15. MAI 2020
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Latin Lover der Oper, Startenor und derlei vieler Superlativen muss der Münchner Tenor Jonas Kaufmann immer wieder über sich ergehen lassen.
Offensichtlich scheinen ihm diese maßgeschneiderten Attribute nicht gut zu passen, zu gerne zeigt er sich außerhalb der Opernmanege in bewusst bequemer und sportiver Kleidung.
Lässig, unangestrengt und bodenständig, ganz offensichtlich sogar mit einer natürlichen Bescheidenheit gesegnet, so erlebt man den stimmlich baritonal eingefärbten Tenor, der die samtig tiefen Töne zum Schmelzen bringt, mal am Bühneneingang, mal bei einem exklusiveren Meet & Greet, immer häufiger auch gar nicht.
Fast schon enttäuscht wartet man, wenn einem das Glück ereilt, allerdings vergebens auf die Starallüren und das exaltierte Gebaren, das sich manch anderer Künstler seines Fachs als Schutzmantel
der Eitelkeit kokett überstülpt.
Nichts davon wird man je bei Herrn Kaufmann erleben, denn der Mensch hinter der Tenorfassade ist, man glaube es oder nicht, tatsächlich ein ganz normaler, überaus sympathischer, wenn nicht sogar unprätentiöser Erdenbürger.
Kaum aus der alltäglichen Masse herausstechend, würde man Jonas Kaufmann auf der Straße womöglich gar nicht erkennen, wüsste man nicht um die Berühmtheit des späten Weltstars, der erst mit 36
Jahren seinen kometenhaften Aufstieg an der MET in New York feiern durfte.
Ab 2006 ging seine Karriere fortan steil bergauf. Und auch die deutschen Konzerthäuser rissen sich auf einmal um den Mann mit der goldenen Stimme, hatten sie ihn doch all die Jahre zuvor rigoros verschmäht.
Ausverkaufte Häuser, Schwarzmarktgeschäfte um die begehrten „Kaufmann-Karten“, teenagerhafte Hysterie und groupiehaftes Verhalten der weiblichen Anhängerschaft säumten plötzlich die
weich-gepolsterten roten Teppichläufer der Bayerischen Staatsoper, die so zweckmäßig, wie die Flagge vorm Buckingham Palace, weit ausgerollt, die Anwesenheit des Sängers an der Bühnentür
bestätigten.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Mit dem stetig größer werdenden Zuwachs an Fans und dem unbeabsichtigten Megahype um die Privatperson, kam der Thron, der hohe Sockel, auf dem platziert, aus dem stimmächtigen Ausnahmetalent, allmählich der Startenor, der absolute Medienmagnet Jonas Kaufmann wurde.
Mittlerweile zum Weltstar erhoben und auf Werbemitteln und CD-Covern hochglanzpoliert, bringt man die inszenierte Bildillusion eines tatsächlich hochattraktiven Mannes schwer mit dem Menschen aus
Fleisch und Blut in Verbindung.
Doch allem vorgegaukelten Schein zum Trotz ist der deutsche Künstler mit der angegrauten Lockenpracht wahrhaft ein absolutes Faszinosum. Und nicht nur das: Einem Chamäleon gleich, zeigt sich
Jonas Kaufmann wandelbar, wie kaum ein anderer Sänger seines Fachs.
Starke, magnetische Bühnenpräsenz, ein ausgeprägtes vereinnahmendes Charisma und ein dunkelsamtiges, oftmals hypnotisierendes Betören in der Stimme, stellen alles Dagewesene in den Schatten, was nicht schon eh sicher und krisenfest unter der Flagge der weltgrößten Tenöre fährt.
Der Jahrhunderttenor, so der gleichnamige Titel einer filmischen Dokumentation, die vor wenigen Jahren ihren Weg in die Umlaufbahn des In- und ausländischen Fernsehkosmos fand und einmal mehr
bestätigt, was längst schon durch den Gütestempel des "Könnertums" besiegelt wurde:
Jonas Kaufmann ist der unangefochtene, weltbeste Vertreter seiner singenden Tenorzunft. Punktum!
Auch wenn das die Meinungen haarspalterisch auseinandertreibt und so manch harschen, oftmals pöbelnden Hobby-Kritiker des starken Geschlechts wutschäumend ermutigt, sich an unqualifizierten
Äußerungen zu vergehen, so ist an der reinen Faktenlage, nämlich an der technischen Versiertheit und der ausgereiften Stimmqualität, nichts zu rütteln.
