Im Gespräch mit Vladimir Kornéev Teil 2: "Wenn das Chanson gut gemacht ist, entführt es Dich in eine sehr berührende und farbenreiche Welt."

12. Januar 2024

Rubrik Interviews

©Elena Zauck

Operaversum: Höchstwahrscheinlich würde es dann auch viel mehr Menschen für das Kunstlied begeistern können! 

 

Vladimir Kornéev: Das kann gut sein! Ich baue auch jeden meiner Chanson Abende so, dass es auch einfach nur mit einem Flügel funktionieren könnte. Das habe ich mir vom klassischen Lied abgeguckt.

 

Meine Anforderungen an einen Begleiter am Flügel sind sehr hoch, da ich selbst Pianist bin und ähnlich wie beim Kunstlied in einen Dialog kommen möchte.  

 

Operaversum: Das klingt fantastisch. Nun eine andere Frage! Wie schaffst Du es bei Deinen Chanson-Abenden sowohl zu singen als auch noch die Geschichten zu erzählen? Ist das nicht enorm anstrengend für die Stimme beides zu tun? 

 

Vladimir Kornéev: Wenn ich an meiner Stimme und meinem Körper dran bleibe, dann ist das für mich gar kein Problem. Aber ich muss dazu sagen, dass ich natürlich auch mit einem Mikrofon arbeite. Ich kann ziemlich weich ins Mikrofon sprechen.

 

Wenn Du natürlich einen großen Raum mit Deinem Gesang ohne Mikrofon füllen musst und dann noch obendrauf Monologe sprichst, ist das vergleichsweise anstrengender.

 

Aber ich denke, dass auch da sprechen funktionieren kann. Die Königin der Nacht schreit ihre Tochter ja auch wutentbrannt an, bevor sie ihre Arie singt. Und in dem Fall ist auch beides möglich. 

 

Operaversum: Lieber Vladimir, Du hast ja auch eine Kurt Weill CD aufgenommen. Wie ist es zu der Kompilation gekommen, die sich aus deutschsprachigem, französischem und englischem Liedgut zusammensetzt?  

 

Verändert sich durch die Sprache auch das Lied, beziehungsweise dessen Interpretation?  

 

Vladimir Kornéev: Ja, absolut! Jede Sprache hat ja ihre eigene Vokalfärbung. Demnach klinge ich auf Russisch ganz anders als auf Französisch.

 

Und es fühlt sich auch komplett anders an. Vielleicht kommt es daher, weil Russisch meine Muttersprache ist und ich mich damit sehr wohl in meinem Körper fühle.

 

Dieses Gefühl konnte ich über die Jahre auf die anderen Sprachen übertragen. Was die sprachliche Ausgestaltung anbelangt, so kann ich im Deutschen klanglich und textlich sehr präzise und genau Emotionen ausdrücken.  

 

Operaversum: Auf Französisch etwa nicht? 

 

Vladimir Kornéev: Doch, auf Französisch auch. Die französische Sprache fließt nur anders. Man merkt das lateinische Flair in ihr. Die Leidenschaft. Dabei vibriert es mehr in den Lippen, weil das Französisch mehr Nasale hat als die deutsche Sprache.

 

Es fühlt sich an wie küssen. Und wenn ich auf Russisch singe, vibriert es viel mehr im Kehlkopf und im Brustbein, weil die Vokalfärbung viel tiefere Frequenzen mit sich bringen. Diese Unterschiede nehme ich tatsächlich über die Vibrationen wahr.

 

Aber letztendlich singe ich in allen Sprachen gerne, auch auf Spanisch, denn ich habe eine Schwäche für Tango Argentino. 

 

Operaversum: Und wie kam es jetzt zu dieser Kompilation? 

 

Vladimir Kornéev: Ach so ja, der Kurt-Weill-Abend. Nun, er ähnelt dem Piaf-Abend in der Struktur. Eigentlich hat sich der Piaf-Abend aus dem Kurt-Weill-Abend entwickelt, denn mit dem Weill-Programm habe ich es geschafft das Leben eines Komponisten von seiner Geburt bis zu seinem Tod zu erzählen.

 

Mit Kurt Weill begann die erste Etüde, ein Konzert so zu gestalten, wie es dann auch mit dem Piaf-Abend passiert ist. Aber der Piaf-Abend ist noch intensiver und viel persönlicher geworden und enthält mehr Monologe.

 

Die Geschichte von Kurt Weill und das Titellied des Abends „Youkali“ verbinde ich mit der Flucht meiner Eltern und mir aus Georgien, als ich 5 Jahre alt war.

 

Im Piaf-Konzert verwebe ich den Verlust ihrer großen Liebe durch einen Flugzeugabsturz mit meinem Erlebnis eine Liebe bei einem Autounfall verloren zu haben, als ich 25 Jahre alt war. So entstehen beim Erzählen die Verwebungen mit meinen persönlichen Lebensthemen.  

 

Operaversum: Mal ganz abgesehen von Deinem erzählerischen Talent hattest Du beim Piaf- Abend auch unglaublich viel Spaß, mit Deinem Publikum zu interagieren.

