und dennoch in den Tiefen samtig austarierter Jonas Kaufmann begeistert mit Esprit, Ausdruckskraft und Stimmpotenz.

 

Zwar nicht sofort und vielleicht zu Beginn etwas zurückhaltend. Doch spätestens bei der Arie Ein Schwert verhieß mir der Vater dreht der Tenor so richtig auf, schöpft aus dem vollen Spektrum seiner vokalathletischen Kraft und beendruckt vollends bei den Wälserufen.

 

Während einem dabei selbst die Luft schier wegbleibt, hält der Münchner Tenor, was er als weltbester Vertreter seiner Zunft verspricht und reizt den schallintensiven Legatobogen des 2. Wälserufes bis kurz vor dem Atemexitus aus.

 

Es ist ein seltenes Vergnügen, einer dermaßen kraftvollen Stimme zuzuhören, die sich was traut und es auch kann, auch wenn der Bogen des unangefochtenen Könnens des Tenors immer um ein MÜ überspannt scheint.

 

Mit den Winterstürmen wird es zunehmend lyrischer, luftiger und leichter. Und auch dieser gesanglichen Facette bedient sich Kaufmann mühelos und mit einer unangestrengten Nonchalance, die auf eine verführerische Art nahezu balsamisch, um nicht zu sagen sirenenhaft wirkt (obwohl letzterer Vergleich für einen Tenor gewaltig hinkt).

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Liese Davidsen, die in der Rolle von Kaufmanns Zwillingsschwester gesanglich zu voller Blüte ausreift, komplementiert die  tenoral eingedunkelte Stimmfarbe Kaufmanns mit einem kolossal wuchtigen und sehr dunklen Sopran.

 

Eine betörende Melange zweier ausgewogener Stimmkörper, die harmonisch perfekt aufeinander einwirken.

 

Mit einer klaren Stimmführung, einem angenehmen Klangschmelz und einem wohlklingenden starken Timbre bezirzt die darstellerisch präsente Norwegerin in lyrischer Formvollendung ihren Zwillingsbruder.

 

Georg Zeppenfeld steht bei dieser Turtelei definitiv hintan, ist sein Auftritt zudem auch nur von kurzer, aber intensiver Verweildauer.

 

Gesanglich sonor, kraftvoll und tiefenentspannt mimt er den Bösen - und das auch noch sehr überzeugend in seinem darstellerischen Ausdrucksvermögen.

 

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper

Ein rundum gelungener Abend neigt sich viel zu schnell gen Ende, nicht aber ohne die vom Publikum lautstark eingeforderten Zugaben mittels Applaus zu erwirken.

 

Und so kommt es, dass alle drei Interpreten jeweils eine am Flügel begleitete Zugabe zum Besten geben. Jonas Kaufmann glänzt dabei mit einem von Wagners Wesendonck Liedern - Träume. Oh ja, das konnte man heute Abend definitiv.

 

Liese Davidsen hingegen lässt ihre norwegischen Wurzeln gesanglich erstrahlen und Georg Zeppenfeld brilliert mit dem Schlussmonolog des Richard Strauss-Klassikers Die schweigsame Frau, den er eigens für den Anlass umgedichtet hat. So singt er nun nicht mehr: "Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist", sondern "aber wie schön erst in diesen Zeiten!"

 

Das Publikum tobt zu Recht, immer und immer wieder. Der Applaus scheint nicht abreißen zu wollen. Begleitet von Bravi-Rufen und einem donnernden flächendeckenden Fußgestampfe will das Publikum sich von seinen Künstlern auf der Bühne nicht trennen.

 

Viel zu lange konnten beide einander weder sehen noch hören. Der Nachholbedarf ist groß und ungestillt.

 

Zum Glück geht die konzertante Walküre diesen Sonntag in die zweite Runde - und so die Inzidenzwerte wollen auch wieder vor Publikum.


©Jonas Kaufmann über youtube zur Verfügung gestellt

Ein Schwert verhieß mir der Vater. Eine Hörprobe des Arien-Klassikers von einem der weltbesten Tenöre gesungen.

 

Das Live-Erlebnis vor Publikum kann diesen Sonntag in der Bayerischen Staatsoper hautnah und unplugged miterlebt werden.

 

Alle Infos unter:

 

www.staatsoper.de


Kommentare: 0