"cavalleria rusticana" mit Jonas Kaufmann, Elīna Garanča und Maria Agresta im teatro Di san carlo in Neapel

EIN LIVESTREAM "PER TUTTI"

06. DEZEMBER 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Drei Schlagworte braucht es gerade mal, um die einaktige Verismo-Oper "Cavalleria Rusticana" von Pietro Mascagni zu umreißen: Liebe, Eifersucht und Mord! Das sind die Hauptessenzen, die diesem brodelnden und vor Leidenschaft überkochenden Liebesdrama die rechte Würze und das sizilianische Temperament verleihen.

 

Und weil nun mal das Meisterwerk Mascagnis zu einer der Genussopern schlechthin zählt, fackelte das Teatro Di San Carlo in Neapel scheinbar nicht lange herum und verpflichtete für eine konzertante Fassung kurzerhand ein paar Operngrößen von Rang und Namen.

 

So finden sich an just diesem Abend die Mezzosopranistin Elīna Garanča, der Tenor Jonas Kaufmann und die Sopranistin Maria Agresta zu einer dramengespickten Ménage à trois im neapolitanischen Musentempel ein, um sich singend in eifrige "Tobsüchteleien" hochzuschrauben.

 

Dabei sitzt man bequem ohne große Kosten und Anreisemühen in seinem Sofa mit einem Glas Rosé in der Hand und verfolgt mit weiteren 10.000 anderen Opernenthusiasten das einmalige Klangspektakel am Bildschirm. Denn das Event findet gemäß aktuell geltender Konzertrestriktionen, wie könnte es auch anders sein, ganz intim in den privaten Wohnzimmern der Welt statt.

 

Bei einem unschlagbaren Ticketpreis von 1,09 Euro kann man sich darüber auch nicht beschweren, denn selbst das Hauen und Stechen um die besten und begehrtesten Plätze wird so komplett redundant. Limitierte Kartenkontingente sind, dem Internet sei Dank, künftig wohl eher Geschichte.

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Punkt 20:00 Uhr geht dann der Live-Stream an den Start. Die Übertragung läuft, wenn auch zu Beginn mit einigen Anlaufschwierigkeiten.

 

Mal ist das bewegte Bild für ein paar Millisekunden eingefroren oder leicht verzerrt, dann wiederum sieht man die Mundbewegungen der Sänger, hört aber keinen einzigen Ton. Synchronität? Fehlanzeige! Schließlich und endlich braucht es wohl noch einen zweiten Anlauf, um die Bewegungssequenzen exakt auf den Ton abzustimmen. Ob das tatsächlich eine Liveschaltung oder eventuell doch nur eine Aufzeichnung ist?

 

Nach acht Minuten Sendezeit wird die Übertragung für eine kurze Pause abgebrochen. Das Bild ist weg. Wenig später ist der Live-Stream wieder abrufbar und die komplett verwackelte erste Sequenz wird wiederholt abgespielt - und dieses Mal ohne qualitative Einbußen.

 

Entspannt lehne ich mich endlich in die weichen Kissenfluchten meines Sofas zurück und lausche konzentriert den magischen Klangwellen der dicht verwobenen Orchestrierung.

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Kaum eine Ouvertüre ist süffiger, satter und gleichzeitig so voller eruptiver Dynamik wie die der Cavalleria Rusticana.

 

Während die Kamera in Zeitlupe aus den höher gelegenen Rängen des Auditoriums auf das Bühnengeschehen hinab zoomt, mal ein Close-up von den Violinisten, dann von den Solointerpreten macht, erlebt man eingeschobene Szenenbilder, die in den samtroten Rängen des Theaters aufgezeichnet, mit dem konzertanten Geschehen auf der Bühne zu einer fließenden Einheit verwoben werden.

 

An einer goldverzierten Brüstung lehnend, nestelt eine Maria Agresta, alias Lola, an ihrem Geliebten Turridu (Jonas Kaufmann) herum, während aus dem Hinterhalt die eifersüchtige Santuzza (Elīna Garanča) das zärtliche Techtelmechtel der beiden aus eiskalten Argusaugen beobachtet.

 

Peu à peu reihen sich weitere Szenenbilder mit den Protagonisten zu einem Handlungsstrang aneinander, sodass man auch als Laie dem musikalischen Schauspiel folgen kann, selbst wenn man die Oper überhaupt noch nie gesehen hat. Untermalt nur noch von dem saalfüllenden Orchesterklang fügen sich diese Bildmosaike passgenau in den musikalischen Handlungsrahmen ein.

 

Ein absolut gelungenes Livestream-Experiment, das der unfreiwilligen Entwöhnung von echten Konzerterlebnissen gekonnt gestalterische Elemente entgegensetzt, die zumindest für den Moment versöhnlich stimmen.