 

Die Resonanz hat es bestätigt. Das hat man total gespürt. Wenn ich Dich jetzt nach Deinem unvergesslichsten Bühnenerlebnis fragen würde, könntest Du mir das dann benennen? 

 

Vladimir Kornéev: Also, das Unvergesslichste auf der Bühne ist für mich, wenn ich nicht mehr bewusst atme oder singe.

 

Wenn alles von allein passiert und ich in diesem Moment nur noch zum Gefäß werde. Meinen Körper und mein ganzes Sein der Schwingung der Kunst hingebe und eins mit meinem Publikum werde. 

 

Operaversum: So eine Art Transzendenz? 

 

Vladimir Kornéev: Nun, es ist so eine Art Zustand, bei dem ich gar nichts mehr mache. Die Atmung geht einfach von selbst, das Singen geht von selbst. Ich gestalte auch gar nichts mehr. Es gestaltet. Es fließt, laut, leise, weich, hart, was auch immer.

 

Ich denke auch einfach nichts mehr. Ich bin einfach nur komplett da. Es ist ein pures Sein. Kein Aufwand beim Atmen oder singen. Und ich gestalte beim Singen auch nicht mehr bewusst. Eigentlich möchte ich dann über meinen Gesang auch gar nichts mehr gestalten, denn irgendwie gestaltet es sich von selbst.

 

Letztendlich bin ich in den Momenten einfach nur noch ein Instrument, das von etwas anderem gespielt wird. Ich weiß aber nicht, von was genau. Kürzlich bei einem meiner Konzerte ging es mir sogar von der ersten bis zur letzten Sekunde durchgehend so. Und das war wirklich irre schön. Aber es passiert manchmal und manchmal nicht.  

 

©Elena Zauck

Operaversum: Spürt das Publikum das auch? Und ist so ein Konzert besser als das, was ich gestern erleben durfte? 

 

Vladimir Kornéev: Es funktioniert alles auch ohne diesen Zustand. Der Spaß und die Freiheit sind ja dann trotzdem da. Diesen Zustand kann ich vor allem nicht greifen oder erzwingen.

 

Allerdings erfahre ich mein Publikum, wenn ich in diesen, sagen wir „Flow“ komme als weniger enthusiastisch - und zwar in dem Sinne, dass manchmal nach Liedern sehr lange Stille ist, bevor der erste Mensch klatscht, als wollten sie noch in dem Augenblick und Nachklang des Lieds verweilen, so wie ich selbst auch.

 

Zu gewissen Teilen spiegelt ja das Publikum auch den Künstler auf der Bühne. Mit meinem inneren Empfinden kann ich quasi Einfluss darauf nehmen, was im Publikum passiert. Es ist sehr schön diese wechselseitige Resonanz zu erleben. Das ist wirklich, wirklich toll.

 

Aber das funktioniert auch nur, wenn der Gesangsapparat top fit, der Körper gesund und ausgeruht und die Seele glücklich ist. 

 

Operaversum: Wie ich bei Deinem Piaf-Abend hören durfte, schreibst Du auch Eigenkompositionen. Wird es da zukünftig auch eine CD mit eigenen Liedern von Dir geben? 

 

Vladimir Kornéev: Ich war gerade einen Monat in Paris und habe dort auch einen Autor kennengelernt, mit dem ich französische Lieder schreiben möchte. Interessant ist, dass, wenn ich mich ans Lieder schreiben mache, das meistens aus einem sehr unmittelbaren und unbedingt emotionalen Zustand heraus passiert, der mich geradezu zum Komponieren zwingt.

 

Also, wenn etwas sehr Trauriges oder etwas, das mich sehr wütend oder glücklich macht, passiert. Es sind immer so extreme Zustände, die aus mir raus müssen.

 

Eigentlich versuche ich diese extremen Zustände mit klarem Bewusstheit und Meditation zu regulieren, weil ich in meiner Kindheit Traumata ausgesetzt war und mir meine psychische Gesundheit doch schon sehr wichtig ist.

 

Dabei frage ich mich natürlich, wie ich, auch ohne in diese Extreme zu verfallen, in diese Kreativität kommen kann. Dieser Weg möchte gegangen und entdeckt werden. 

 

Operaversum: Was macht für Dich persönlich die Magie des Chansons aus?

 

Vladimir Kornéev: Oh! Die Magie des Chansons! Also, wenn es wirklich gut gemacht ist, entführt Dich das Chanson in eine sehr berührende und farbenreiche Welt. Magisch ist die Welt in dem Sinne, dass sie Dich durch Lieder an universelle Themen des Lebens, - Deines Lebens führt.

 

Diese Welt kreiert einen Raum, in dem sowohl Deine Licht- als auch Schattenseiten aufeinandertreffen und sich in einer wohligen Balance die Hand geben dürfen.

 

Das Chanson ermöglicht eine tiefe Anbindung an Dich selbst durch eine wundersame Frequenz, die sich durch die Stimme und durch die Instrumente in Vibration verwandelt, die durch die Lüfte fliegt, über Deine Ohren ins Gehirn fließt, von dort als elektrischer Impuls vom vegetativen Nervensystem aufgenommen wird, welches über den Vagus Nerv direkt Dein Herz mit der ursprünglichen Frequenz des Senders speist.

