29. April 2024
Rubrik Konzert
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Wenn Lieder sprachlos machen, dann ist es ganz egal, ob sie sich mit oder ohne Worte präsentieren, solange das Gesamtpaket, bestehend aus Liedinterpret und Liedbegleiter, stimmt.
Mit der jungen Hamburger Mezzo-Sopranistin Nora Kazemieh, die von Cosmin Boeru am Klavier begleitet wird, ist der Elbphilharmonie ein absolut kostbarer Goldfisch des Liedgesangs ins Netz gegangen.
Aus allen Poren gesanglicher Versatilität strahlt das junge Talent an diesem unvergesslichen Abend und überstrahlt dabei mit ihrer umwerfenden Erscheinung alles im Auditorium des hanseatischen Musentempels.
Von Nicole Hacke
Dabei umspannt das multifacettierte Liedprogramm ein weites Repertoire, das mit Werken von Mozart, Mendelssohn Bartholdy, Strauss und Debussy einen großen Schlenker von den Klassikern bis hin zum Impressionismus macht und auch vor den populären "Chansons" Kurt Weills und William Bolcoms nicht zurückschreckt.
Wer diese Brücke zwischen so viel Genrevielfalt schlagen kann, der muss wahrhaft musikalisch so richtig was draufhaben.
Und tatsächlich, Nora Kazemieh ist eine absolute Entdeckung, die sich einem gesanglich an diesem Abend in der Elbphilharmonie eindrücklich in die Seele brennt.
Beeindruckend, wie doch ein so junger Mensch die Königsklasse des Gesangs mit Expressivität, Verve, Persönlichkeit und emotionaler Vielschichtigkeit darbieten kann und ein steigerungsintensives Erlebnis vokaler Ergüsse hervorbringt.
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Mit einer warmgoldenen, saturierten Stimme bestückt leuchtet Nora Kazemieh jedes einzelne Lied detailverliebt und sehr nuanciert aus.
Dabei gelingt es ihr vorzüglich, das stilistisch herausfordernde Liedgenre authentisch zu interpretieren. Souverän und agil mäandert die Mezzo-Sopranistin durch Mozarts koloraturintensives Repertoire, während sie bei Strauss in einen sphärischen Kosmos balsamischer Leichtigkeit abtaucht und sich dabei in Legato-feinen Bögen verliert.
Traumverloren und der Welt entrückt zeigt sich ihr konturiert schöner Gesang ebenfalls in Claude Debussys "Chansons de Bilitis".
Doch eindeutig hängen bleibt man an ihren Lippen bei den Liedern von Richard Strauss. "Ruhe, meine Seele" klingt aus ihr, wie aus weiter Ferne und dennoch so innig, dass man meint, sich ein Stück weit ganz vorsichtig der Seele der Interpretin anzunähern.
Ist es ein gefährliches Unterfangen, sich als Liedinterpretin der Publikumswelt zu offenbaren, sich nackig zu machen und ein Stück von sich preiszugeben?
Es ist immer ein Risiko, das Lied ehrlich zu fühlen, es emotional tief aus sich herauszuholen. Doch Nora Kazemieh wird dafür vom Publikum belohnt. Ihr großzügiges Geben erfährt eine resonanzstarke Erwiderung.
Glaubwürdig, echt und dicht dran am menschlichen Sein mit all seinen Fehlbarkeiten, das ist Nora Kazemieh, die jedem gesungenen Wort tiefe Bedeutung zugesteht und es dabei mit emotionalen Temperaturen facettenreich bestückt.
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Eine Träne läuft mir heiß über die Wange, als Nora Kazemieh sich an Strauss "Morgen! op. 27/4" wagt. Ein absolutes Wagnis. Denn hinter dieser "Nummer" kann man sich nicht verstecken, keine gespielte Rolle abrufen.
Hier muss man emotional Farbe bekennen, sich zeigen, sich offenbaren, sich seines Menschseins stellen. Und das ist kein leichtes Unterfangen.
Doch auch darin überzeugt die Sängerin. Mit ihrer samtweich timbrierten Stimme, einer inneren Ruhe, die auf Linie schlank und elegant nach außen strömt, spürt man in sich eine wohltuende Wärme aufflackern, die einen neuen Tag, eine neue Chance, ein neues Leben ankündigt.
So viel steckt in diesem Lied, dass es nur allzu leicht ist, es zu vermasseln oder aber über sich und sein Wirken hinauszuwachsen, zuversichtlich aufzugehen im sattgoldenen Licht der Morgensonne!
Bravo Nora Kazemieh! Genau dieses hoffnungsvolle und in gesanglich eindrücklichen Farben gemalte Bild eines Neuanfangs birgt einen wundersamen Zauber und berührt mit ungeahnter Magie.
