Asmik Grigorian versteht Strauss wie kein anderer: Magische Momente bei den Salzburger Festspielen 2024

07. Januar 2024

Rubrik Konzert

©Marco Borelli /Salzburger Festspiele

Nie war ich mir hundertprozentig sicher, in welche musikalische Schublade ich die Sopranistin Asmik Grigorian stecken sollte. Mal gefiel sie mir nicht, dann wiederum beeindruckte mich ihre kühl bisweilen unterkühlt wirkende Bühnenpräsenz.

 

Auch ging es mir nicht in den Kopf, wenn sich das stark gehypte Ausnahmetalent selbst als die Opernsängerin mit großen Emotionen betitelte.

 

Von Nicole Hacke

 

Zu solch großspurigen Eigenlob-Hudeleien sollte man vielleicht lieber Kritiker und Opernliebhaber bemühen, die eventuell besser beurteilen können, ob jemand wahrhafte Gefühle ins Publikum transportieren kann oder eben nicht.

 

Schließlich bekam ich die große Chance, die litauische Sängerdarstellerin zum ersten Mal live in Verdis Macbeth bei den Salzburger Festspielen 2023 zu erleben und staunte plötzlich nicht schlecht, als ich zu meiner eigenen Verwunderung neidlos feststellen musste, dass diese Frau eine ausgesprochen bemerkenswerte Gabe für das Schauspiel hat.

 

Obgleich mich ihre Rolleninterpretation als Lady Macbeth nicht wirklich vom Hocker riss, hatte ich doch eine viel authentischere und dem dämonischen Charakter der blutrünstigen "Lady" näherkommende Darstellung eines passgenaueren Sängerinnenprofils in Erinnerung, so ließ mich die Eigenart und die Vehemenz mit der Asmik Grigorian die Rolle auf ihre Weise ausfüllte, nicht unberührt.

 

©Marco Borelli /Salzburger Festspiele

©Marco Borelli /Salzburger Festspiele

Monate später an der Hamburgischen Staatsoper brillierte die Sopranistin sodann in einem Fach, das ihr bereits 2018 den Durchbruch bei den Salzburger Festspielen bescherte und sie fortan auf den Sängerolymp katapultieren sollte.

 

Mit Richard Strauss´ Salome erntete der Salzburger Publikumsliebling frenetischen Jubel und stürmische Beifallsbekundungen, so faszinierend bot sich ihr künstlerischer Gesamteindruck, der nicht nur überzeugte, sondern dem hanseatischen Publikum noch lange in unvergesslicher Erinnerung bleiben sollte.

 

Und dann erst Grigorians fulminanter Auftritt an der Wiener Staatsoper als Turandot an der Seite von Startenor Jonas Kaufmann:

 

Unvergleichlich möchte man meinen, malte die introvertiert wirkende Opernsängerin ein schaurig-schönes Portrait einer absoluten Eisprinzessin, der sie überraschenderweise ein zerbrechliches Korsett aus bemitleidenswerter Verletzbarkeit anlegte.

 

Aus der über Leichen gehenden "Eisprinzessin" wurde plötzlich ein menschelndes Wesen, dessen Psyche einem verwundeten Reh glich und die Missetaten der Turandot nachvollziehbar, obgleich nicht verzeihbar, machte.

 

Dämonische Charaktere, so erklärte Asmik Grigorian, handelten laut ihrer inneren Überzeugung aus Angst und Verletzbarkeit.

 

Und tatsächlich trägt die interpretatorische Herangehensweise der Ausnahmekünstlerin eine eigene, unverwechselbare Handschrift und Lesart, da sie sich über Konventionen und somit über das gängige Rollenverständnis vermeintlich festgelegter Charaktere hinwegsetzt. 

 

©Marco Borelli /Salzburger Festspiele

Genau diese Handschrift, die einzigartig und besonders ist, offenbarte Asmik Grigorian bei den Salzburger Festspielen 2024 - und zwar in den Vier letzten Liedern von Richard Strauss, die sich mir bis heute in die Seele eingebrannt haben, so eindrücklich, so faszinierend, so sphärisch und weltentrückt bot sich mir ein Gesang mitsamt des seidenfeinen Klangbildes der Wiener Philharmoniker, das mir so bislang noch nie zu Ohren gekommen ist.

 

Was war passiert?

 

Während ich mich nie so richtig mit den Vier letzten Liedern des Spätromantikers Richard Strauss anfreunden konnte und seine kompositorische Ausführung zuweilen als anstrengend, langwierig und schwerfällig empfand, umso erstaunter horchte ich auf, als ich in die vokale Ausgestaltung der Asmik Grigorian eintauchte und wie ein wissbegieriger Schwamm jeden Ton, jede Phrase und jedes gesungene Wort nahezu durstig in mich aufsog.

 

Dort auf der Bühne stand eine Frau, aus deren Seele man während ihrer Darbietung wie aus einem offenen Buch lesen konnte. Ihr Gesang verzauberte mit ästhetischer Phrasierungskunst und einer elektrisierenden Präsenz, bei der jeder gesungene Ton auf einem Spannungsbogen zu schweben schien.

 

Wie aus einem glatten Guss, glänzend, schimmernd und fluid flossen die Töne strahlend, aber immer in sich ruhend voller Spannung und Agilität aus dem Munde der sensationell interpretierenden Sängerin.

 

Ich erkannte die Vier letzten Lieder nicht mehr, so anders, so aufregend frisch, unverbraucht und leicht strömten die Klangperlen auf elegant flimmernden Spannungsbögen in atmosphärischer Duftigkeit dahin.

 

©Marco Borelli /Salzburger Festspiele

Und dann diese Stimme, die mich immerzu an einen eisblauen Gletscher erinnert, der majestätisch aus massivem Felsgestein hervortritt und sich einem balsamisch kühlend überstülpt. Mit so einer Stimmfarbe, so einer Klangtiefe und so einer lupenreinen Gebirgsbachbrillanz singt keine andere Sopranistin dieser Tage.

 

In dieser Hinsicht hat Asmik Grigorian ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, auch, was die Vier letzten Lieder angelangt, die sie, wie sie in einem Interview verrät, nur für sich selbst singt.

 

Und wenn sie mich fragen, ob diese Opernsängerin das Zeug zur idealen Strauss-Interpretin hat, dann würde es wie aus der Pistole geschossen kommen:

 

"Auf jeden Fall! Asmik Grigorian ist die ideale und wahrhafte Strauss-Sängerin, denn sie versteht die Seele dieser reinen, schlichten und gleichermaßen vor natürlicher Romantik überschäumenden Musik. Aus ihr spricht die überbordende Schönheit der Natur. Und Asmik Grigorian ist ihre natürlichste Interpretin! Punktum!"

 

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