13 musikalische montage und ein KLANGVOLLER abschied

KIRILL PETRENKOS LETZTES KONZERT AN DER BAYERISCHEN STAATSOPER

02. JULI 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Es war das letzte Montagskonzert der aktuellen Spielzeit. Und es war zugleich ein Abschied von einem großen Künstler, der es verstand, Münchens renommiertestem Kulturtempel musikalische Hochgenüsse zu entlocken.


Die Bayerische Staatsoper beendete die scheidende Opernsaison mit einem musikalischen Programm, das ganz auf den noch amtierenden Generalmusikdirektor des Hauses zugeschnitten schien. Kirill Petrenko, der nun sein Dirigat mit der kommenden Spielzeit am Münchner Opernhaus endgültig niederlegt, demonstrierte am gestrigen Abend noch einmal, wie hohe Tonkunst geht.


Und dieses Mal sogar vor Publikum, obgleich dies nur in drastisch reduzierter Besucherzahl zugegen war. Aus den ausgedünnten Reihen des Balkons und des ersten Rangs sah man gerade Mal eine Handvoll Menschen, die im Verhältnis 100 zu 2000 den geisterhaft leeren Saal des Nationaltheaters füllte. Maskiert und den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstand wahrend, verteilte sich die verschwindend geringe Anzahl der klassikbegeisterten Zuhörer im luftig weiten Raum des Theaters.


Auf den im Scheinwerferlicht verblassend wirkenden Samtstühlen des Parketts saß leider niemand. Gähnend leer erstreckten sich die vielen unbesetzten Reihen bis in die stockdunkle Finsternis der hinterletzten Sitzplätze.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Obgleich das enthusiastische Klatschen der ausgezählten Menge nicht von dem traurigen Bild des beinahe verwaisten Auditoriums ablenken konnte, so zauberte das freundliche, fast milde Strahlen eines Kirill Petrenko, ein glimmendes Licht in den fast unbelebten Raum, der null Prozent Atmosphäre versprühte.


Entgegen der befremdlich erscheinenden Programmauswahl, trug die Mischung aus Orchesterwerken von Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und Richard Strauss zu einem überraschend perfekt abgestimmten und ausbalancierten musikalischen Abend bei, der ganz sicher an epochal stilistischer Diversität den klassischen Rahmen überaus gelungen steckte.


Von der Zwöfltonmusik Schönbergs über die Avantgarde eines Gustav Mahlers, sowie des facettenreichen Schönklangs eines spätromantischen Richard Strauss, der nur noch von der Neuen Musik des russischen Igor Strawinsky übertrumpft wurde, fehlte tatsächlich nicht mehr viel, um dieses 13. und somit letzte Montagskonzert unvergesslich zu machen.


Fast nebensächlich erscheint es, da noch zu erwähnen, dass bei aller musikalischer Exklusivität, das Sahnebonbon in Form eines Solointerpreten hinzuaddiert wurde, denn ein Saisonende ohne den weltbesten Tenor wäre auch zu schade gewesen. So klangvoll, aber so "sanglos" aus der krisengeschüttelten Kultursaison auszusteigen, hätte vielleicht sogar ein schlechtes Omen für den Auftakt der kommende Opernspielzeit im September 2020 bedeutet.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Somit präsentierte der Münchner Tenor Jonas Kaufmann Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die in der Überarbeitung von Arnold Schönberg zum Besten gegeben wurden und dem Konzertereignis sicherlich den letzten feinen Schliff verpassten.


Dennoch stand dieser Abend ganz offensichtlich im Zeichen des Taktstockes. Und den Auftakt dazu machte daher auch der Dirigent selbst  - und zwar mit Arnold Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 op. 9, die für 15 Soloinstrumente geschrieben wurde.
Darauf folgte Igor Strawinskys Suite aus dem Ballett Pulcinella, das als sinfonisches Werk aus acht Teilen, inklusive der Ouvertüre und dem Finale in seiner Ganzheit aufgeführt wurde.


Völlig losgelöst, hoch konzentriert und mit einer Präzision am Werk, breitete Petrenko von Beginn an ein transparentes Klangbett des Außergewöhnlichen vor sich aus. Wie ein Juwelier, der aus einem Diamanten viele Tausend einmalige Facetten herausarbeitet und zum Leuchten bringt, so lauschte man der fein durchlässigen Orchestrierung der Instrumentalisten, die nie überladen oder gar zu energiestrotzend wuchtig auftrugen, sondern perfekt austariert musikalische Farbbrillanz und dezente Klangdichte in all ihrer Vielschichtigkeit miteinander zu vereinen wussten.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Mit weich fließenden, sanften Handbewegungen, die elegant, beinahe schon grazil jeden Einsatz auf den Punkt brachten, spürte ich sowohl Leidenschaft und bedingungslose Hingabe zur Musik, als auch eine natürliche Bescheidenheit, in der zu gleichen Teilen Demut und Dankbarkeit mitschwangen.


Petrenko ist scheinbar kein Musiker der selbstverherrlichenden Attitüden oder gar Posen, die wie in Stein gemeißelt, seine künstlerisch personifizierte Unsterblichkeit manifestieren könnten. Ein Dirigent, der sich seiner Selbstwirksamkeit hingibt, völlig bedingungslos, selbstlos agierend, sich ausnahmslos einer einzigen Sache verschreibt, sie in den Mittelpunkt seines Schaffens stellt und sich darüber nie erhebt, so würde ich Kirill Petrenko skizzieren, wenn nicht sogar porträtieren.


