10 Jahre und kein bisschen leise: Das Hannover Klassik Open Air strahlt mit Pretty Yende tonal aus jeder Pore

25. August 2024

Rubrik Konzert

©NDR / Helge Krückeberg

10 Jahre und kein bisschen leise. Seit 2014 hat sich das Hannover Klassik Open Air in einem rasanten Tempo einen  großen Namen gemacht. Etabliert ist es somit längst. Und dennoch gilt es unter Liebhabern der klassischen Musik als ganz besonderer Geheimtipp. Kein Wunder:

 

Schließlich ist das Open Air Fest der Festivals wohl das schönste, das man sich als musikalisches Outdoor-Erlebnis überhaupt erträumen kann.

 

Von Nicole Hacke

 

Vor ästhetischer Kulisse im Maschpark auf Picknickdecken mit Blick auf das Neue Rathaus, das mehr einem norddeutschen Taj Mahal als denn einem regulären Rathaus ähnelt, wird man jedes Jahr aufs Neue mit zauberhaften Opernklängen verwöhnt.

 

Eintritt kostet das großartige musikalische Ereignis nichts. Dafür muss man sich in der großzügig und weitläufig angelegten Parkanlage rund um den Maschteich mit exquisiten Leckereien und Getränken selbst versorgen.

 

Doch das bereitet den Open Air Puristen absolut kein Problem. Was da jedes Jahr an köstlichen Gaumen verwöhnenden Leckereien aufgefahren wird: So mancher Gast bringt sogar Tisch und Bestuhlung mit und deckt recht fürstlich auf, ebenso, wie es sich für dieses "königliche" Ambiente geziemt.

 

Wahrhaft keine andere Open Air Veranstaltung kann es im Land, geschweige denn über die Landesgrenzen hinaus mit dieser entspannten und gleichermaßen königlichen Atmosphäre des Hannover Klassik Open Air so gekonnt aufnehmen. 

 

©NDR / Helge Krückeberg

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Das zeigt auch die stolze Besucherzahl, die gleich am ersten Konzertabend satte 18.000 Gäste auf den Rasenflächen im Parkt beherbergt.

 

Wie das aussieht, wie sich das anfühlt und wie man sich fühlt, wenn sich plötzlich so viele Menschen, ob jung, ob alt, ob klassikaffin oder klassikfremd bei ariosen Klängen auf den Picknickdecken einfinden.

 

Es ist ein wahrgewordener Traum, ein absolutes Highlight, das zeigt, wie beliebt, wie begehrt, wie wunderschön so ein romantischer Abend im Dämmerlicht und später dann zu fortgeschrittener Stunde unterm Sternenzelt sein kann, noch dazu mit weltbekannten Opernhits von Verdi, Puccini, Mascagni und Mozart im Ohr.

 

Und so findet der erste Abend eine fulminante Fortsetzung. Just am 24. August bei mediterranen Temperaturen klingt es zauberhaft durch den Park, den Solisten und Instrumentalisten sei Dank.

 

Das Staraufgebot ist wie auch in all den Jahren zuvor das Aushängeschild nebst beeindruckender Kulisse vorm Neuen Rathaus. Dieses Mal gibt die international gefeierte südafrikanische Sopranistin Pretty Yende an beiden Konzertabenden in Hannover ihr Debüt.

 

Und das gestaltet sie tonmalerisch ganz hervorragend ob der schweißtreibenden Hitze, die für jeden Opernsänger eine sicherlich athletische Qual darstellen muss. 

 

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Umso beeindruckender ist es, dass die koloraturintensiven Arien duftig perlend und von ätherischer Schönheit aus Pretty Yendes Vokalinstrument herausströmen.

 

Belcantissimo gestaltet sie die Zerlina aus Mozarts Oper "Don Giovanni", mit lyrischer Strahlkraft das Duett mit dem Rising Star der Tenorzunft Kang Wang, der sich wiederum sehr wacker, aber häufig zu undifferenziert durch den Abend schlägt.

