Aigul Akhmetshina, der neue Stern am Opernhimmel macht Oper für Alle zu einem sinnlichen Fest

20. September 2024

Rubrik Konzert

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

Wie aus dem Nichts wurde sie in die Welt der Oper katapultiert. Nun steht sie auf den großen Bühnen und zieht eine so große Show ab, dass einem schier die Luft weg bleibt vor so viel Temperament und Charisma.

 

Aigul Akhmetshina strahlt an diesem Abend funkelnd hell an der Seite des international gefeierten Tenors Piotr Bezcala bei "Oper für Alle", ein Format der Bayerischen Staatsoper, dass nun mehr seit über 25 Jahren ein Magnet für Opernliebhaber und solche, die es werden wollen, ist.

 

Von Nicole Hacke

 

Im alpenländischen Oberammergau, inmitten einer ästhetisch anmutenden Naturkulisse, feiern zwei Künstler, die sich seit ihres ersten Auftritts in einer Carmen-Produktion an der Metropolitan Opera in New York 2023 fantastisch verstehen, eine fulminante "Operngala", die in Superlativen fast nicht mehr zu toppen geht, zumal auch das musikalische Programm den Allerletzten wild vom Hocker reißen muss.

 

Kurzweilig, spritzig und voller Elan schwingt auch der Dirigent Ivan Repušić seinen Taktstock mit ausschweifend flexiblen Handbewegungen, prescht mit gewaltiger Dynamik ganz energisch in die Offensive und galoppiert beim Intermezzo zu Puccinis Oper Manon Lescaut in staccatoartigen Zügen verdichtend auf den Höhepunkt zu. Das packt, lässt einen Gänsehaut spüren, sodass man emotional tief hineingezogen wird in die dramatisch-ekstatischen Momente dieser sehr tragischen Oper.

 

Doch bevor wir überhaupt zum Intermezzo kommen, schmiegt sich zuvor ein angenehm warmer und fluider Gesang genussvoll an den Gehörgang. Die Rede ist von der Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina, der man nämlich gebannt und mit 100-prozentiger Aufmerksamkeit von der ersten bis zur letzten Sekunden an den formschönen Lippen hängt, aus denen Unglaubliches heraussprudelt.

 

Diese Stimme macht den ganz großen Sängerinnen unserer Tage erschreckend viel Konkurrenz. Schon jetzt kann man ersehen, dass diese, gerade mal 27 Jahre junge russische Shooting-Star einen Karriereweg beschreiten wird, der zweifelsfrei an die Spitze der göttlichen Vokalelite führen muss.

 

Da ist so viel Ausdruck, Charakter, Charisma, schauspielerische Exzellenz und eine Erotik, die sich mit intelligentem Witz paart, ganz zu schweigen von dieser enorm sinnlichen Stimme, die so voluminös, saturiert und mit einem betörend himmlischen Timbre gesegnet ist, dass man immerzu nur "Halleluja" jubeln will.

 

Keck, frech und mit einem Schelm im Nacken, singt die junge Mezzosopranistin ein "Una voce poco fa", dass einem Hören und Sehen vergeht, im Besten Sinne natürlich. Biegsame Koloraturen bis zum Umfallen, grandiose Tiefen, honigsatt, dass man sich ununterbrochen fragt, wo da noch die Grenze zwischen Sopran und Mezzosopran gezogen werden muss.

 

Bei Aigul Akhmetshina erscheint alles aus einem Guss, sowie ihre eleganten Registerverblendungen, die Nahtlosigkeit versprechen und diese auch halten.

 

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

Piotr Beczala der ebenfalls ein Mammutprogramm abrockt, im wahrsten Sinne des Wortes, steigert sich langsam mit der Arie "Recondita armonia" des Mario Cavaradossi aus Puccinis epischem Meisterwerk Tosca in die Vollen. Das Aufwärmprogramm ist nämlich gleich nach dieser Arie beendet. Danach stemmt der Tenor der Tenöre mit absoluter Strahlkraft und einer virilen Ausdauer wie ein Top-Athlet Die Aria des Pagliaggi aus Leoncavallos gleichnamiger Oper. 

