10. JULI 2020
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Nicole Hacke / Bühnentür Amsterdam 2017 - Tenor Jonas
Kaufmann
Von Anbeginn war sie mir suspekt. Die Bühnentür - ein Ort, den seinerzeit Groupies aufsuchten, um ihren Musikidolen in hysterischer Manie kreischende Liebesbekundungen an den Kopf zu ballern. Und jetzt stand auch ich hier, an genau so einem Ort, an dem ich mich deplatziert und unzugehörig fühlte, denn ich war ganz sicher kein Groupie und auch nicht der Typ Frau, der schmachtend einfach so auf fremde Männer wartete, selbst dann nicht, wenn sie berühmt waren.
Der Grund, warum ich nicht anders konnte, als mir an Ort und Stelle die Beine in den Bauch zu stehen, war schlicht und ergreifend meine unbändige Neugier, die mich, gespannt wie ein Flitzebogen,
darauf hoffen ließ, dass gleich etwas ganz Besonderes, Einzigartiges und nie Erlebtes passieren würde. Es fühlte sich ein bisschen wie ein verbotenes Abenteuer an, wie ein kribbelndes,
prickelndes Feuer, mit dem ich spielen wollte.
Und obgleich ich innerlich über meine naiv kindliche, unreife Art mit dem Kopf schütteln musste, mir immer wieder einzureden versuchte, dass ich hier nichts verloren hatte, obsiegte dennoch die
Irrationalität, die mir den Geist verklärte und mich nun in blanker Aufregung auf den Star des Abends, nervös und leicht hibbelig, warten ließ.
Gerade als ich noch dachte, wer ich denn eigentlich sei, um mir geschlagene zwei Stunden auf der Stelle die Füße platt zu stehen, geschah das Unbegreifliche.
Zum ersten Mal rutschte mir wahrlich das Herz in die Hose und mein Verstand gleich hinterher. Ich war sprachlos, als ich sah, wer dort zur Bühnentür herauskam.
©Nicole Hacke / Bühnentür Amsterdam 2017 - Tenor Jonas Kaufmann
Während um mich herum die Damenwelt bereits zu schubsen, zu drängeln und zu quengeln begann und ich meine Fassung immer noch nicht ganz wieder erlangt hatte, stürmten auch schon die ersten schmachtenden Vollweiber auf den Tenor der Herzen zu, ließen sich Autogramme geben und überboten sich fast gegenseitig mit Lobeshymnen und zuckersüß triefenden Komplimenten, mit denen sie versuchten, ihrem Lieblingstenor zu schmeicheln, ihn zu umgarnen und seine Aufmerksamkeit voll und ganz für sich zu gewinnen.
Es war ein Stechen und Hauen, ein Wettbewerb um die Gunst eines einzigen Mannes, der sicherlich wunderbar singen konnte und ohne Zweifel blendend aussah, aber am Ende des Tages auch nur ein
Mensch war, der ein dringendes Bedürfnis nach Feierabend, einem guten Essen und Ruhe hatte.
Am Gesichtsausdruck des Künstlers erkannte ich sofort, dass der Schock über so ein hohes Fanaufgebot die Freude am "Berühmt-sein" drastisch minimierte. Meine Ernüchterung über diese
augenscheinliche Tatsache katapultierte mich relativ schnell wieder zurück in die knallharte Realität.
Fast war es mir schon peinlich, mich unter die jubelnde Anhängerschaft gemischt zu haben. Doch dafür war es jetzt leider zu spät und ich nunmehr mittendrin in dem rauschenden Sog, der mich mit dem tosenden, übereifernden Enthusiasmus der Menge mitriss.
©Nicole Hacke / Bühnentür Amsterdam 2017 - Tenor Jonas Kaufmann
"Ob ich denn noch kein Foto mit dem Künstler hätte", drang es von der Seite scheppernd an mein Ohr. Völlig sprachlos, perplex und um eine Antwort extrem verlegen, schenkte ich meinem Gegenüber ein zaghaftes Lächeln, das, so hoffte ich, mein Defizit an den nicht existenten Fototrophäen mit dem Objekt der Begierde wettmachen sollte.
Prompt, und ohne noch eine weitere Reaktion meinerseits abzuwarten, entgegnete mein freundliches, aber sehr bestimmtes Gegenüber, dass wir das mit dem Foto schon hinbekämen, so als ob ich einen
seltenen Defekt hätte, der, wie bei einer Karosserie, nur durch Auswechseln eines passgenauen Ersatzteiles behoben werden konnte, damit ich schlichtweg wieder fahrtüchtig wurde.
Ohne Foto brauchte ich also die Bühnentür erst gar nicht zu verlassen und sie wohl auch nie wieder aufzusuchen.
