07. Oktober 2024
Rubrik Konzert
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
Wenn die Glocke hell erklinget..., dann muss schon ein Jonas Kaufmann dem heutigen konzertanten Puccini-Abend seinen unnachahmlich veristischen Glanz verleihen, damit ein ganzes Konzerthaus magisch angezogen an den Lippen des begnadeten Opernsängers hängen bleibt.
Im musikalisch üppigen Puccini-Jahr haben es bereits einige renommierte Häuser geschafft, exklusiven Starappeal auf die großen Konzertbühnen zu bringen, um große Gefühle, brennende Leidenschaft und romantische Liebe im musikalischen Haute-Couture-Gewand zu präsentieren und es mit rauschender Sogwirkung zu versehen.
Von Nicole Hacke
Dabei reißt wohl keiner sein Publikum so dermaßen mit und vom Hocker wie der Startenor Jonas Kaufmann, der am heutigen Abend in der Bremer Glocke an der Seite der italienischen Sopranistin Valeria Sepe ein grandioses Konzert der Extraklasse gibt, dass einem Augen und Ohren vor Entzücken schier übergehen.
So viel Gefühl, so viel Wahrhaftigkeit, so viel brennende Hingabe zur Musik des großen italienischen Komponisten, hätte Puccini wahrlich erfreut. Ganz sicher wäre Jonas Kaufmann zu Lebzeiten der auserwählte Lieblingstenor des grandiosen Lebemannes geworden.
Mitreißende Duette und Szenen aus beliebten Puccini-Opern, die der Tenor der Tenöre extra auf CD hat einspielen lassen, überschwemmen im Bremer Konzerthaus das überbordende Maß aller emotional temperierten Dinge zwischen Mann und Frau, die sich mal konfliktstark, dann wieder in leidenschaftlich-erotischer Ekstase tonal üppig und klanglich saturiert im Auditorium entladen, was anregend und aufregend zugleich ist.
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
Doch bevor Tosca (Valeria Sepe) ihren Mario (Jonas Kaufmann) neckt, herzt und mit kleinen, aber feinen Eifersüchteleien piesackt, stimmt der Mann mit der warmgoldenen Stimme ein "Recondita armonia" an, dass einem gleich mit dem ersten Ton ein warmer Schauer angenehm den Rücken rauf und runterläuft.
Was für eine Virilität, die Jonas Kaufmann mit seiner baritonal satten Stimme verströmt, noch dazu mit einem saturierten Klangschmelz versehen, der stark abgedunkelt nuancenreiche Farben versprüht.
Diese Stimme ist zum Hineinbeißen, schmelzend wie cremige Schokolade, gehaltvoll im tonal ausgewogenen Geschmack und mit einem so unverwechselbaren Wiedererkennungswert ausgestattet, dass man den "Tenore assoluto" unbedingt in "Tenore "Kaufmannese" umbenennen sollte.
Schließlich gibt es dieses faszinierende Gesamtpaket eines Sängerdarstellers nur in der limitierten Tenoredition - auf ein Stück limitiert wohlgemerkt.
Denn es gibt nur einen und sonst keinen, was ganz besonders augenscheinlich wird, wenn der deutsch-österreichische Tenor in Bestform auf die Bühne tritt, extrem gut drauf ist und sein Charisma wie ein schmeichelnd süßes Gift mit geschmeidiger Lässigkeit in die Massen der verzückten Zuhörer verspritzt.
Gerne lässt man sich dieses Gift verabreichen, denn es verspricht Zustände, die Endorphine Purzelbäume schlagen lassen. Und auch das Herz hüpft freudiger in der Brust.
Aber dann kommt sie, Valeria Sepe, die, auf den deutschen Bühnen noch nicht sehr bekannt, eine unglaublich beeindruckende "Performance" abliefert.
Nein, die italienische Sopranistin liefert nicht einfach nur so ab. Sie gestaltet ihre Rollen mit ebenso leidenschaftlicher Hingabe und Ehrlichkeit, sodass man einfach nicht anders kann, als ihren Interpretationen gespannt und gebannt zu lauschen.
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
Gleich mit "Vissi d´Arte" gelingt ihr eine ausgesprochen feine, differenzierte und sehr nuancenreiche Ausgestaltung einer Arie, die wahrlich nicht leicht darzubieten ist, benötigt sie doch eine Prise Leidenschaft, eine Prise Demut und eine Prise Wahrhaftigkeit.
Auf diese Mischung versteht sich die Sopranistin und macht aus einer Aneinanderreihung von Tönen anbetungswürdige Magie.
Es ist ein klanglicher Zauber, erfüllt von angenehmen Gänsehautmomenten, die in Erinnerung bleiben - und das alles mit einer Piano-Kultur versehen, die sich weich, rund und glänzend anhören lässt.
