05. Mai 2023
Rubrik Interviews
©Silke Heyer / Inken Rahardt Intendanz Opernloft
Was die Intendantin des Hamburger Opernlofts Inken Rahardt anpackt, gelingt. Eine Oper auf 90 Minuten musikalisches Konzentrat zu reduzieren, gehört zu ihren Leidenschaften, denn als Stückentwicklerin widmet sie sich einem Schaffensprozess, der nicht nur kreative Freiräume offenlegt, sondern auch den Nervenkitzel befeuert, aus einer Originalinszenierung etwas unverwechselbar Neues aus dem Boden zu stampfen.
Auch in der Neuinszenierung von Hans & Grete, die auf Humperdincks Märchenoper Hänsel und Grete basiert, erlebt der Zuschauer das aus den Kinderschuhen entwachsene Geschwisterpärchen, das sich anstatt im Wald nun im eigenen Geist verliert: Hans & Grete leiden an Demenz.
Liebevoll inszeniert mit handlungsintensivem Tiefgang und ganz viel Leidenschaft für die Oper baut Inken Rahardt Brücken zur schweren Opernkost, indem sie die Hemmschwelle so tief ansetzt, dass wirklich jeder ihre Operninszenierungen verstehen und lieben lernen kann.
Oper für Alle! Wenn Inken Rahardt die Ärmel hochkrempelt und ihre sprudelnd kreative Ader fließen lässt, dann entstehen nicht nur Event-Opern, Krimi-Opern oder gar Opern-Slams. Nein, dann entsteht Kunst, die für jedermann erlebbar, nahbar und so dicht dran am Puls der Zeit ist, dass man wirklich keine Chance hat, an einer Aufführung im Opernloft umhinzukommen.
Operaversum: Frau Rahardt, wie kommt man auf die Idee, Oper in nur 90 Minuten zu inszenieren? Was war bei Ihnen der Auslöser, der Sie dazu veranlasst hat, dieses Genre neu und auch anders zu denken?
Inken Rahardt: Yvonne Bernbom und ich haben uns natürlich bei der Gründung des heutigen Opernlofts gefragt, warum die Oper in der Bedürfnispyramide der Gesellschaft so weit oben angesiedelt ist und warum überhaupt so viele Menschen gar keinen Zugang zur Oper finden. Aus der Frage heraus haben wir dann noch nicht gleich das Konzept der 90-minütigen Oper entwickelt, sondern hatten im ersten Schritt den Anspruch, das Genre Oper überhaupt jünger aufzubauen - und zwar so, dass es die Menschen dort abholt, wo sie wissentlich oder nicht wissentlich stehen. Keiner unserer Besucher sollte das Gefühl haben, vorab einen Opernführer gelesen haben zu müssen, bevor ein Opernbesuch für sie überhaupt erst möglich wird.
Aus der Motivation heraus haben wir dann unter anderem Kinderopern konzipiert und dabei relativ schnell festgestellt, dass plötzlich immer mehr Erwachsene ohne Kinder in unser Theater kamen, weil unsere Opern leicht verständlich waren. Aufgefallen ist mir damals auch, dass viele Besucher zuerst das Programmheft gezückt haben, um sich vorab Schlau zu machen, wie lange die Opern dauern. Das hat mich stutzig gemacht, weil mich persönlich die Sänger und die Inszenierung einer Oper mehr interessieren als der Zeitfaktor.
Operaversum: Demnach ist Ihnen aufgefallen, dass das Publikum eher schnelllebig unterwegs ist und zeitintensive Opern eher weniger schätzt?
Inken Rahardt: Ganz genau. Da habe ich gemerkt, dass die Dauer einer Opernaufführung für viele tatsächlich ein Thema ist, weil man ja so viel Sitzfleisch mitbringen muss. Und das schien überraschenderweise auch ein Thema bei eingefleischten Theatergängern zu sein.
Operaversum: Nun, Bei Wagner muss man tatsächlich viel Sitzfleisch mitbringen!
