22. Oktober 2024
Rubrik Konzert
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
Sie ist die Oper für Einsteiger. Aber sie ist ebenso fesselnd, packend und aufregend, wenn man sie bereits zum 100sten Mal gehört und gesehen hat. Bei Puccinis Tosca wird einem nie langweilig, auch dann nicht, wenn sie konzertant dargeboten von drei ganz besonderen Opernstars in Leidenschaft entflammt.
Und das ist am heutigen Abend mit Eleonora Buratto (Tosca), Jonathan Tetelman (Mario Cavaradossi) und Ludovic Tézier (Baron Scarpia) der Fall. Es wird einem heiß und kalt. Es schauert einem ganz fürchterlich und man zittert, erbebt und klammert sich ängstlich an das Fünkchen Hoffnung, mit der Tosca sich das Melodram in allen Facetten ihres gesanglichen Liebreizes in "Vissi d´Arte" schön singt.
Von Nicole Hacke
Kaum eine Oper schafft es, einen emotional so aus der Bahn zu werfen, wie dieses Meisterwerk der klassischen Operngeschichte. Mit dem Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der künstlerischen Leitung von Daniel Harding erweckt der instrumentale Klangteppich das Werk des vor 100 Jahren verstorbenen italienischen Komponisten Giacomo Puccini zum pulsierenden Thriller.
Filmisch ist Puccinis Musik mit jeder Note, jedem Akkord und jedem Leitmotiv, bei dem Letzteres die jeweiligen Figuren Toscas, Cavaradossis und Scarpias eindrücklich charakterisiert.
Auch wenn die konzertante Fassung dem Schauspiel und der inszenatorischen Gestaltung wenig Nährboden gibt, so hat das rein musikalische Erlebnis einen klaren Vorteil: Man kann sich ausschließlich auf die Sängerinterpreten, die Ausgestaltung der jeweiligen Rollen sowie auf Gesang und Orchester konzentrieren.
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
Das hat den klaren Vorteil, dass man alle künstlerischen Facetten eines Sängers in sich aufnehmen kann. Und auch die Opernsänger können sich voll und ganz auf ihre gesangliche Interpretation mit allem Drum und Dran fokussieren.
Und wie das gelingt. Vorzüglich ist bereits der erste Auftritt des US-amerikanischen Tenors Jonathan Tetelman, der mit "Recondita Armonia" gleich im ersten Akt eine Punktlandung hinlegt.
Kristallklare Lyrismen, die mal weicher, mal härter, immer stentoral strahlend und mit einer göttlichen Tessitura gesegnet, das Auditorium mit saturierter Vokalkraft ausfüllen. Jonathan Tetelman zeigt an diesem Abend in der Accademia di Santa Cecilia dass er der Puccini-Interpret der Stunde ist.
Mit Verve, Ausdruckskraft, Gestaltungsversatilität und einer Aura, die anzieht, berührt und rührt: Dieser Tenor überstrahlt sich fast schon selbst, wie er nicht nur in den Höhen voluminös-heroische Kraft an den Tag legt, sondern, und das ist ein Überraschungsmoment, die intimen Momente mit einer Innigkeit gestaltet, die zu Tränen rühren.
Und so gelingt dem Tenor ein "E lucevan le stelle", das demütigen Glanz auf und über die Lippen von Jonathan Tetelman zaubert. In sich gekehrt und mit sich in der Stunde vor seiner Hinrichtung hadernd und kämpfend, durchlebt Mario Cavaradossi den letzten Funken Freiheit dennoch durch und durch beseelt und von einer eigentümlichen Hoffnung durchwirkt.
Genau das sind die magischen Momente, die nicht jeder Sängerinterpret so überzeugend, authentisch und vor allem so wahrhaft auf die Bühne bringen kann.
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
Umso mehr beeindruckt die Darbietung des Tenors, der auf dem besten Weg ist, den Gipfel des Sängerolymps für sich zu erobern.
Noch im Drama der Verzweiflung mit Tetelman gefangen, vergisst man komplett, dass es nicht nur zwei Tenor-Arien gibt, die in dieser Oper zum tenoralen Tragen kommen.