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Mit dem Auftakt zur ersten Arie "Voi lo sapete o mama" tritt sodann die Mezzosopranistin Elīna Garanča in der Rolle der Santuzza in Erscheinung. Unruhig und aufgewühlt klagt sie der Schwiegermutter ihr Leid über den treulos gewordenen Turridu, der sich wiederholt auf seine verflossene Liebe Lola eingelassen hat.

 

Absolut ausdrucksstark, präsent und darstellerisch brillant erlebt man Elīna Garanča in einer Charakterrolle, in die sie so überzeugend hineinschlüpft, dass man sich in ihrer emotionalen Welt sofort verliert.

 

Dabei stellt sie nicht nur glaubwürdig ihre schauspielerische Versatilität unter Beweis, sondern zieht mit ihrer biegsamen, sehr athletischen Stimme alle Register, die auf der menschlichen Gefühlsklaviatur vorhanden sind.

 

Obgleich mir ihr Vibrato eine Nuance zu offensiv und ihr Klangschmelz zu metallisch durchfärbt ist, gefällt mir die tiefe Emotionalität, mit der Garanča ihr Vokalinstrument zum Schwingen bringt.

 

Besonders deutlich kristallisiert sich ihre überschwappende Emotionalität beim gemeinsamen Duett mit Jonas Kaufmann heraus. Fast wie bei einer Stichflamme sprühen die Töne wie Funken. Mit explosiver Stimmgewalt wirbelt Frau Garanca mal so eben die ganze Palette der menschlichen Gefühle auf und schlägt dabei musikalisch um sich wie ein lodernder Feuerball. Mir läuft es dabei heiß und kalt den Rücken herunter.

 

So frage ich mich nur noch, was Rage, Leidenschaft, Wut, Hass und Liebe im Alltag bedeuten, wenn die ganz große Oper uns in "Best practice" genau diese Emotionen so detailverliebt auf einen Haufen wirft?

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Die Antwort darauf bekomme ich postwendend geliefert, als der Münchner Tenor Jonas Kaufmann mit stimmgewaltigem Zorn die Bühne betritt und seine zänkisch eifernde Santuzza in einem vokalathletischen Schlagabtausch gehörig in die Schranken weist. 

 

Hören und Sehen vergehen einem dabei selbstverständlich nicht, denn das emotional spannungsgeladene Duett lässt einen nach nur noch mehr Drama verlangen.

 

Und das bekommt man ganz offensichtlich mit Vergnügen direkt an den Bildschirm serviert.

 

Noch mehr Vergnügen allerdings bereiten an diesem Abend die tenoralen Sahnestücke „Viva il vino“ und  „Mama, Mama, quel vino è generoso“, die Kaufmann mit inbrünstiger Leidenschaft und theatralischer Strahlkraft gewohnt ausdrucksstark und emotional kraftvoll transportiert.

 

Dabei sprengt sein stimmliches Volumen mal wieder das Maß aller Dinge. Weit gebundene Legati, die gerne bis zum Anschlag und darüber hinaus ausgereizt werden, sowie ausladende Decrescendi, die sich voller Dynamik in klangsatte Höhen schrauben, werden formvollendet getoppt durch Kaufmanns angenehm dunkelsamtigen Vokalkolorit.

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Ausdauernd ist dabei nur eines von vielen Adjektiven, das die Stimme des Startenors so prägnant bezeichnet.

 

Da fällt es auch kaum ins Gewicht, dass der gesangliche Rahmen der Sopranistin Maria Agresta etwas dezimierter ausfällt. Es tut ihrem lyrischen Schöngesang auch überhaupt keinen Abbruch, denn die Italienerin verzaubert stimmlich mit schier müheloser Leichtigkeit und vokalätherischer Eleganz.

 

Perlend leicht umschmeichelt die säuselnde Stimme mit koketter Verspieltheit ihre verflossene Liebe Turridu, um im gleichen Moment der Rivalin ihre messerscharfen Krallen auszufahren. Was für eine Darbietung!

 

Instrumental entführt uns der Dirigent dabei auf eine Reise in die sizilianische Welt, die von Familienehre, unbeugsamen Stolz und leidenschaftlicher Liebe erzählt. Zärtlich an die Hand genommen erfährt die Musik so einen dichten Klangteppich, der in samtweichen Legati dahinfließend, plötzlich aufbrausend explosiv in gewaltig dynamischen Klangwellen immer wieder aufs Neue am Höhepunkt der unzähligen musikalischen Spannungsbögen zerschellt.

 

©Teatro Di San Carlo Neapel / Luciano Romano

Orchestrale Tonkunst all´ italiana kann ich da nur sagen. Bravo, bravissimo!


©Zeli01 / über Youtube zur Verfügung gestellt

Für den Hörgenuss gibt es noch einen Mitschnitt aus der Cavalleria Rusticana /Salzburger Festspiele 2015 mit Jonas Kaufmann in der Rolle des Turridu.


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