Inken Rahardt: Stimmt. Doch auch bei anderen Opern, wie beispielsweise Carmen, habe ich auch schon zu hören bekommen "Die ist aber sehr lang". Nun, die kürzeste Oper ist Carmen nicht, aber auch nicht wirklich die längste.
Operaversum: Das ist natürlich relativ. Wie definiert man lang? Für manch einen sind bereits 2,5 Stunden sehr lang.
Inken Rahardt: Und das ist der springende Punkt: Viele Menschen meinen, eine Oper dauert grundsätzlich immer so lange wie Wagners Götterdämmerung. Genau gegen diese Vorstellung muss man scheinbar immer ankämpfen. Und um uns davon zu lösen, haben wir die 90 Minuten Oper entwickelt. 90 Minuten dauert auch ein Spielfilm. Und darauf kann sich, glaube ich, jeder schließlich gut einlassen. Nachdem wir dann zum ersten Mal mit unseren 90-minütigen Opern an den Start gegangen sind, wurden wir in der ersten Zeit von den Kritikern ein wenig belächelt, was sich auch in den anfänglichen Rezensionen widerspielgelte. Die 90-Minuten-Oper wurde gegenüber der Inszenierung und der musikalischen Umsetzung deutlich stärker in den Vordergrund gehoben. Es hat wirklich sehr lange gedauert, bis wir in bei de Kritikern Akzeptanz gefunden haben.
Operaversum: Das kann ich mir gut vorstellen. Schließlich könnte man denken, dass der Oper sehr viel Substanz genommen wird, wenn man sie denn auf eine deutlich kürzere Spieldauer reduziert.
Inken Rahardt: Dem ist aber nicht so. Unsere Opern sind Kürzungen, die sich auf die Kernessenz des Stückes fokussieren, was bedeutet, dass nur das rausfliegt, was die eigentliche Handlung nicht vorantreibt. Wissen Sie, oftmals hat man musikalische Passagen, in denen nicht viel passiert. Und dann überlegt man sich natürlich, wie man das Stück in einen anderen Kontext bringen und neu zusammensetzen kann, ob man es irgendwie thematisch neu aufbereiten kann, ohne dass das Werk durch die Kürzungen gleich musikalisch an Substanz verliert.
Manchmal integrieren wir sogar Teile aus einer anderen Oper, um einen moderneren Handlungsweg erzählen zu können. Bei unserer Interpretation der "Traviata beispielsweise erzählen wir das damalige Verständnis für Sittlichkeit und Moral so, dass es in die heutige Zeit passt, nachvollziehbar und identifikationsnah ist.
©Silke Heyer / Yvonne Bernbom und Inken Rahardt Intendanz Opernloft
Operaversum: Lassen Sie uns auf Ihre Event-Opern zu sprechen kommen. Ich muss gestehen, es war wahnsinnig spannend als Zuhörer so mittendrin im Geschehen zu sein, die Sänger:innen so hautnah erleben und hören zu können.
Ist das auch so etwas, wo man sagen kann, die 90 Minuten in der interaktiven Kombination sind ein gelungenes Entertainment, etwas, was Menschen heutzutage wirklich reizt?
Inken Rahardt: Sicherlich. aber unsere Event-Opern müssen auch speziell dafür inszeniert werden. Einfach nur irgendetwas inmitten des Publikums spielen zu lassen, ohne Konzept, geht selbstverständlich auch nicht. Da bedarf es tatsächlich einer ganz besonderen Inszenierungstechnik, um das Optimale aus so einer Event-Oper herauszuholen.
Bei der Tosca haben wir die Handlung beispielsweise in eine Pizzeria verortet. Im ersten Moment mag das komisch erscheinen, insbesondere wenn man die Originalfassung dieser Oper kennt. Aber letztendlich passt die Szenerie wunderbar, um die Eifersüchteleien und die Eskapaden der Tosca deutlich heraus zu konturieren.
