21. DEZEMBER 2020
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Es ist nun schon eine lang gepflegte Tradition, dass das alljährliche Benefizkonzert der BMW-Niederlassung in der St. Michael Kirche in München stattfindet.
Nur dieses Jahr macht die Corona-Krise der wohltätigen Veranstaltung einen großen Strich durch die Rechnung, die aufgrund des Lockdowns nicht wie gewohnt in den vertrauten Mauern des historischen
Kirchenschiffes abgehalten werden kann.
Stattdessen überträgt erstmalig die Bayerische Staatsoper via Livestream aus den eigenen erlauchten Hallen das konzertante vorweihnachtliche Ereignis, welches zum 25. Mal in Folge zu einem
festlichen Musikgenuss auf höchst klassischem Niveau einlädt.
Mit einem Programm, das sich Sehen und vor allem Hören lässt, zeichnet der designierte Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski verantwortlich für die musikalische Leitung an diesem Abend.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Klassische Sahnestücke wie das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach, traditionelle Weihnachtslieder und ein Trompetensolo aus Giuseppe Tartinis Trompetenkonzert in D-Dur runden das weihnachtlich gediegene Musik-Potpourri ebenso ab, wie Mozarts Symphonie Nr. 25 in g-Moll.
Dass sich das Nationaltheater dabei nicht lumpen lässt, Künstler von Rang und Namen für das klangvolle Zeremoniell zu verpflichten, scheint selbstredend. So stecken unter anderem die
Ensemblemitglieder der Bayerischen Staatsoper zusammen mit dem hauseigenen Chor den musikalischen Rahmen, während Soloeinlagen des Trompeters Johannes Moritz und des Münchner Tenors Jonas
Kaufmann das Rahmenprogramm mit besonders virtuosen Klangmomenten füllt.
Im Zeichen des Hilfsprojektes „Artists for Kids“ kündigt seine Schirmherrin Nina Eichinger das musikalische Abendprogramm kurz und knackig an und umreißt in Anwesenheit des
BMW-Niederlassungsleiters Bernd Döpke und des Intendanten der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler prägnant das Dilemma der akut brenzligen Kulturkrise.
Von anfänglicher Skepsis gegenüber der Digitalisierung des Konzertalltags durchdrungen, kristallisiert sich relativ schnell heraus, dass dieses schnelllebige virale Medium zwei Seiten einer
Medaille hat.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Mit einer durchschnittlichen Einschaltquote von 60.000 Zuschauern im digitalen Streaming-Angebot der Bayerischen Staatsoper können, anders als in den Jahren zuvor, an diesem Abend signifikant hohe Spenden erwartet werden und auch das ausgezeichnete Renommee des Hauses hat so eine erhöhte Chance, durch das digital erweiterte Auditorium viral in die Welt abzustrahlen.
Der Zweck heiligt bei einer spendenabhängigen Aktion eben doch die Mittel. Und da erscheint jedes probate und bereits ausgiebig erprobte Mittel recht!
Nur für ein dauerhaftes Livestream Angebot sei der Opernbetrieb nicht gemacht, negiert Nikolaus Bachler. Er lebe von der Kommunikation zwischen Kunstschaffenden und Publikum und sei als
Live-Event durch digitale Streams nicht zu ersetzen, konstatiert der Hausherr abschließend und überlässt daraufhin das tonale Geschehen seinem musikalischen Leiter in spe, Vladimir
Jurowski.
Der erhebt sodann den Taktstock und just in der Sekunde erfüllen kammermusikalische Klänge den Raum. Trotz des streichintensiven Klangteppichs aus Violinen, Kontrabässen und einem perkussiv
kratzig klingenden Spinett täuscht das langatmige barocke Orchesterwerk nicht über die deprimierende Stille im menschenleeren Saal hinweg.