 

Hell und stentoral erhebt sich seine Stimme kraftvoll und sehr ausdauernd bis zur letzten Darbietung. Jedoch fehlt der "Sturm-und-Drang" intensiven Stimme tatsächlich das gewisse Maß an Nuancenreichtum und gelassener Zurückhaltung an den entsprechenden Stellen.

 

Die Pianissimi kommen wahrlich zu kurz, die heroisch gestalteten Arien wirken regelrecht forciert, so als ob da jemand beweisen müsse, dass er als Tenor so richtig was drauf habe.

 

Und dabei hat Kang Wang es drauf. Nicht umsonst hypt man ihn als Rising Star. Doch mehr Gestaltungsreichtum und dynamisch differenzierte Stimmversatilität wären dennoch wünschenswert.

 

Pretty Yende hingegen verzaubert an diesem Abend durch und durch. Als Mimì gibt sie die Verliebte mit süffig-süßem Klangschmelz und einer warmen Mittellage, die Herzen erweicht.

 

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Doch erst nach der Pause und mit Beginn des zweiten Programmteils wird der Abend so richtig rund. Endlich ist es dunkel im Maschpark, das Neue Rathaus in einem satten Rotton illuminiert, die Atmosphäre bei lauer Sommernacht einfach himmlisch, um nicht zu sagen göttlich. 

 

Und als Krönung des Ganzen legt sich das Intermezzo aus "Cavalleria Rusticana" von Pietro Mascagni sanft in den Gehörgang. Cornelius Meister versteht sein Handwerk voll und ganz.

 

So zieht er, bevor der erste Ton erklingt, seinen Taktstock kontrolliert langsam über seinen linken Handballen, erhebt den magischen Zauberstab, aus dem sich plötzlich die Töne zu verselbstständigen scheinen.

 

Doch tatsächlich sind es nur die gekonnt gesetzten Impulse, die das Orchester zu betörend klangmalerischen Tonpoesien animieren.

 

Traumverloren taucht man ein in eine Welt voller Harmonien, die sich zu einem irisierend brillanten Klangteppich verweben. Danach folgen noch mehr Arien der bekanntesten Werke Verdis und eine besondere Arie von Puccini, die mit einem Alleinstellungsmerkmal versehen ist: E lucevan le stelle.

 

Der Name dieser Arie fällt mittlerweile synchron mit dem Namen eines ganz bestimmten Tenors. Doch singen kann sie auch Kang Wang ohne Weiteres. Lupenrein und strahlend warm erklingt sie in den stockdunklen Sommerabend hinein. Ja, es leuchten die Sterne, wenn man der Interpretation des jungen Tenors gebannt lauscht.

 

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Herrlich und herausfordernd wird es noch mal ganz zum Schluss, nämlich als Pretty Yende sich in koloraturintensive Höhen schraubt und "Sempre libera" mit eleganter Verve und einer Menge Esprit in exorbitante Obertöne katapultiert.

 

Es ist ein absolutes Wow-Erlebnis der Sopranistin dabei zuzuhören, wie sie mit facettenreichen Nuancierungen und einem warmen Timbre zwischen Mittellage und exponierter Höhe drehschraubenversierte Pirouetten dreht, aller Hitze und aller Schweißperlen, die sich bereits auf Ihrer Stirn gebildet haben, zum Trotz.

 

Gewaltig und in Mark und Bein erschütternd, zum Erschüttern schön interpretiert auch Cornelius Meister die Ouvertüre zu Verdis "La forza del destino". Bemerkenswert differenziert, wunderbar austariert und so konturiert gestaltet der Meister am Taktstock jeden Ton,  als wäre er von einzigartiger Beschaffenheit.

 

Unerwähnt sollte in keinem Fall der Bariton Simon Keenlyside bleiben, denn auch die charaktervolle Interpretation des Germont aus La Traviata macht beeindruckend viel her. Stimmwucht und eine gaumenrunde Tiefe versetzt mit viel Ausdruck machen auch das baritonale Erlebnis zu einem musikalischen Hochgenuss.

 

Rund, rund und nochmals rund bleibt dieser Abend mit einer letzten Zugabe ein klassisches Musik-Schmankerl der Superlative. Also dann, auf die nächsten 10 Jahre mit ganz viel Pauken und Trompeten.

 

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