Dieser Pathos passt einfach prima in eine Trattoria.
Unser Programm bietet aber auch noch Krimi-Opern an, die deutlich niederschwelliger ansetzen. Sie sind eine Mischung aus Sprechtheater, in dem auch mal Seemans-Shantys und alte Schlager zum Besten gegeben werden, sodass man Menschen, die bis dato keinerlei Berührungspunkte mit der Oper hatten, über so ein Hybridmodell ebenfalls für das Operngenre begeistern kann.
Oder aber unsere Opern-Slams, die als Spaßkonzert gedacht sind: Da lassen wir zu einem musikalischen Thema vier Sängerinnen in 90 Sekunden gegeneinander antreten. Das Repertoire darf dabei auch schon mal etwas leichtere musikalische Kost, wie zum Beispiel Jazz oder Musical, beinhalten, je nachdem, was zur Kategorie passt. Das macht das musikalische Erlebnis unverkrampft und man findet so auch leichter Zugang zum Operngenre.
Aber dass man mit der Oper überhaupt so etwas Neues wagen darf und sie damit auch ein wenig vom elitären Sockel holt, das war für mach einen schon eine ungewohnte Erfahrung.
Operaversum: Aber Ihr Konzept komm doch an und begeistert Menschen. Und es bildet eine Brücke von der leichten Muse zum schweren Fach, sodass manch ein begeisterter Opernloft-Gänger sich sicherlich sogar dazu entscheidet, auch mal in die "richtige" Oper zu gehen, nicht wahr?
Inken Rahardt: Genau das haben wir letztendlich auch mit unserem Konzept erreicht. Manche haben wir zu eingefleischten Opernfans gemacht, die jetzt sogar durch die Welt jetten, um sich Produktionen an großen Opernhäusern anzusehen. Und das ist auch genau das, was wir erreichen wollen: Einen unkomplizierten Zugang zu unserem Haus zu ermöglichen, indem wir die Hemmschwelle möglichst niedrig ansetzten.
Unser großer Vorteil ist sicherlich auch, dass wir mit unserem Opernloft direkt am Hafen eine Lage mit Allleinstellungsmerkmal haben. Unmittelbar am Wasser gelegen, zieht man das Publikum schon allein dadurch an. Im Sommer kann man bei uns herrlich auf der Terrasse bei einem Sundowner die Aussicht genießen, ein bisschen Oper erleben und so auf angenehme und unkonventionelle Art gefallen daran und hoffentlich auch den Zugang dazu finden.
©Silke Heyer / Susann Oberacker und Inken Rahardt Intendanz Opernloft
Operaversum: Wie lange dauert es eigentlich, auf so eine Premierenoper wie "Hans und Grete" hinzuarbeiten? Wie muss man sich das als Projekt von der Idee bis zur letztendlichen Umsetzung vorstellen?
Inken Rahardt: Ähnlich wie an anderen Häusern braucht es dafür knapp zwei Monate. Die Kürzungen machen den Probenprozess jedoch nicht wirklich schneller, denn auch während der Proben wird immer noch mal etwas umgestellt.
Operaversum: Und wie lange dauert so was in etwa?
Inken Rahardt: Das kann ich gar nicht so genau sagen. Aber es dauert schon eine ganze Weile, zumal man nicht unbedingt von der Idee direkt in die Umsetzung kommt. Bei Hans und Grete habe ich für die Förderzusage zuerst einen Projektantrag schreiben müssen, der Monate auf sich hat warten lassen. Erst danach habe ich mich mit der Fassung auseinandersetzen können. Nur leider hat mir dann die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht und ich konnte wieder von vorne anfangen.
Das war wirklich eine extreme Zeit, wie bei noch keiner anderen Premierenaufführung der Fall. Normalerweise hat man die Idee, man macht die Fassung, bespricht diese mit der musikalischen Leitung und der Dramaturgie und kommt in die Umsetzung - und zwar so, dass man ein Thema findet, was die Menschen im Hier und Jetzt interessiert. Und genau diese Inszenierungen am Puls der Zeit liegen uns sehr am Herzen, egal, egal welche Opern wir aufführen.