Zum Teil schleppend zieht sich der musikalische Akt des eröffnenden Programmteils durch das erste Drittel des Abends. Besinnliche Weihnachtsstimmung will sich partout noch nicht einstellen, zu
speziell und befremdlich mutet das wenig gehörgängige Orchesterwerk Corellis an.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Etwas mehr weihnachtlicher Esprit kommt erst dann auf, als Johannes Moritz auf seinem Blasinstrument fingerfertig temporeiche Soli in Tartinis Trompetenkonzert in D-Dur einschiebt.
So schallt es pompös in die akustische Weite des Münchner Musentempels, so ertönt der metallisch präzise Klang der Trompete glockenklar und verleiht damit dem Adventskonzert letztendlich ein strahlendes weihnachtliches Antlitz.
Doch dann hängt sich der Stream ganz urplötzlich auf und alles geht wieder zurück auf Anfang. Geschlagene 10 Minuten wiederholt sich das bereits Gehörte, bis der Stream auf einmal mitten in der
Symphonie Nr. 25 g-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart ansetzt. Somit geht der erste Satz des „Allegro con brio“ bedauerlicherweise komplett am Zuhörer vorbei und mindert, dem Vorführeffekt sei
Dank, ein wenig die Freude am Livestream-Erlebnis.
Als im zweiten Programmteil der Tenor Jonas Kaufmann die Bühne betritt, wird es endlich so richtig weihnachtlich. Bekannte Kirchenlieder wie "Es ist ein Ros entsprungen" oder "Ich steh an deiner
Krippen hier" schmücken nun das Adventskonzert mit Besinnlichkeit und traditionell christlichem Brauchtum aus.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Von einer entrückten Melancholie beseelt durchdringt die tragend balsamische Stimme Kaufmanns die himmelhochjauchzenden tonalen Sphären, während seine baritonal durchfärbte Stimme in den tieferen Registern einen satten, warmgoldenen Glanz annimmt.
Ganz besonders offensichtlich wird diese magische Strahlkraft bei „Maria durch ein Dornwald„ ging.
Zutiefst gefühlvoll, beseelt und der Welt entrückt besingt Kaufmann in hypnotischer Reinheit das Schicksal der Maria. Jedoch: Balsamisch trifft es tatsächlich noch besser.
Übertroffen wird Kaufmanns Darbietung dabei nur noch vom eigentlichen Höhepunkt des ausklingenden Abends.
"Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage", so herrlich kann man mit Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium in festliche Feierlaune katapultiert werden.
Mit dem Ensemble, dem Chor und den Solisten der Bayerischen Staatsoper gelingt dies ohne Frage wunderbar.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Und auch ein Vladimir Jurowski sorgt mit seinem Dirigat insgesamt für einen klangvoll strahlenden Abend. Dynamisch und zackig wie ein Derwisch fliegt der Tacktstock nur so durch die Luft, bis er wie zum Gebet zwischen den Handinnenflächen seines Meisters mit dem letzten verhallenden Ton versenkt wird.
Was für eine Geste, was für ein Pathos!
Im Saal selbst hätte ich von diesem ausdrucksstarken Moment wohl eher nicht so viel mitbekommen.
Vielleicht erscheint es deshalb auch angebracht, ein zukünftiges Hybridmodell für Opern- und Konzertveranstaltungen einzuläuten und damit das Live-Musikerlebnis vom Auditorium auf die Wohnzimmer
unserer Welt auszuweiten.
Zukunftsträchtig wäre diese Entwicklung auf jeden Fall.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
"Swing it, sing it"! Mit Jonas Kaufmanns ausgewählter weihnachtlicher Liedkompilation kommt man schwungvoll durch die besinnlichen Feiertage.
Mal traditionell kirchlich, mal dynamisch swingend zeigt sich der Ausnahmekünstler von seiner versatilen und stimmlich facettenreichen Seite. Bing Crosby wäre wohl bei den amerikanischen Weihnachtsklassikern grün vor Neid geworden, hätte er der samtig sonoren Stimme Kaufmanns gelauscht.
"It´s Christmas", aber wie!