In dem Moment, als Jonathan Tetelman mit "O dolci mani" ansetzt, elegant intoniert und mit samtweichem Pianissimo umflort bersteinleuchtende, warmgoldene Klangfarben produziert, wird ganz offensichtlich, wie ein Gefühl über die Stimme transportiert, den Himmel auf Erden bedeuten kann.
So, genau so habe ich den Tenor noch nie erlebt: Mit reduzierter Dynamik, leise und sanft ins Diminuendo gleitend und dabei so präsent alle Aufmerksamkeit auf sich ziehend, dass der Moment zu Schweben beginnt. Die Welt steht still für ein paar Sekunden, die zeitlupenintensiv am Zuhörer vorüberzieht.
Grandios ist ganz besonders Eleonora Buratto, die tatsächlich alle Register darstellerischen und gesanglichen Könnens zieht. Kraftvoll, dynamisch auf den Punkt, gestalterisch und mit emotionalen Temperaturen durchwirkt, erzählt die Stimme der Sopranistin die leidvolle Geschichte um eine fatale Dreieckskonstellation.
Anfänglich noch eine liebreizende, aber eifersüchtige Diva, später dann die verzweifelte, leidenden und zerrissene Persönlichkeit, die keinen anderen Ausweg findet, als sich nach der Ermordung Cavaradossis selbst das Leben zu nehmen.
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
Eleonora Buratto spielt sich in einen ekstatischen Rausch der Leidenschaft, bringt große Gefühle auf die Bühne, leidet eindrücklich und ausdrücklich und transportiert eine farbenreiche Palette ihrer gesanglichen Kunst ins Auditorium.
Wer diese Sopranistin noch nicht gehört hat, hat Entscheidendes verpasst.
Ihr "Vissi d´Arte" ist zum Dahinschmelzen. Warme, weiche Legato-Linien, flirrend zarte Höhen, irisierend und leicht perlend. Traumhaft! Und dann die Kehrtwende zum bitteren Schluss hin. Das steigerungsintensive Drama, die eruptiven, explosionsartigen Stimmergüsse, die nur so aus Eleonora Buratto herausschießen.
Es fühlt sich an wie heiße Glut, wie brennende Energie, die sich in den letzten hysterisch-verzweifelten Rufen nach Mario entladen. Nein, sie springt nicht von der Engelsburg.
Die konzertante Fassung lässt wahrlich wenig Spielraum für Dramaturgie zu. Und dennoch: Wie ein Fels in der Brandung steht die Sopranistin still und starr auf der Bühne und lässt die letzten wuchtig orchestralen Akkorde über sich ergießen.
Das ist ganz große Oper, vor allem, wenn in der Dreieckskonstellation ein Bösewicht sein ungutes Treiben tut. Ludovic Tèzier gibt einen ausgezeichneten Machtmenschen, der das Schicksal von Cavaradossi und Tosca wie eine Marionette bedient.
Diesmal nicht subtil psychopathisch, sondern sehr brutal und beängstigend zornig, flammt das Böse gleich zu Beginn von Scarpias Auftritt haushoch auf. Ludovic Tézier kommt aus sich raus, packt die Rolle beim Schopf, zerrt und reißt an ihr, dass sich die Bühnenbretter nur so biegen.
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca
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Es ist ein herrliches Erlebnis, den französischen Bariton mal deutlich temperamentvoller in dieser Rolle zu erleben. Gesanglich saturiert und gewaltig ausdrucksstark, sticht auch der schauspielerische Anteil positiv hervor.
Dem Ganzen eine erzählerische Bühne bereitend, schafft es Daniel Harding, die temporeiche Geschichte von Akt zu Akt immer mehr Fahrt aufnehmen zu lassen. Konturiert arbeitet er die emotionalen Aggregatzustände aus Leitmotiven und musikalischen Stimmungen mit dem Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia heraus.
Was für eine perfekte Konstellation aus Solisten und Instrumentalisten samt Dirigat. Ein unvergesslicher Abend der Superlative, den großartigen Stars der Opernszene sei dank.
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