Immer und immer wieder steigt man tief hinab in diese sphärische Welt, die sich irgendwie dem Alltag entzieht und dennoch in der Realität angekommen erfrischend lebendige Facetten der Gegenwart offenbart, ob der packenden Interpretation von Nora Kazemieh.
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Großartig präsentiert sich auch das berührende Spiel von Cosmin Boeru, der es versteht, eine Tonperle nach der anderen auf der Klaviatur zum Glänzen zu bringen.
Perlend plätschernde Klangkaskaden, melodisch süffig, ausufernd, so scheint es, wenn der Rumäne sich fingerfertig mit einer biegsamen Akrobatik "klaviertuos" verausgabt.
Sehr eindringlich und voller Verve gestaltet er in seinen solistischen Einlagen wunderbare Klangpoesien von formvollendeter Schönheit. In Wellen wogend, mal leicht, mal stark, bäumen sich die Akkorde in Maurice Ravels "Ondine" in voller Pracht auf und schwappen hie und da wie brandungsstarke Wellen tosend über das Tasteninstrument.
Sprühend wie die Gischt, in der sich das Sonnenlicht in Regenbogenfarben verwirklicht, tanzen die Tonfarben dabei schimmernd auf den Tasten duftig vor sich hin. Es ist ein purer Genuss für das Gehör, sich in dieses virtuose Spiel von Cosmin Boeru fallen zu lassen.
Doch der Höhepunkt an diesem Abend, sind ohne Zweifel die ausgewählten Cabaret Songs der Komponisten William Bolcom und Kurt Weill. "Song of Black Max" ist ein so packendes Erlebnis, dass man sich bewusst in seinem Sitz vorlehnt, um nichts von der Geschichte zu verpassen, die Nora Kazemieh zu erzählen hat.
Mittlerweile changiert ihre bislang tendenziell hellschimmernde Stimme in angenehm bernsteinfarbene Tiefen. Mit glühendem Eifer steigert sich die Künstlerin auch in "Amor" in einen Rausch der Leidenschaft. Was für eine packende und temperamentvolle Geschichtenerzählerin Nora Kazemieh doch ist.
Und Rhythmus, den scheint sie ebenfalls im Blut zu haben.
Ein ganz großer Gänsehautmoment ist jedoch die vorletzte Nummer "Speak low" von Kurt Weill. Sanft, zart und dennoch mit prickelnder Intensität flirtet die Mezzo-Sopranistin mit der Melodie nur so um die Wette. Und ja, diese meine Rezension klingt vielleicht wie ein Fließband ununterbrochener Lobhudelei. Aber "So what!" Diese Frau ist eben einfach fantastisch.
Nachdem auch Youkali ausgesungen ist, tosender Applaus auf die Bühne schwappt und fordernd auf eine Zugabe hinarbeitet, singt Nora Kazemieh noch ein letztes Stück: "Over the Rainbow" aus dem Musical Wizard of Oz. Und ich brauche wohl nicht mehr zu erwähnen, dass auch bei dieser gesanglichen Interpretation die Magie einfach elektrisierend ist.
Wenn Liederabende wie diese so faszinierend sein können, dann ist mir egal, ob mit oder ohne Worte. Aber bitte immer wieder gerne mit Nora Kazemieh!
PROGRAMM
Wolfgang Amadeus Mozart
Dans un bois solitaire / Einsam ging ich jüngst KV 295b
Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte KV 520
Abendempfindung KV 523 »Abend ist’s«
Ch’io mi scordi di te ... Non temer, amato bene / Szene mit Rondo für Sopran mit obligatem Klavier und Orchester KV 505
Felix Mendelssohn Bartholdy
Lied ohne Worte As-Dur op. 38/6 »Duetto«
Venetianisches Gondellied fis-Moll op. 30/6
Fanny Hensel
September (Am Flusse) / aus: Das Jahr: 12 Charakterstücke
Richard Strauss
Die Nacht / aus: Acht Lieder aus Letzte Blätter op. 10
Ruhe, meine Seele op. 27/1
Morgen! op. 27/4
Zueignung op. 10/1
Felix Mendelssohn Bartholdy
Frühlingslied / aus: Sechs Lieder für eine Singstimme und Klavier op. 47
Schilflied op. 71/4 / aus: Sechs Lieder für eine Singstimme und Klavier
Andres Maienlied / aus: Zwölf Gesänge für Singstimme und Klavier op. 8
Maurice Ravel
Ondine / Gaspard de la nuit Nr. 1
Claude Debussy
Chansons de Bilitis
William Bolcom
Song of Black Max / Cabaret Songs
Amor / Cabaret Songs
Kurt Weill
I am a stranger here myself / One Touch of Venus
Speak Low / One Touch of Venus
Youkali