Geschmeidig ging einem daher auch die Musik in den Gehörgang, obgleich Schönbergs atonale symphonische Eskapaden, keine allzu leicht verdauende tonale Kost sind. Dennoch schaffte es der passionierte Perfektionist am Tacktstock, dieser Musik eine Leichtigkeit und Schönheit zu verleihen, die es mir letztendlich ermöglichten, Zugang zu diesem generell gewöhnungsbedürftigen Musikstil zu finden.


Auch Jonas Kaufmann überzeugte im großen Ganzen in seiner Gesangspartie des „Fahrenden Gesellen“, der, Macht des Schicksals, zwei blauen Augen verfällt und dabei unglücklich verliebt in den seelischen Abgrund stürzt.

 

©Nicole Hacke / digitales Musikerlebnis am iPAD

Hingegen vieler schmeichlerischer Bekundungen der eingeschworenen Fanbase klang Kaufmanns Gesang rein objektiv in den exponierten Höhen stellenweise eher heiser und durchlässig und verfehlte eindeutig seine messerscharfe Brillanz, zu angeraut und auch zu wenig perlend klar durchdrang die stimmliche Eleganz, mit der Kaufmann doch so eindeutig gesegnet ist, den Kosmos der glockenklaren Vokalsphären.


Vielleicht aber lag es auch daran, dass ein stark transpirierender Tenor, unpässlich wirkte und sich eventuell auch so fühlte. Während Kaufmann noch beim 4. Montagskonzert mit einer eindeutig wahrnehmbaren Lässigkeit das gesamte Auditorium mit seiner Bühnenpräsenz sowie mit seinem sonoren und wohl austariertem Gesang vereinnahmte (und das ganz ohne Publikum) und zudem noch durch schauspielerische Exzellenz bestach, merkte ich bei seinem gestrigen Auftritt eine unterschwellige Distanziertheit, die steif, ungelenk und etwas deplatziert abwesend wirkte.


Rein interpretativ gelang Kaufmann aber nichtsdestotrotz ein großartiger gesanglicher Coup, indem tiefe, echte und authentisch repräsentierte Emotionen an die Oberfläche drangen und die verzaubernde, tieftraurige Musik Malers zu einem Werk mit charakterlichem Tiefgang und ungezügelter musikalischer Lebendigkeit avancieren ließen.

 

©Nicole Hacke / digitales Hören und Sehen

Entrückt und wie aus einer anderen Welt, schwebte man ein wenig in dieser magischen Lethargie aus Tönen, und versank auch zunehmend immer mehr in der teils ätherisch klingenden Vokalwelt.


Dabei machten eindeutig die tiefen Register Kaufmanns mit absoluter Stimmgewalt auf sich aufmerksam.


Deutlich baritonaler eingefärbt, trog mich das Gefühl nicht, dass sich Kaufmanns Vokalinstrument bauchiger anhörte und im Nachdunkeln begriffen, eine immer stärkere Ausprägung anzunehmen scheint, die sich vor knapp einem Jahr längst noch nicht erahnen ließ.

 

©Nicole Hacke / digitales Hören und Sehen

Nachdem ein Ernst wirkender Jonas Kaufmann die vier Lieder des "Fahrenden Gesellen" beendet hatte, noch kurz seinen Applaus einheimste, verschwand er auch schon zügig von der Bühne und überließ den Abschluss des Abends seinem Kollegen Kirill Petrenko, der mit der Orchestersuite von Richard Strauss, aus der Musik zum Bürger als Edelmann des Molière Op. 60 (III), einen fulminanten Konzertabend ausklingen ließ.

 

Ohne Zweifel war Kirill Pentrenko der Stern der Stunde, auch wenn ein Abschied vor großem Publikum seiner musikalischen Größe eindeutig mehr entsprochen hätte.

 

Mit einem bescheidenen Lächeln auf den Lippen verließ der Dankbarkeit bekundende Dirigent die Bühne - jene Bretter, die die Welt bedeuten und hoffentlich zukünftig auch wieder Anlaufstelle für viele Kulturliebhaber sein werden.


©Season Preview / Bayerische Staatsoper -  über Youtube zur Verfügung gestellt

In der kommenden Spielzeit kommt die Bayerische Staatsoper ganz groß raus! Und zwar mit einer Reihe von Neuinszenierungen, Uraufführungen und alten Meisterwerken, die erstmalig am Nationaltheater uraufgeführt wurden und just ein Revival erleben werden.

 

Namhafte Regisseure, Dirigenten und Künstler werden die Saision 2020 - 2021 bestreiten. Mit dem Season Preview der Bayerischen Staatsoper erfahren wir schon jetzt, welche besonderen Höhepunkte uns ab September 2020 offeriert werden.


Kommentare: 2
  • #2

    Nicole (Freitag, 17 Juli 2020 17:50)

    Liebe Waltraud,

    schön, dass Sie so fleißig die Haare aus der Suppe fischen. Manchen Menschen kann man es einfach nie recht machen. Wie schade, das erschwert das Leben nur unnötig.
    Er heißt übrigens Petrenko, nicht Patrenko, wenn ich das im Gegenzug einfach mal so nebenbei anmerken darf.
    Und er ist mit der neuen Saison nur noch Gastdirigent an der BSO, in Berlin ist er mittlerweile schon der neue Chefdirigent des Hauses.
    Insofern, bleiben Sie weiterhin gut informiert. Ihnen noch eine schönen, sonnigen Tag. Genießen Sie das Wetter.

  • #1

    Waltraud Becker (Freitag, 17 Juli 2020 11:53)

    Was da immer von Patrenko´s Abschied von München geafselt wird (nicht nur hier!)......
    er ist 19/20 und 20/21 halb Berlin, halb München. Tristan wir die große Abschiedsproduktion werden!!!