16. Januar 2025
Rubrik Konzert
©Christoph Kostlin / DG
Für so eine fantastische Musik kann man sich einfach nur bedanken. Der junge und weltweit gefeierte Pianist Jan Lisiecki hätte sich gerne beim kompositorischen Schöpfer der Klavierkonzertreihe bedankt, obgleich der Vorteil, Ludwig van Beethoven nicht mehr persönlich treffen zu können, ebenfalls klar auf der Hand liegt.
Allein interpretatorisch wären da künstlerische Welten aufeinandergestoßen, um nicht zu sagen geprallt. Denn seien wir mal ehrlich: Eine Zeitreise in die Vergangenheit und dem damaligen Verständnis für musikalisches Umsetzen mag doch deutlich dem Empfinden heutigen Musizierens im Wege stehen.
Von Nicole Hacke
Eines jedoch ist glasklar. Jan Liesicki weiß, wie man Beethovens Musik zu nehmen hat. Und er nimmt sie sich mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit, die umwerfend beeindruckend ist.
Doch bevor der klaviertuose Meister die Tasten sein Eigen nennen darf, erklingt ein 11-minütiges Werk der zeitgenössischen Komponistin Anna Clyne, das in Anlehnung an Beethovens Klaviersonate op. 13 ein absolutes Kontrastprogramm zum "alteingesessenen" klassischen Repertoire bildet.
Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Klassik ist das 2020 uraufgeführte Werk Stride für Streichorchester allemal. Und dennoch schwingt sehr viel Gegenwart, Moderne und Aktualität in ihm mit.
Auf eine Reise intensivster Wechselwirkungen erlebt der Zuhörer harmonisch Schwebendes und dissonant Wundersames, das insgesamt eine gefühlsintensive Melancholie verströmt. Wo da der wilde Ritt voller Humor untergebracht sein soll (Zitat: Limelight Magazine) bleibt mir allerdings recht rätselhaft.
©Sebastian Madej / Deutsche Klassik
Ernst, wahrhaft und komplex in allen kompositorischen Schattierungen: So rückt sich normalerweise immer nur das Traurige, das von Schwermütigkeit umflorte, in den Vordergrund.
Und genauso klingt die Academy of St. Martin in the Fields mit ihrem Konzertmeister Tomo Keller, der sich kompromisslos und leidenschaftlich virtuos in die Fluten des Orchesters stürzt, es antreibt, vorantreibt und die Instrumentalisten bis aufs Äußerste zu dynamischen Höhenflügen animiert.
Es scheint zuweilen, als sei das Werk der jungen Londonerin nicht so ganz von dieser Welt und dennoch mittendrin in einer zeitgenössischen Opulenz, die musikalisch dicht, raumfüllend und klangfarbenreich einer gewissen Tristesse nicht zu entbehren vermag.
Dagegen klingt Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19 im ersten Moment befremdlich duftig und auf das orchestralste Minimum reduziert. Doch das ist nur der erste Höreindruck, der sich mit jedem weiteren Erleben in der satten kompositorischen Landschaft des Bonner wohlgefällig auflöst.
Und dann erst das himmlisch plätschernde Spiel des jungen Jan Lisiecki, der es versteht, den Frühwerken des deutschen Komponisten zu einer irisierenden Raffinesse zu verhelfen. Immerzu klingt es leicht, schwebend, so, als ob die langgliedrigen Finger des Virtuosen die Klaviatur kaum berührten. Es ist wie ein flimmernder Zauber, bei dem selbstredend eine absolut akrobatische Tastenperfektion vorausgesetzt werden muss.
Die Technik scheint bei Lisiecki offensichtlich so sehr in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, dass sie fast schon Makulatur ist. Was wirklich an diesem Künstler fasziniert und einen schier ungläubig staunen lässt, ist diese Selbstverständlichkeit, mit der sich der Jungspund immer wieder risikobereit in die Wellen der auf- und niederpeitschenden Tasten stürzt.
Bei so viel Mut, der sich mit jedem Anschlag in ungestümer Eleganz auf der Klaviatur verewigt, erscheinen beide Klavierkonzerte an diesem Abend von durchdringender Lässigkeit mühelos dahingeduftet.
Emotionale Tiefe und Substanz fehlen dabei nie. Lisiecki ist ein Genie auf das Beethoven stolz sein würde. In jedem Fall hat der sturköpfige, vielleicht auch sanfte Titan einen neuen Meister in Jan Lisiecki gefunden, dessen Interpretation in der Elbphilharmonie nicht betörender, soghafter und traumschöner hätte sein können.
Programm:
Anna Clyne
Stride
(Spieldauer ca. 11 Minuten)
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 19
(Spieldauer ca. 30 Minuten)
I. Allegro con brio
II. Adagio
III. Rondo. Allegro molto
Pause
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58
(Spieldauer ca. 35 Minuten)
I. Allegro moderato
II. Andante con moto
III. Rondo. Vivace