22. Juli 2024
Rubrik Konzert
©Fabian Lippke
Er ist aktuell der Größte seines Fachs, einer, der das Cross-over zwischen Jazz und Pop so selbstverständlich beherrscht, dass einem die Verschmelzung beider Genre wie ein formvollendeter Guss einer eigenen, charmant eigenwilligen Musikgattung vorkommt.
Es ist der unverwechselbare Jamie Cullum Sound, der einen rhythmisch nicht nur bis in die Zehenspitzen der Füße schießt, sondern sich zuckungsintensiv wie ein Lauffeuer in alle Körperglieder ausbreitet.
Wenn der Pianoman wie an diesem Abend beim Schleswig Holstein Festival mit wendig tigernden Bewegungen eine aufheizend stimmungsintensive Dynamik auf die Bühne zaubert, ist es um einen geschehen.
"I got a kick out of you". Genau den Kick gibt mir Jamie Cullum mit seiner erfrischend fetzigen Interpretation, die nicht so sehr auf den schnulzigen Schmelz eines Frank Sinatra einzahlt, sondern sich gekonnt improvisatorisch, frech und mit einer explosiven Offbeat Akrobatik absetzt.
Der kleine Flirt mit der Swing-Jazz-Ära gelingt, obgleich es auch nur bei einem provozierenden Augenaufschlag bleibt.
Tatsächlich mischen sich Grooves unter die soulintensiven Elemente und werden elegant durch lasziven Pop und temperamentvolle, afroamerikanisch-anmutende Klänge durchbrochen, wären da nicht noch die intimen Balladen, die sich immer wieder aus dem musikalischen Wildwuchs eines farbenreichen Stilmix verzaubernd schön herauskristallisieren.
©Fabian Lippke
©Fabian Lippke
Oftmals traumverloren und tief in die irisierenden Klangwelten einer entrückten Jazznostalgie versunken, mäandert Jamie Collum klaviertuos von Note zu Note.
Das sind die anfänglich sehr intimen Momente, die aus dem rockigen Showman on Stage den sensiblen Pianoman am Flügel machen.
Seine Finger, die mal sanft in die Klaviatur eindringen, um sich just im nächsten Moment in explosiven Akkordkaskaden zu verlieren, wild hämmernd und besessen intensiv, machen die musikalische Reise in das Land des Jazzpoeten zu einer einmaligen Erfahrung, die prickelnd unter die Haut geht.
Noch während man sich mit Cullum in der Intimität seiner entrückt beglückenden Balladenpoesie entspannt verlieren will, ziehen Rhythmus und Dynamik samt Agogik plötzlich gewaltig an.
Temporeich und nicht mehr im Alleingang stimmen Saxofon, Kontrabass, Trompete, E-Gitarre, Drums und auch die Backgroundsänger in den kakofonisch anmutenden Klangteppich ein, verausgaben sich in irrer Klangmanie, als ob es kein Morgen mehr gäbe.
All das elektrisiert, fasziniert und reißt einen so gewaltig vom Hocker, dass irgendwann, nachdem Jamie Cullum dazu aufgefordert hat, das Publikum von den Stühlen vor die Bühne und in die Gänge drängt, um zu den heißen Beats der pulsierenden Musik zu tanzen.
Ausgelassen auch in den Rängen und am Platz wird nun im Takt des pulsierenden Jazzfiebers alles bewegt, was der Körper an motorischen Möglichkeiten so hergibt.
©Fabian Lippke
©Fabian Lippke
Doch davor steigt der Pianoman aus England zu seinem Publikum herab, verlässt die Bühne, um auf Tuchfühlung mit dem Saal und seinen Zuhörern zu gehen.
Im gleißenden Lichtkegel steht nun der kleine Mann, der so jung wirkt wie seine 25-jährige Karriere alt ist, und singt auf Augenhöhe für sein Publikum.
Von Reihe zu Reihe und auch in meine Reihe hinein wandernd, steht er fast an meinem Platz zum Greifen nah. Wow! Dieser Mann ist nahbar und auch ein bisschen verrückt, denn all die Show-Einlagen, die eigentlich neben der Musik Makulatur sein müssten, machen das Gesamterlebnis Jamie Cullum erst zu einen packenden und elektrisierenden Spektakel.
Wie er da ganz plötzlich vom Klavierhocker auf den Flügel steigt, sich kurz bekreuzigt und aus der körperlichen Spannung heraus den explosionsartigen Sprung auf die Bühne wagt. Yeahhh! What a show, indeed!
Das ist sexy und einfach umwerfend anziehend.
Mehr noch spricht seine Stimme Bände: Von einem dunkelsamtigen Timbre umflort, das mit rauchigen Nuancen ausgestattet in erotisierend biegsame Obertöne changiert, versteht es der Meister an den Tasten, auch im Growling tiefenwirksame Registersprünge expressiv zur Schau zu stellen.
"These are the days" singt er mit Tiefenschärfe, emotional temperiert und mit herrlichen Phrasierungen versehen, die so schön von Ton zu Ton "sliden" und immer im "Back-Beat" für swingend brillante Ausdruckskraft sorgen.
©Fabian Lippke
©Fabian Lippke
Viele Instrumentalsolis, darunter ein begnadetes Klarinettensolo, ein entwendetes Handy, mit dem Cullum mal so eben einen kurzen Moment seines Gigs für den Handybesitzer filmt und eine Hymne auf Schleswig-Holstein, die der Künstler vor fünf Jahren in der Wunderino Arena spontan für sein Publikum aus dem Ärmel geschüttelt hat, runden den Abschluss seines Konzertes ab.
Am Ende sitzen noch drei ganz junge Cullum-Fans mit strahlenden Augen auf der Bühne, die der Ausnahmeinterpret extra aus dem Publikum nach oben an seine Seite geholt hat.
Wenn Kinderaugen leuchten, dann sprechen sie meistens eine Wahrheit aus, die unumstößlich ist.
Während noch der letzte Ton auf der Klaviatur verklingt und Jamie Cullums Gesichtsausdruck weich und entspannt vor Erleichterung und Glückseligkeit leuchtet, fühle auch ich das Adrenalin langsam aus mir herauspulsieren.
Dieser Auftritt hat Herz und Seele gerockt. Und ich war an diesem Abend so was von on the "Edge of something" extraordinarily brilliant!
©Jamie Cullum / Universal Music Records
Jamie Cullum, der 45-jährige englische Ausnahmekünstler, der mit populären, sehr eingängigen Musiknummern wie "Edge of Something" oder "Save your Soul" vor 10 Jahren mein klassikaffines Herz langsam, aber sicher wieder für den Jazz zum Entfachen gebracht hat, kann vor allem eines ganz besonders gut: musikalische Oldtimer neu pimpen - und zwar so, dass sie in einem harmonisch neuen Gewand modern und zeitgemäß erklingen und dennoch melodisch identifizierbar bleiben.