Perlende, fein geschliffene Lyrismen, die sich mühelos in die exponierten Obertöne schrauben, kristallklar und absolut lupenrein, so ästhetisch wird es, wenn Valeria Sepe ihr wunderschönes Instrument bemüht.
Das scheint die Schokoladenseite der charismatisch wirkenden Sängerdarstellerin zu sein.
Doch noch viel charakteristischer und konturierter schält sich ihr Vokalinstrument just in dem Moment aus der gesanglichen Deckung, als Manon auf der Bildfläche erscheint.
Im gemeinsamen Duett "Tu, tu, amore? Tu?" geht es plötzlich heiß her. Es lodert die Leidenschaft haushoch auf. Und Valeria Sepe bricht sich im Sturm ihrer Gefühle "vokal-stentoral" Bahn.
Orgiastische Explosivität dominiert nun die stimmlich facettenreiche Wucht, mit der die bildschöne Hysterie zum Merkmal einer Stimme mit Persönlichkeit wird. Wow! Diese Frau spielt nicht nur Manon, sie ist Manon mit Leib und Seele.
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
Und darauf springt Jonas Kaufmann auch sofort an. Begehrend, aufbegehrend und voller Impulsivität gestalten die Künstler eine formidable ariose Szene, die, wenn sie nicht als "Tu, tu, amore? Tu? betitelt wäre, auch locker "Denn sie hassten und sie liebten sich" heißen könnte.
Ja, es geht bei allem um die Beziehung zwischen Mann und Frau, um die Unmöglichkeit beide Geschlechter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und es doch immer und immer wieder voller Verzweiflung und mit kämpferischer Inbrunst zu versuchen.
Es ist ein Gerangel, eine emotionale Achterbahnfahrt, die wie ein Salto mortale prinzipiell nur tödlich enden kann.
Mit jeder Phrase fiebert man mit, hofft, es würde doch noch alles gut werden zwischen dieser Liebe, die doch nur eine "Amour fou" ist.
Auf 180 und mit einem Puls, den man gerade nicht ertasten, geschweige denn messen möchte, klingt ein Abend aus, der nicht vielversprechender hätte sein können.
Dass Jonas Kaufmann seine Signature Arie "E lucevan le stelle" im Schlaf singt, war zu erwarten. Dass er aber wieder mal einen Zugaben-Marathon starten würde, der alles an künstlerischer Hingabe in den Schatten stellt, ist bezeichnend für den ihm verpassten Titel "Startenor", den er selbst als befremdlichen Stempel auf seiner fulminanten Karriere betrachtet.
©Patric Leo / Die Glocke Bremen
Und dennoch: So viele Zugaben nach einem stimmlich auspowernden Konzert gebühren dem Tenorissimo alle, aber wirklich alle Achtung! Achtung bitte auch vor dem wirkungsvollen und mit Bedacht ausgewähltem Zugaben-Potpourri, bei dem natürlich ein "Nessun Dorma" nicht fehlen darf.
Dabei lehnt man sich gerne ein ganzes großes Stück in seinem Sitz nach vorne, um jeden Ton, jeden Steigerungsmoment der tönenden Luft in sich einzusaugen und zu versuchen, ihn für die Ewigkeit zu konservieren - eine unmögliche Jagd nach der so verführerisch tönenden Luft eines Sängers, der eine fast schon hypnotische Macht damit ausübt.
Auf jeden Fall verfehlt die Wirkung dieser heroischen Arie nicht ihr Publikum. Denn das stimmt enthusiasmiert und mit frenetischem Applaus in die ersten und die letzten Takte der Arie ein. Was, wenn so ein Publikum losgelassen wird, stürmte es dann etwa ungeniert die Bühne?
Auch Valeria Sepe wird nach ihrer zum Dahinknien bezaubernden Interpretation von "O, mio babino, caro" mit stürmischen Beifallsbekundungen vom Publikum beschenkt.
Nachdem ihr letzter Zugaben-Ton verklingt und auch ein Nessun Dorma der schlusssetzende Punkt der großartigen Veranstaltung hätte sein können, lässt der Applausregen im Auditorium noch lange nicht nach- ein wahnsinniger ovationsstarker Platzregen, der kein Ende finden will!
Und dann passiert es! Mit verschmitztem, leicht konspirativem Lächeln zupft Herr Kaufmann kurz an seiner selbst geknoteten Fliege und Schwups, da hängt sie ihm nur noch lose um den Hals. Das nenne ich den unwiderstehlichen "Kaufmann-Effekt", der vor allem Frauenherzen höherschlagen lässt. Auch wenn Jochen Rieder sich erst noch bitten lassen muss, obsiegt Kaufmanns charmante Überzeugungskraft.
Auf ein letztes "Non ti scordar di me?" Lieber Herr Kaufmann, haben Sie keine Sorge! Wer könnte Sie denn jemals nach so einem berauschenden Konzert vergessen!
Weitere Termine von Jonas Kaufmann auf www.operabase.com