 

Traumhaft wie der Tenor sich in Rage singt und dabei sein überraschend schauspielerisches Gespür für den Charakter authentisch darbietet. Auch im Wagnerfach ist der lyrische Tenor ein göttlicher Genuss. Mit Piotr Bcczala transzendierend in die sphärischen Gefilde der Gralserzählung, ist wahrlich das höchste der Gefühle. Schöner, weiter, ferner geht einfach nicht mehr.

 

Und Aigul? Die gesellt sich für eine kurze Weile zum Dirigenten, just als der das Intermezzo aus Manon Lescaut anstimmen will. Pardon, da war ihr Einsatz doch etwas zu früh.

 

Im zweiten Anlauf gleich nach dem Intermezzo kommt die Arie der Eboli aus Verdis "Don Carlo" zum tragen und dreht dramatisch sofort auf 180 Sachen. Ein Wahnsinn wie die junge Opernsängerin sich so flexibel, steigerungsintensiv mit kraftvoller Energie in dieses Monstrum einer Arie hineinversenkt.

 

Und immer ist sie stimmlich auf dem Punkt, technisch perfekt sowieso. Aber noch viel wichtiger: Aigul Akhmetshina interpretiert mit jeder Faser ihrer Emotionen, besticht im Ausdruck, nimmt einen mit auf ihre Reise, wohin sie auch in den jeweiligen Arien geht.

 

So fesselnd, so berührend und das mit Verve und gelebter Leidenschaft. Diese Frau lässt einen den ganzen Abend einfach nicht los.

 

Doch das Beste kommt immer zum Schluss. In ihrer Paraderolle Carmen bezirzt die "Femme fatale" Aigul ihren Don José, alias Piotr Beczala. Obwohl bezirzen ist nicht der richtige Ausdruck. Schließlich reiben sich die beiden Sängerdarsteller in der Schlussszene aggressiv aneinander auf, so sehr, dass Don José zum Mörder wird und Carmen im Affekt ersticht.

 

Diese Frau kann einem aber auch zur Weißglut treiben. Beim bloßen Zuschauen spürt man die Glut, die einen irgendwie nicht mehr wärmt. Genauso muss es wohl auch Piotr Beczala ergehen, der plötzlich in Anwesenheit des feurigen Temperaments zu erfrieren droht.

 

Und doch wirken beide zusammen auf der Bühne wie ein lodernder Feuerball, der bedrohlich auf das fatale Ende zuzurollen scheint.

 

Noch während der letzte Ton Beczalas in aufbäumender Verzweiflung erstirbt, liegt Aigul Akhmetshina erschlafft in seinen Armen. Das war es dann mit der stolzen Carmen. Adieu, mon fleur!

 

 

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

Doch auf der Bühne gestorben heißt noch längst nicht zum Schluss gekommen, zumindest nicht auf einer Konzertbühne. Tobender Applaus schwappt heiß und innig auf die Bühne.

 

Laut, lauter am lautesten. So ein Getöse, das man lange nicht vergisst, erobert das komplette Auditorium und tönt bei geöffneter Bühne ganz sicher bis weit nach Oberammergau hinein.

 

Losgelassen werden beide Sänger erst nach der dritten Zugabe. Aigul Akhmetshina erobert sich mit Carmens "Habanera" die Pole Position unter den Carmen-Anwärterinnen.

 

So eindrücklich, magnetisch anziehend hat es meines Erachtens noch keine der derzeit gefragten Rolleninterpretinnen gesungen. Piotr Beczala singt - und das so überwältigend schön - ein Nessun Dorma- zum Niederknien.

 

Wunderbare Phrasierungen, elegante weite Spannungsbögen, feine Lagato-Linien. Einfach superb. Und als Sahnehäubchen oben drauf gibt es dann noch eine italienische Canzone "Non ti scordar di me", in der sich Aigul Akhmetshina auch in den exponierten Höhen gehörig Ausdruck verleiht.

 

Schwebende Obertöne in exponiertester Lage meistert sie mit einem duftigen Flügelschlag auf ihren äußerst biegsamen vokalen Schwingen. 

 

"It is a blast", aber so was von! Dieser Abend bleibt so unvergesslich wie erinnerungswürdig. Das ist die Magie der Oper - so und nicht anders.

 

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