Lediglich über den Geschmack lässt sich streiten. Doch auch der hat seinen Diskussionsbedarf aufgrund subjektiver Befangenheit längst gedeckt.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Steht man dem Münchner Sänger am Bühneneingang gegenüber, was aufgrund der hektisch schiebenden und chaotisch schubsenden Massen fast schon ein unmögliches Unterfangen darstellt, so überrascht der unendlich strapazierfähige Geduldsfaden Kaufmanns, der sich wie ein schützender Panzer um das auch sonst sehr starke Nervenkostüm des Sängers mit ruhiger, unaufgeregter Gelassenheit spannt.
Geduldig nimmt Herr Kaufmann wie so oft, neben Komplimenten, Geschenken und anderen Mitbringseln, auch die Smartphones der weniger technikaffinen „Selfieschaft“ entgegen, um mit einer nicht
patronisierenden Engelsgeduld zu erklären, wie der Kameraschwenk für ausgeklügelte Fotos funktioniert.
Technische Affinität und handwerkliches Geschick liegen dem Sänger genauso im Blut, wie sein köstliches Improvisationsgeschick auf der Bühne und die charmanten liebenswerten Patzer, wenn hie und
da auch mal der Einsatz lausbübisch verpasst wird.
Ganz klar macht das Gesamtpaket des Sängers, wie der Ton, die Musik. Und die strahlt weit über die Grenzen jedes Konzerthauses hinaus und widerhallt noch lange in den eigenen vier Wänden und in den Herzen der dankbaren Zuhörerschaft.
Vielleicht ist es gerade diese Bodenständigkeit, vereint mit gesanglichem Genie, charismatischer Strahlkraft und einem Charakter, der von soliden Werten, wie Bescheidenheit und Pragmatismus
geprägt ist, der Kaufmann zu menschlicher Größe erhebt und das Faszinosum um seine Person nur noch gewaltiger macht.
©Julian Hargreaves / Sony Classical
Seinen teils steinigen, von Stimmkrisen behafteten Karrierewege immer unbeirrt folgend, hat er es auf den Zenit der tonalen Spitzenathleten geschafft. Wenige können ihm was nachmachen, vormachen sowieso nicht.
Unbeeindruckt vom Hype um seine Person, oft sogar befremdet über die Fan-Verehrung seiner überwiegend weiblichen Anhängerschaft, stützt sich Kaufmann auf die grundsoliden, stabilen Säulen seiner
Privatsphäre, die er nur in Ansätzen der Öffentlichkeit zugänglich macht, dann aber offensichtlich mit ganzem Stolz.
Wen verwundert es da noch, dass dieser geerdete Mensch, der mit leuchtenden Augen und einem Strahlen im Gesicht die Bühnen dieser Welt im Sturm erobert, sich dabei nicht um ein MÜ verstellen
muss. Er ist er selbst und geht ganz selbstverständlich immer mit vollem Einsatz und leidenschaftlichem Engagement in seinen Rollenpartien auf.
Ob italienisches, französisches oder deutsches Opernfach. Auf jedem Parkett, jeder Konzertbühne bewegt er sich sicher und versiert, verliert nie den Überblick über sein umfangreiches Repertoire, legt sich dabei aber ungern auf ein einziges Genre fest, sondern lebt vielmehr sein musikalisches "Generalistentum" aus voller Überzeugung aus.
In Schubladen wird man Kaufmann daher nie stecken können, zu vielseitig, zu flexibel, zu weit gefächert ist sein diverses, abwechslungsreiches musikalisches Programm, das er bewusst, scheinbar immer gehäufter, nach Lust und Laune auswählt. Dabei riskiert er allzu gerne den aufgeschlossenen Blick über den musikalischen Tellerrand, der bei seiner entzückten Zuhörerschaft immer wieder für positive Überraschungsmomente sorgt, auch wenn die Kritiker über die Wahl seiner teils unkonventionellen musikalischen Einlagen die Hände über den Kopf zusammenschlagen mögen.
So lässt es sich Kaufmann gerade dann nicht nehmen, in gut dosierten Momenten auch mal spontan und lausbübisch zu werden und das Publikum dabei in schieres Staunen zu versetzten.