 

Wir sind also Wesen, die mit dem Herzen hören können, wenn sie die Ohren weit genug öffnen. Und das ist doch wahrhaftig das magische unseres Daseins, - dass nämlich alles in unserer Welt auf feinstofflicher Ebene, reine Schwingung und Frequenz ist und dass wir als Menschen durch Musik und Kunst Zugang zu einem liebevollen, tröstenden Ort haben, zu diesem, sagen wir vielleicht sogar göttlichen Ort, der seit Anbeginn der Zeit in Frequenzen existiert.

 

Wir müssen das Herz einfach nur mit Musik und Kunst füllen. Das ist Heilung. Das ist Magie!

 

Operaversum: Lieber Vladimir, ich danke Dir von Herzen für dieses schöne und  besonders inspirierende Gespräch und wünsche Dir weiterhin ganz viele magische Momente mit Deiner Kunst und Deiner Musik!

 


©CD-Cover PIAF - Vladimir Kornéev

Der gebürtige Georgier Vladimir Kornéev floh mit seinen Eltern aus Georgien nach Deutschland, als er sechs Jahre alt war. In den folgenden zwölf Jahren absolvierte er seine Ausbildung zum Pianisten, bevor er sein Schauspiel- und Gesangsstudium an der "August Everding – Staatliche Hochschule für Theater und Musik" in München begann. 2012 erhielt er sein Diplom mit Auszeichnung.

 

Als Chanson-Sänger war Vladimir Kornéev dreimal in Folge Preisträger bei den deutschen Nationalmeisterschaften.

 

Im Jahr 2020 wurde Vladimir Kornéev als jüngster Preisträger im Fachbereich "Darstellende Kunst" in die "Bayerische Akademie der Schönen Künste" aufgenommen. Diese Auszeichnung zählt zu den höchsten Ehrungen für einen Künstler in Deutschland.

 

Sein Repertoire ist hauptsächlich auf Französisch und Russisch, umfasst aber auch englische Coverversionen, selbst komponierte und geschriebene deutsche Chansons sowie eigene Versionen des Kurt-Weill-Liederbuchs.

 

Im Mai 2014 veröffentlichte Vladimir Kornéev sein erstes Chanson-Album "Weitergehn". 

 

2016 veröffentlichte er sein zweites Album "Recital", den Live-Mitschnitt seines Premierenkonzerts "LIEDÉЯ" in der renommierten deutschen Chanson-Theatergruppe "Bar jeder Vernunft" in Berlin.

 

Vladimir Kornéev veröffentlichte 2019 sein drittes Album "Herz". Es ist der Live-Mitschnitt seines Winterkonzerts im Theater "Tipi am Kanzleramt" in Berlin.

 

Sein Orchesteralbum "Romance" in Kooperation mit dem "WDR Funkhaus Orchester" ist seit Mai 2021 auf allen digitalen Plattformen weltweit und auf CD erhältlich. Vladimir Kornéev schrieb die Arrangements zusammen mit dem Pianisten Liviu Petcu.

 

Vladimir Kornéev feierte mit seinem Kurt-Weill-Programm "Youkali" als Artist in Residence beim "Kurt Weill Fest" 2020 in Dessau als Nachfolger von Ute Lemper Premiere. Dieser Konzertabend erzählt die Geschichte von Kurt Weills außergewöhnlicher musikalischer Reise von Berlin und Paris nach New York, verbunden mit seiner Liebe zu Lotte Lenya. Vladimir Kornéev sang dieses Rezital auch in der Bar jeder Vernunft in Berlin, für das EU-Parlament in Brüssel und feierte sein Londoner Debüt im renommierten Kabaretttheater The Crazy Coqs in Soho.

 

Im Jahr 2022 gab Vladimir Kornéev sein nordamerikanisches Debüt mit seinem Chansonprogramm "Romance", begleitet vom Quebec National Symphony Orchestra unter der Leitung von Alexandre Da Costa. Er wurde von der kanadischen Presse als "eine der größten Stimmen Europas" (La Relève) gewürdigt. Vladimir Kornéev kehrte für 7 Weihnachtskonzerte im Montreal Symphony House mit dem Quebec National Symphony Orchestra nach Montreal zurück.

 

Im Jahr 2023 wird Vladimir Kornéev seine neue Show "Le droit d'aimer" (Das Recht auf Liebe) mit sehr persönlichen Interpretationen von Liedern von Edith Piaf und Erinnerungen an ihr Leben aufführen.

 

Vladimir Kornéev hat in Deutschland mit eigenen Konzerten sowie als Gast von Symphonieorchestern und zahlreichen TV-Shows auf der Bühne gestanden. Neben seiner Gesangskarriere ist Vladimir Kornéev ein renommierter Schauspieler für Film und Fernsehen. Im Jahr 2022 erlangte er internationale Anerkennung mit der Netflix-Serie "Die Kaiserin", in der er den russischen Zaren Alexander Romanow II. verkörpert.


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