13. März 2025
Rubrik Konzert
©Peter Adamik / Pierre-Boulez-Saal
Unkonventionell ist noch milde ausgedrückt, was Ema Nikolovska und Sean Shibe mit ihrer musikalischen Collage eines genderfluiden Orlando experimentell auf die "Bühne" stellen.
Revolutionär trifft es da schon eher, denn im Gewusel der kaleidoskopisch durcheinander gewürfelten Genres, die sich aus einem Sammelsurium zeitgenössischer Auftragswerke und klassischer Komponisten zusammensetzen, wird einem im Verlauf des Abends ganz schön schwummerig zumute.
Von Nicole Hacke
Ein wenig enttäuscht der sparsam eingesetzte Anteil eines klassischen Musikrepertoires, das sich von Jules Massenet über John Dowland bis hin zu Franz Schubert erstreckt und somit unterschiedlichste epochale Perioden abgrast.
Vom dominanten Elektrosound der Neuzeit durch Raum und Zeit gegängelt, ertrinkt das klassische Liedgut gnadenlos im Strudel der Synthesizer Sound-Effekte.
Was für ein Erlebnis der anderen Art. Wenn dies ein Genrespringer-Programm sein soll, dann holt es mich ganz und gar nicht ab.
Denn wie passt so ein musikalisches Wirrwarr aus einem unzusammenhängenden Allerlei an Elektrosounds, imitierten Vogelgezwitscher und Melodica-Charm der 80er Jahre in einen klassischen Liederabend, der frei nach dem Motte, "Viel hilft Viel" gleich alles erschlägt, was kompositorisch so durch die Jahrhunderte gewandelt ist.
©Peter Adamik / Pierre-Boulez-Saal
Oder soll dieses programmatische Patchwork vielleicht gar nicht so sehr auf die klassische Musikkultur abzielen, als vielmehr auf einen modernen und progressiven Musikstil einzahlen?
Das würde zumindest den hohen Anteil der jungen Menschen im Publikum am heutigen Abend erklären, die sich normalerweise nicht so locker vom Hocker bei einem rein klassischen Liederabend tummeln.
Locker vom Hocker erscheint mir auch gleich zu Beginn Ema Nikolovskas Interpretation von Jules Massenets Arie "O Souverain, o juge, o père".
In punkähnlicher Aufmachung, mit Hahnenkammfrisur, einem Glitzermantel im Discostil und ansonsten in rabenschwarzer Montur unterwegs, klingt die Arie, die normalerweise von einem Tenor gesungen wird, aus dem Munde einer Mezzosopranistin, noch dazu technisch reduziert gestützt, etwas befremdlich.
Eigenartig auch die musikalische Begleitung am Xylophon.
Perfekt auf Maß sitzt dann im Folgenden auf jeden Fall das Bardenhafte in John Dowlands Superhit "Come again". Warmgolden, saturiert und rund tönen die Phrasen samtweich über die Lippen der Künstlerin, die ein absolutes Genie im Gestalten, Interpretieren und im gesanglichen zur Schau stellen ist.
Nein, wirklich. Diese Stimme ist golden, warm und so satt in Textur und Klangfarben, dass man einfach viel mehr Klassik aus dieser eleganten Kehle strömen hören möchte.
©Peter Adamik / Pierre-Boulez-Saal
Doch leider - und das ist sehr, sehr schade, vergibt sich diese wunderschöne und makellose Stimme einem Genre, das, nun ja, zumindest nicht meine Geschmacksnerven trifft. Elektronische Sounds! Hätte ich das gewusst, so wäre meine Entscheidung für das Konzert wohl dagegen ausgefallen.
Sei´s drum. Nun bin ich hier, nun höre ich zu und hör´s mir einfach an: Das Programm ohne eindeutig roten Faden.
Nicht Fisch, nicht Fleisch mäandert der moderne Sound vom ersten zum zweiten Konzertteil und wird allein schon dadurch nicht besser, dass sich in ihm moderne, atmosphärisch wirkende Sounds auf Synthesizer-Klangwellen über alles Klassische erheben.
Gott sei Dank wummert es nicht, aber irgendwie erinnert mich Laurie Andersons O Superman (for Massenet) an Unterwasserwelten im ewig tiefdunklen Blau des Meeres.
Wo zwischendrin plötzlich das Vogelgezwitscher herkommt und was es damit überhaupt auf sich hat, frage ich mich noch, während eine junge Frau mit frustrierter Miene ziemlich genervt den Konzertsaal verlässt.
Ich glaube, Sie und ich scheinen die einzigen Konzertbesucher zu sein, die diesem Programm rein gar nichts abgewinnen können, denn der Applaus des Publikums, der sehr frenetisch ausfällt, attestiert das genaue Gegenteil von meiner zermürbenden Kritik.
©Peter Adamik / Pierre-Boulez-Saal
Aber eines sei auf jeden Fall klar gestellt: Auch wenn ich dieser Programmgestaltung so überhaupt nichts abgewinnen kann, so bin ich dennoch begeistert von der musikalischen Darbietung von Ema Nikolovska und Sean Shibe.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Warum muss sich eine so talentierte Opernsängerin beweisen, dass ihre Stimme mehr kann als nur Klassik. Ist Klassik im klassischen Sinne nicht genug. Muss man eine so radikale Brücke ins populäre Fach wechseln, um sich was genau zu beweisen?
Ich glaube, man kann und darf nicht alle Genre-Grenzen sprengen. Manchmal muss man davor auch Halt machen, um das Schöne, Wahrhafte und Einzigartige innerhalb jeder Gattung zu wahren.