Bei der L´Opera Konzertreihe vor vielen Jahren, zettelte Kaufmann das ariose Duett "Belle Nuit" von Jaque Offenbach als Highlight zum ausklingenden Konzertabend an. Das Auditorium hörte nicht schlecht, als Kaufmann plötzlich und ohne Vorankündigung in die Sopranstimme verfiel, so als ob er nie etwas anderes in seiner Gesangskarriere getan hätte.
Superlativen, oh ja! Superlativen kann Herr Kaufmann, so gut wie auf Knopfdruck!
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Und dass er auch als charmanter, spritziger Bon-Vivant mit raunendem, samtweichem Wiener Dialekt eine gute Figur macht, Schmäh hin und her, bewies er unlängst bei seinen Auftritten zu seiner "Mein Wien" Tournee im Januar dieses Jahres. Es scheint unbestritten, dass er auch dem verschmähten Operettenfach einen frischen Anstrich verpassen kann und dabei mit charmanter Leichtigkeit und augenzwinkerndem Humor die Massen beeindruckt.
Die Frage, was Herr Kaufmann eigentlich nicht kann, sollte schlicht und ergreifend umformuliert werden in "Was kann Jonas Kaufmann eigentlich noch alles?"
Dass sein Otello am Royal Opera House in London im Jahr 2017 ein voller Erfolg wurde, zeigt sich in den Wiederholungstaten, die ihn als musulmanischen Feldherren an das Opernhaus in Neapel, an die Bayerische Staatsoper in München und jüngst an die Wiener Staatsoper führten. Es ist eine seiner schwersten Rollen, sieht man mal von Tristan und Tannhäuser ab, die er ebenfalls als Nachklapper erfolgreich in München und Salzburg gegeben hat.
Doch den absoluten Zenit erklomm Kaufmann tatsächlich mit der bahnbrechenden Interpretation von Verdis Otello. Und so wuchs denn auch seine Karriere stetig und unaufhaltsam.
Und die Opernwelt fieberte immer voller Spannung und mit großer Erwartungshaltung mit, wenn sich der Tenor einem neuen "Baby" widmete. Enttäuscht hat er seine treuen Fans sicherlich nie, auch wenn sein jüngster Coup, Filmmusik zu interpretieren, weit vom Operngenre abschlägt und vielleicht nicht ganz perfekt in das Bild eines ernstzunehmenden Tenors passt.
Und dennoch: Was für eine einzigartige Karriere. Stellt sich nur die Frage, wo will Herr Kaufmann noch hin, was schwebt ihm in seinem musikalischen Tun und Wirken perspektivisch vor. Das er neben dem Singen auch andere Talente hat, ist bekannt. Dass er sie auch einsetzen würde, wenn andere Stricke rissen, betonte er bereits in mehreren Interviews. Na, da schwebt ja schließlich noch eine Intendanz im Raum
Handwerklich ist Jonas Kaufmann, praktisch veranlagt und so geschickt, dass er gerade Mal in wenigen Minuten beim Abspann der NDR Sendereihe "Auf dem roten Sofa" ein Dirigentenpult zusammenbaut.
Wer würde wohl der Kaufmann sein, wenn er nicht schon längst der Kaufmann wäre?
Mit dieser Frage sah sich der junge Sänger bereits konfrontiert, just bevor seine Karriere so richtig ins Rollen kam. Auf die einfache Frage, wer er denn einmal sein möge, welchem Sänger er
bewusst nacheifere, fiel seine Antwort schlicht, schlüssig und allzu direkt aus:
„Ich möchte der nächste Kaufmann sein.“
Wie gut, dass er tatsächlich der nächste Kaufmann geworden ist, der ohne Allüren und Attitüden auskommend, dem Klassikbetrieb zu unverschnörkeltem Glanz und unaufdringlicher Größe verholfen hat.
©Jonas Kaufmann / Sony Classical - über Youtube zur Verfügung gestellt
Am 12. Juni 2020 erscheint endlich die Gesamtaufnahme von Verdis Otello in Starbesetzung auf Tonträger. Mit dem Orchester und dem Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia und unter der Leitung von Sir Antonio Pappano, singt der Münchner Tenor Jonas Kaufmann das vollständige Arienrepertoire aus diesem epischen Werk Verdis.
Das Duett zur Arie "Dio ti giocondi, o sposo" ist als kleiner Vorgeschmack in anbei gefügtem Video-Clip zu hören. Viel Spaß dabei!