Riccardo Muti, ein Fels in der Brandung der aufbrausenden Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen

16. August 2024

Rubrik Konzert

©SZ / Marco Borelli

Sie ist eine Gigantin unter den Symphonien. Sie greift den Faden Beethovens neunter Symphonie gekonnt auf und erscheint dennoch mächtiger, urgewaltiger und unverwüstlicher als jedes andere Werk, das meine Ohren je zum Staunen gebracht hat.

 

An diesem Nachmittag im Großen Festspielhaus in Salzburg spielt sich wahrhaft ein unvergessliches musikalisches Ereignis ab, das seinen ganz besonderen Auftakt vor den Eingängen des erlauchten Musentempels findet. 

 

Von Nicole Hacke

 

The "Who-is-Who" der illustren Salzburger Gesellschaftselite und andere feine Herrschaften und Damen flanieren in atemberaubenden Roben durch ein buntes Farbenmeer feinster Seiden- und Chiffonroben, kapriziös auf filigranen Absätzen auf und ab. Es wuselt und wimmelt nur so vor überbordend ästhetischer Anmut. Dieser Anblick ist köstlich, kostbar, berauschend und erhebend.

 

Die Salzburger Festspiele sind es, die Mann und Frau unbedingt einmal erlebt haben müssen. So ein herrliches Aufgebot elegant gekleideter Menschen auf einem Fleck ist ein selten schönes Bild. Und doch: Jedes Jahr aufs Neue finden sich Eleganz, Charme und Anmut im Festspielhaus der Festspielhäuser ein, um exquisite Musikerlebnisse zu degustieren.

 

Und was für ein außerordentlich feiner Genuss das ist. Während es kurz vor Beginn des Konzerts aus den oberen Rängen und im Parkett aufgeregt raschelt, summt und schwadroniert, baut sich überproportional dazu eine elektrisierende Spannung im Auditorium auf.

 

©SZ / Marco Borelli

Nach gefühlter Ewigkeit betreten die Instrumentalisten der weltberühmten Wiener Philharmoniker einer nach dem anderen die Bühne des Festspielhauses.

 

Doch erst als Riccardo Muti auf der Bildfläche erscheint, bäumt sich der gepflegte Applaus zu einem Wirbelsturm ungestüm leidenschaftlicher Bravi-Rufe auf. 

 

Ein Gigant betritt das Dirigentenpult und dirigiert ein ebenso gigantisches Werk: Anton Bruckners Symphonie Nr. 8 c-Moll WAB 108, das sich wie mörderische Wellen in einem 97-minütigen Rausch über einen ergießt.

 

Vom Allegro moderato über das Scherzo und Adagio bis hin zum großen Finale, in jeder einzelnen Sekunde ist man voll und ganz Ohr, hört und saugt jede tonale Faser wie ein Schwamm mit den Ohren und allen anderen Sinnen, die einen umspülen, so gut es eben geht, in sich auf.

 

Im Wechselspiel zwischen utopisch klingender Brachialgewalt, die sich einem wuchtig und kernig überstülpt und verklärt verzaubernder Entrücktheit, die sich in feinsten Legato-Linien schwebend in die Luft erhebt, entsteht ein so intensives Spannungsfeld dynamischer Explosivität, dass man sich fortwährend unter Strom gesetzt fühlt.

 

Immer am Anschlag, immer auf Spannung mäandern die Sätze durch tosende, tobende Klangwelten, die so ozeanisch gewaltige anmuten, dass man fast schon die Gischt dynamischer Wucht wie erfrischend kühlende Klangtropfen auf seiner Haut zu spüren vermag.

 

Man ist so wach und frisch im Geist ob der brutalen Hitze, die an diesem mediterran sommerlichen Tag auch vor dem Auditorium nicht Halt macht.

 

©SZ / Marco Borelli

Wach, frisch und auf den Punkt wirkt auch der Maestro am Dirigentenpult. Riccardo Muti ist ein Ereignis, ein souveräner Taktstockmeister, der es versteht, impulsgebend und mit akzentuierter Feinheit den Wiener Philharmonikern magische Klänge zu entlocken.

 

Wie ein Fels in der Brandung strotzt er den wütenden Klangwogen, die aufbrausend immer stärker und gewaltiger auf ihn einschlagen, sich wie mörderische Wellen an ihm zu brechen drohen und ihn dennoch kaum tangieren.

 

Gelassen nahezu, auf den Klangwellen reitend wie ein Top-Surfer, behält Muti stets die Oberhand, auch dann, wenn an so mancher Stelle die tonale Intensität chaotisch auszuarten scheint.

 

Wähnt man sich dem Finale in jedem Satz nahe, so ist es doch immer nur wieder das nächste Aufbäumen eines kommenden Klangsturms, der bezeichnend für das epische Werk Bruckners ist.

 

Überwältigt von so viel dynamischer Energie und einem Dirigenten, der zu Recht ein Großmeister tonaler Magie genannt werden kann, geht nach einem fulminanten Finale ein orkanstarker Applaus auf Muti und die Wiener Philharmoniker hernieder.

 

Es sind genau diese Konzerte, vielmehr aber ist es dieses eine Konzert, das so besonders ist, weil es ganz sicher absoluten Seltenheitswert hat.

 

Zum einen, weil Riccardo Muti Bruckners Symphonie am heutigen Vormittag zum ersten Mal dirigiert hat und zum anderen, weil man nicht wissen kann, wie lange der Virtuose noch zu seinem Taktstock greifen wird. Die Wiener Philharmoniker, Muti und Bruckner: Eine Konstellation wie sie selten in den Sternen steht.

 

Anton Bruckner (1824 - 1896)

Symphonie Nr. 8 c-Moll WAB 108

 

Entstanden zwischen Juli 1884 und März 1890, uraufgeführt am 18. Dezember 1892 in Wien

 

Allegro moderato

Scherzo: Allegro moderato - Trio: Langsam

Adagio: Feierlich langsam; doch nicht schleppend

Finale: Feierlich, nicht schnell

 

Wiener Philharmoniker

Riccardo Muti - Dirigent

 

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