Auch wenn ich damals bereits wusste, dass ich im falschen Film sass, so erlag ich fortan dem "Bühnentürfieber". Es gab für mich kaum noch ein Konzert oder eine Opernaufführung ohne den krönenden
Abschluss an der magischen Tür, die mit jeder weiteren Vorstellung und über die Jahre hinweg immer weniger versprach, was sie anfänglich noch hielt zu offenbaren.
Aus der Euphorie der ersten Stunde, der Jagd nach dem nächsten Foto, das stolz sofort in der Iphone-Gallerie seinen gebührenden Platz fand, der Sucht nach dem letzten Kick, seinem Lieblingssänger
in persona zu begegnen, wurde schleichend irgendwann ein schwerer Kater, der mit einem Katzenjammer einherging, wie er nur unter Frauen zu beklagen ist.
©Nicole Hacke / Bühnentür Amsterdam 2017 - Tenor Jonas Kaufmann
Und jener Katzenjammer wog zentnerschwer, denn was in einem herzlichen, überschwänglichen und freudigen Miteinander unter sogenannten „Opernfreundinnen“ begann, wuchs sich im Laufe der Zeit zu einem Wettkampf unter Konkurrentinnen aus.
Wer hatte welche Vorstellungen besucht, wer die meisten Fototrophäen gesammelt, wer dem Künstler die originellsten Geschenke gemacht, wer durfte in den Backstagebereich, wer auf die
Premierenfeier und wer ging schlicht und ergreifend einfach nur leer aus?Anstatt sich mehr über die gelungene Opernvorstellung oder gar über die Gesangsdarbietungen der Interpreten zu freuen, das
gemeinsame Interesse an der Musik in den Vordergrund zu rücken, erblasste genau dieses verbindende Element vor dem Hintergrund eines omnipräsenten, auf einem zu hohen Sockel befindlichen Sängers,
der ohne überhaupt eine Mitschuld daran zu tragen, zur ungewollten Projektionsfläche für Neid und Missgunst zwischen den rivalisierenden Frauen avancierte.
Doch auch die echten, respektvollen und ehrlichen Freundschaften hielten an der Bühnentür Einzug. Ich begegnete Neidern und Bewunderern gleichermaßen. Ich genoss die von tiefer Emotionalität
geprägten Gespräche, lernte intelligente, liebenswerte und warmherzige Frauen kennen, mit denen ich aus vollem Herzen lachen, diskutieren oder einfach nur unbekümmert sein konnte.
Gesellige Abende in vertrauter Runde mit den Menschen, die mir plötzlich unglaublich nahe standen und immer noch viel bedeuten, bestimmten meine Fluchten aus dem gleichförmigen Alltag in die schillernde Welt der Oper.
©Nicole Hacke / Bühnentür Hamburg 2020
Wenn ich dieser Tage an irgendeiner verwaisten Bühnentür vorbeigehe, dann spüre ich in mir ein wehmütiges Verlangen nach der Zeit, in der sich Menschentrauben in antizipierender Erwartung vor ihr versammelten und irgendwann wieder glücklich auseinanderstoben, sobald sich der Traum von einer Begegnung mit ihren Herzenskünstlern erfüllt hatte.
Ob diese besonderen Momente mich zukünftig noch genauso erfüllen werden, wenn die Konzerte langsam wieder ihren Weg ins soziale Leben finden, vermag ich noch nicht zu beurteilen.
Doch eine Sache kann ich nicht von der Hand weisen: Die Bühnentür ist für mich Fluch und Segen zugleich!
Zwar habe ich die Option sie links liegen zu lassen oder einfach an ihr vorbeizugehen, gänzlich ignorieren kann ich sie allerdings nicht mehr, auch wenn ich ganz genau weiß, dass die Sekunde in der ich neben meinem Lieblingstenor stehe, einer illusorischen Sternstunde gleich kommt, in der ein imaginärer Funkenregen auf mich herabrieselt, wie ein glanzvoll schimmerndes Konfettimeer aus irisierenden Lichtern.
Dann aber ist der Spuk auch schon wieder vorbei und...
...die Bühnentür und mit ihr der Zauber des Augenblicks in einer ganz großen Illusion verflogen!
Was bedeutet Euch die Bühnentür? Gehört Ihr auch zu der Gruppe, die hufescharrend darauf wartet, nach jedem Konzert die Künstler am Ausgang abzupassen oder interessiert Euch der ganze Hype um die "Star-Verehrung" nicht?
Seid Ihr Fototrophäenjäger oder haltet Ihr Euch lieber im Hintergrund und beobachtet das geschäftige Treiben der Fans aus sicherer Entfernung. Oder meint Ihr sogar, dass ein gelungener Opernabend ohne Bühnentür auskommt? Letztendlich sollte die Musik im Mittelpunkt stehen und nicht das Spektakel am Bühneneingang. Lasst mich gerne wissen, was Ihr über dieses kontroverse Thema denkt.
Eure