Geglückter Auftakt der Gluck Festspiele mit paradiesischen Stimmen

10. Mai 2024

Rubrik Konzert

©Beth Chalmers

Über die Menschlichkeit der Mächtigen oder die Macht der Menschlichkeit. Nach dieser Fasson zelebriert Bayreuth dieser Tage ein musikalisches Fest, das mit einer konzertanten Fassung von Willibald Glucks Oper “La Clemenza di Tito” im Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth seinen Auftakt findet. 

 

Pompös und mit dem bloßen Auge nicht sofort in allen Details fassbar, betritt man das UNESCO Weltkulturerbe und staunt, ob der überladenen Opulenz, die einem aus jedem Winkel des Auditoriums ästhetisch entgegenstrahlt.  

 

Von Nicole Hacke

 

Es fühlt sich an, wie eine unerwartete Zeitreise in die Geburtsstunde der Oper, die einen befremdlichen Glanz im gedimmten Licht des düster wirkenden Musentempels versprüht. 

 

Wundersam, andersartig und doch faszinierend schön.  

 

Diese Welt, in der Baukunst eine Form überbordender Gestaltungsfreiheit annimmt, beeindruckt mächtig, ebenso wie die Predigt des Pater Anselm, der noch vor Beginn des eigentlichen musikalischen Spektakels über das Menschsein im Kosmos der Kunst und Musik philosophiert. 

 

Was bedeutet Macht, wenn sie nicht missbräuchlich genutzt, sondern andere ermächtigt und befähigt und aus dem Kern des eigenen Seins entspringend, der guten Sache dient? 

 

©Beth Chalmers

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Vielleicht ist es der tiefsinnigen Predigt zu vieler Worte, vielleicht aber nimmt das Thema für den ein oder anderen Zuhörer Überhand, fasst persönlich zu sehr an, berührt emotional auf ungewollte Weise und will deshalb viel lieber im Keim erstickt werden. 

 

Und so macht sich schnell eine raschelnde, polternde Unruhe im Saal breit, die sogar einen Brand wütender Stimmen und Buhrufe entfacht. Ungehaltene Ungeduld, ungezügeltes polemisches Aufbegehren:

 

Es will erst wieder Ruhe einkehren, sobald Michael Hofstetter seinen Taktstock erhebt und die ersten Töne einer alten Musik erklingen lässt.

 

Besänftigend, beruhigend und einen gleichmäßigen Strom warmhölzerner Klänge produzierend, mäandert die Musik aus fernen Tagen in die Gegenwart und zieht seinen Zuhörer dennoch in traumverlorene Sphären. 

 

Auf der Bühne sitzt unter einer Leselampe ein Sprecher, der durch den Handlungsstrang von “La Clemenza di Tito” führt, Arie für Arie, sodass der ungeschulte Opernnovize sich entspannt auf eine musikalische Reise in die Epoche des Barocks einlassen kann. 

 

Anders wäre es auch ein schwieriges Unterfangen, den roten Faden durch die intrigenstarke Geschichte des Kaiser Titus, seinem Stab an Vertrauten und seinen Feinden aufzunehmen. 

 

©Beth Chalmers

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Und ewig lockt auch hier das ins Verderben führende Weib, das Kaiser Titus gestürzt wissen will und dabei keine Skrupel kennt, um des Kaisers Vertrauten, Sesto, auf ihre verführerische Seite zu locken.  

 

Neben Vanessa Waldhart als machthungrige Vitellia, Bruno de Sá als Vitellias Marionette Sesto, Robyn Allegra Parton als Servilia, Hannah-Theres Weigl als Publio, Maria Hegele als Annio und Aco Biscevic als Titus, haben sich die Gluck Festspiele eine gesanglich vorzügliche Cast in die erlauchten Hallen des Markgräfischen Opernhauses geholt. 

 

Allen voran Bruno de Sá, der als Sopranist immens beeindruckt, insbesondere, weil Stimmen wie seine im Repertoire populärer Opern nicht reüssieren. Wer zeigt schon ein gesteigertes Interesse an einer Barockoper, wenn der Musikgeschmack deutlich in die Richtung eines Puccini oder Verdi abstrahlt? 

 

Auch mir ergeht es nicht anders, empfinde ich doch die vielen Rezitative, Ribatutte und Tremoli in ihrer stilistischen Eigenart nach mehrmaligem Höreindruck doch recht gleichförmig und ohne jeglichen melodischen Wiedererkennungswert, obgleich sie in arioser Pracht ornamental aufblühen. 

 

Tatsächlich blüht es an diesem Abend musikalisch wie in einem Garten Eden. Paradiesisch zwitschert und trällert es virtuos in das Auditorium. Hypnotisch, bisweilen einlullend wirkt der Gesang, der sich immer wieder duftig in die höchsten Register streckt. 

 

Geschmeidig, glatt, biegsam: ein unerschöpflich formschöner, erquickender Quell gesangsathletischer Kunst. 

 

An diesem Abend ist es schwer zu entscheiden, wer sich die Medaille im Schönsingen am meisten verdient hat. Bruno de Sá ist unverkennbar einzigartig, seine Stimme ein Wunderwerk eleganter Koloraturen, sein männlich anschmiegsamer Sopran ein schieres Wunder an sich.  

 

©Beth Chalmers

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Aber eben auch die drei Sopranistinnen, die stimmlich grazil, in betörende Klangwelten entgleiten, machen aus der Musik Glucks ein tonales Gaumenmenü. Dabei fällt es schwer, sich die gesanglichen Rosinen aus dem Kuchen der Virtuosität zu picken, denn eine jede strahlt gewinnend mit ihren individuellen Facetten. 

 

Nennen wir sie Tonperlen von perlmuttfarbener Schönheit.  Immer mehr fühlt man sich in einen Sog transformativer Kräfte hineingezogen, so ätherisch muten die Klangfarben, auch die des Orchesters an. Stimmungen werden dabei auch gekonnt durch die bewusst eingesetzten Lichteffekte auf der Bühne evoziert. Hin- und her changierend zwischen blutrot, violett-rosa und goldenen Farbakzenten zahlt die atmosphärische Gestaltung eindrücklich auf das musikalische Gesamterlebnis ein. 

 

Mit dem Barockorchester der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach gelingt ein musikalisches Kolorit, das tiefe Einblicke in die Schönheit dieser speziellen Musikgattung ermöglicht. 

 

Alt und dennoch auf eigentümliche Weise lebendig, strahlt der matte Klangteppich mit warmen Nuancen, angenehm saturiert in das Auditorium, Michael Hofstetter sei Dank. 

 

Auch wenn am Ende die großen Gefühle sich in der Musik Glucks nicht frei entfalten können, so fühlt man sich als Zuhörer dennoch von ihr verführt und taucht mit ihr in einen fluiden Aggregatzustand, in dem das Sein zu einem Zustand des “Sich-Treiben-Lassens" wird. 


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