Unvergesslich bewegende Uraufführung von Jörg Widmanns philharmonischem Anti-Kriegsmanifest

03. Februar 2025

Rubrik Konzert

©Michael Zapf

Nie konnte ich mir vorstellen, jemals von einer Uraufführung dermaßen bewegt zu werden. Schließlich bringt man große Werke der klassischen Musik immer nur mit den längst verblichenen Komponisten in Verbindung.

 

Dass dann aber ein gegenwärtiger, lebender Komponist wie Jörg Widmann ein philharmonisches Anti-Kriegsmanifest kompositorisch aus den Angeln hebt, dass einem Augen, Ohren und sogar die Seele übergehen, war an diesem 2. Februar 2025 in der Elbphilharmonie nicht vorherzusehen.

 

Von Nicole Hacke

 

Obgleich Widmanns "Cantata in tempore belli" in ihrer volltönenden Mannigfaltigkeit kein leicht zu verdauendes Werk ist, spricht es an vielerlei Stellen zu einem. Und es spricht nicht nur musikalische Bände, nein, es berührt, fasst an und rührt sogar den Komponisten selbst zu Schluchzern bis hin zu Tränen. Aber dazu viel, viel später.

 

Unterteilt in sechs Sätze, angefangen mit den Prolog bis hin zur Feindesliebe und dem Frieden auf Erden den Menschen, taucht man schnell in einen kriegerischen Schauplatz ein, dessen Protagonistin die Mezzosopranistin Ida Aldrian ist.

 

Sie klagt über den Tod ihres Kindes und bewegt mit ihrem lamentierend-melancholischen Gesang vokal ausdrucksstark und konturiert.

 

Schwer ist es, sich von dieser vokalen Gestaltungskunst abzuwenden, möchte man sich eigentlich mit den Gräueltaten des Krieges, seiner Opfer und Tragödien so wenig als möglich beschäftigen.

 

©Michael Zapf

Doch Ida Aldrian lässt nicht locker, hält fest an ihrem Schmerz, der sich in eigentümlicher Weise über ihren balsamisch reinen Schöngesang Luft verschafft.

 

Besonders eindrücklich erlebt man ihre Interpretation der untergehenden Sonne, die tonale Hoffnungsschimmer im Mantel irisierender Klangperlen aufflammen lässt. Warm, golden, angenehm wohlig wird einem bei dieser Musik, die so viele kompositorische Fragmente aus unterschiedlichsten Epochen miteinander zu vereinen scheint.

 

Ein Stilmix aus Wiener Schule, choralen Anklängen an die Renaissance und einer sakralen Wahrhaftigkeit, die sich einem klangteppichintensiv überstülpt. Was für ein Werk.

 

Was für eine musikalische Geschichte, in denen Bomben, schwere Geschosse und Militärmärsche zu hören sind, aber auch Momente des Friedens und der Harmonie klangsatt das Auditorium tränken.

 

So plastisch und visuell für das Gehört erlebbar sind nicht alle Werke. Das von Jörg Widmann spricht eine eigene Bildsprache, die sich durch alle Sätze hindurchtragend mit jedem Ton intensiviert.

 

Komplementiert durch den Sprecher Jens Harzer, der sehr viel Text im vierten Satz zu sagen hat, verweben sich Wort und Musik zu einer wahrhaft formschönen Einheit.

 

©Michael Zapf

Und so kommt es im finalen Satz mit dem "Frieden auf Erden den Menschen" zu einem emotionalen Dammbruch, der sich nicht nur in der gewaltigen Musik Ausdruck verleiht. Auch Jörg Widmann, der von seinem eigenen Werk überwältigt scheint, lässt laute Schluchzer aufkommen.

 

Kent Nagano, der sich dieses Werk vom Komponisten für seine letzte Saison in Hamburg gewünscht hatte, dirigiert aber auch mit so viel Feuer, Flamme und Verve diese neue musikalische Schöpfung, bei der einem schon mal die Worte fehlen und sich unartikuliert verselbstständigen können.

 

Es ist in jedem Fall ein besonderes Ereignis, Teil einer Uraufführung sein zu dürfen, die man zwar musikalisch nicht mitgestaltet hat, aber die man, ebenso wie der Komponist, zum ersten Mal Live im Konzertsaal zu Gehört bekommt.

 

Ganz schwer hat es im zweiten Programmteil der "Herr Mozart", dessen Uraufführungen schon so weit in der Vergangenheit liegen, dass auch die wirklich betörend schöne Missa c-Moll am heutigen Vormittag in ganz weite Ferne rückt.

 

Zum Glück erwecken einen die herrlich engelsgleichen Stimmen von Katharina Konradi und Sarah Romberger, die sich koloraturintensiv voll und ganz ins Zeug der musikalischen Sache legen.

 

Was für ein besonderer sonntäglicher Auftakt, bei dem einem nicht nur die Sonne im Herzen aufgeht.

 

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