09. Oktober 2024
Rubrik Konzert
©Sören Lukas Schirmer
Er war der große Reformator der Oper, ein Wegbereiter für Mozart und Wagner zugleich. Seine Musik, die von Menschlichkeit spricht und so eindrücklich tiefe Emotionen transportieren kann, berührt in ihrer barocken Gestalt und klingt so zeitgemäß, wie kaum eine andere Alte Musik es je vermag bis in die Gegenwart hinein zu klingen.
Die Rede ist von Christoph Willibald Gluck.
Von Nicole Hacke
Mit seiner Oper "Orfeo ed Euredice", die absolut grandios, fesselnd und kurzweilig daherkommt, ist dem deutschen Komponisten ein musikalischer Geniestreich gelungen, der auch an diesem heutigen Abend in der Elbphilharmonie seine aufregende Wirklung nicht verfehlt, vor allem dann nicht, wenn die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli dieses Meisterwerk in einer selten gespielten Fassung konzertant auf die Bühne bringt.
Zusammen mit den "Musiciens du Prince der Opéra de Monte-Carlo unter der Leitung von Gianluca Capuano sowie dem hervorragende Chor Il Canto di Orfeo gelingt eine kraftvolle, berührende Interpretation einer mythologischen Erzählung, die eigentlich nicht aktueller sein könnte.
Orfeo verliert Euredice durch einen giftigen Schlangenbiss an den Tod und versucht daraufhin den Zugang zur Unterwelt zu erlangen, um seine geliebte Frau aus den Fängen des Jenseits zu befreien.
Ungehindert lässt ihn Amor in das Schattenreich eindringen, um Euredice zu befreien. Doch die Bedingung lautet, dass Orfeo auf seinem Rückweg ins Diesseits Euredice nicht eines Blickes würdigen darf.
Nachdem Orfeo die Furien, Geister und Schattengestalten mit seinem betörenden Gesang besänftigen konnte und endlich Euredice gegenübersteht, sie aber nicht ansehen und sich ihr auch nicht erklären darf, wird die Beziehung zwischen den beiden kompliziert und endet in einem Missverständnis mit faltalem Ausgang für Euredice.
©Sören Lukas Schirmer
©Sören Lukas Schirmer
Will man aus dieser griechischen Mythologie eine gegenwärtige Metapher für Beziehungskonflikte stricken, so kann man ohne Umschweife vom vorehelichen rosaroten Liebes-Happy-End auf den dann folgenden unumgänglichen Ehetod schließen, der unausweichlich ob der vorhersehbaren Missverständnisse scheint.
Denn wie bereits erwähnt, darf Orfeo Euredice nicht in die Augen sehen, was dazu führt dass Euredice das Vertrauen in die Liebe verliert und Orfeo dazu nötigt, das Amor geschuldete Versprechen zu brechen mit dem Resultat des endgültigen Todes von Euredice und der damit einhergehenden Liebe.
Grandios auf die Bühne der Elbphilharmonie gebracht, erlebt man an diesem Abend eine Alte Musik, die sich im Gehörgang angenehm einnistet. Warmhölzern und von einer fluiden Eleganz strömen die orchestralen Klänge mal erruptiv forsch, dann weich schäumend und flutingsintensiv mäandernd in das Auditorium.
In der 15. Etage mit frontalem Blick auf die Bühne entfaltet sich ein saturierter, kondensierter Raumklang der einfach umwerfend schön ist. So habe ich die Elbphilharmonie noch nie erlebt und auch noch nie gehört.
Ebenso zauberhaft gestaltet sich die Interpretation des Orfeo, den Cecilia Bartoli sehr innig und mit warmen Klangfarben versehen, darbietet.
Mit einer immens ausdrucksstarken Vokalerotik schafft es die bühnenpräsente Erscheinung eine faszinierende Piano-Kultur an den Tag zu legen, die alle drei P´s in den Schatten stellt.
Leise, zum Teil wie ein geflüsterter Hauch eines sphärisch verklingenden Tons - und doch hört man jeden einzelnen davon mit kristallklarer Ausdruckskraft versehen.
©Sören Lukas Schirmer
©Sören Lukas Schirmer
Das ist "Wow", das ist wunderschön! Das sind farbenreiche Tonalspektren, die sich kaleidoskopartig im Gehör verewigen.
Und auch der Chor lässt einen Magie erleben und lässt einen schaurig erbeben, als Orfeo sich in die Unterwelt hervorwagt. Denn plötzlich wird es furios, lärmend laut, so als ob ein tosender Sturm losbricht.
Man hört Blitze, Donner, ja es ist ein mörderisches Unwetter, das einem großes Unbehagen verursacht und dennoch höllisch beeindruckend ist.
Jedoch, der Chor ist das Beste vom musikalischen Kuchen Glucks. Diese unbefleckten Stimmen, diese sich im Schwebezustand befindlichen balsamischen Choräle, die kirchlich anmuten und von reiner Schönheit sind - einfach magisch.
Elfengleich macht sich auch Mélissa Petit, die Amor und Euredice in Personalunion bedient. Und das mit Leidenschaft und Verve und einem äußerst edlen Vokalinstrument, das mühelos in schillernde Höhen abdriftet, so als koste es weder Technik noch Kraft.
©Sören Lukas Schirmer
Während der Saal immer abgedunkelter in einem Vakuum aus Nachtschwärze versinkt, liegt Euredice bewegungslos am Boden. Um sie schart sich der Chor. Jedes Mitglied hält eine leuchtende Kerze in Händen und betrauert mit melancholischer Klangpoesie das Ableben der rosigen Schönheit.
Warm, herzerwärmend und dennoch von tiefer Trauer durchwirkt ziehen die Töne in weichen Legato-Linien von Dannen, verflüchtigen sich in der darauf folgenden Totenstille. Für gefühlt Minuten hält der Saal inne, hält ein jeder seinen Atem an. Noch immer hat die Dunkelheit Oberhand, bis endlich die Lichter im Saal wieder aufleuchten.
Jetzt peitscht ein Hagel von Ovationen auf die Bühne. Meine Augen sind feucht. Mich hat es erwischt, emotional berührt, diese umwerfend schöne Musik von Gluck. Sie ist ein Geschenk. Und ja, was für ein Glück Gluck doch ist.
Besetzung:
Cecilia Bartoli Orfeo
Mélissa Petit Euridice, Amore
Les Musiciens du Prince – Monaco
Il Canto di Orfeo Vokalensemble
Dirigent Gianluca Capuano