Sollten wir einmal nicht den Dreh rauskriegen und uns gelingt es nicht, eine Oper in einem modernen Kontext zu verhaften, dann lassen wir das Stück einfach weg. Wenn es keinen Sinn ergibt, führen wir es nicht auf. Manche Sachen sind eben schwierig umzusetzen, manche dafür einfacher.
Bei La Traviata habe ich zum Beispiel fünf verschiedene Schlussvarianten ausprobiert und bin zu einem Finale gelangt, dass dem Original am nächsten kam, nämlich wenn Flora / Germont Alfredo und Violetta erschießt. Die Quintessenz bleibt gleich, beide sind am Ende tot, obgleich Alfredo in der Originalfassung Violetta überlebt, so ist er dennoch seelisch zerbrochen. Und das läuft im übertragenen Sinn auf das gleiche hinaus. Man nähert sich also auch mit einer anderen Interpretation an ein schlüssiges Ende an.
©Silke Heyer / Inken Rahardt Intendanz Opernloft
Operaversum: Lassen Sie uns doch einmal ins Detail gehen. Wie sieht der Prozess der Stückentwicklung bei Ihnen aus?
Inken Rahardt: Das ist von mal zu mal unterschiedlich und bei jedem Stück auch anders. Ich selbst empfinde mich auch mehr als Stückentwicklerin, denn als Regisseurin, zumal ich die Inszenierung noch während der Proben weiterentwickle - beziehungsweise umgestalte.
Bei Semiramis - Wie geht Karriere ging es zum Beispiel um die Frau in der Berufswelt. Da hatten wir bereits die Musik ausgewählt, aber uns fehlte noch die Story, die ich dann erst bei der Probenarbeit entwickelt habe. Und das hat sehr viel Spaß gemacht, auch wenn man manchmal sehr zweifelt und sich jeden morgen für den kreativen Schaffensprozess öffnen muss - unverkrampft und mit Spaß an der Sache. Dafür braucht es eine ganze Menge Chuzpe. Schließlich kann man bei so einer Herangehensweise auch scheitern. Alles kann scheitern, vor allem, wenn man wenig Erfahrung im improvisatorischen Arbeiten mitbringt.
Für Opernregisseure, die diesen Ansatz nicht verfolgen und das so an den großen Häusern auch nicht umsetzten dürfen, kann das eine absolute Herausforderung sein. Mich beflügelt es hingegen meinem Tun. Und genau diese kreativen Herausforderungen, so frei und unabhängig arbeiten zu können, sind besonders inspirierend für mich.
Ich finde einen neuen Handlungskern mit dem ich versuche, Menschen von heute zu berühren und an die Oper heranzuführen. Das ist eine völlig andere Herangehensweise im Vergleich zu dem, was die großen Häuser bewerkstelligen.
Operaversum: Und können Sie sich vorstellen, dass Opernloft, das es so ja nur in Hamburg gibt, auch auf andere Großstädte auszuweiten?
Inken Rahardt: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, wobei das natürlich auch in finanzieller Hinsicht mit erheblichem Aufwand verbunden wäre, weitere Opernlofts an den Start zu bringen. Wenn wir noch einmal so starten müssen, wie vor 20 Jahren bei der Gründung, ohne einen Cent Förderung, würde mich das viel zu sehr stressen. Denn letztendlich möchte ich den Kopf frei haben, um mich in Ruhe der Kunst widmen zu können. Wenn ich allein daran denke, wie wir gegen alle Widerstände so unglaublich viel haben kämpfen müssen, hat mich das schon extrem viel Kraft und Nerven gekostet.
Darüber hinaus braucht man auch ein wirklich gutes Team, das hinter einem steht und auch mitziehen will. Würde eine Stadt allerdings ein Opernloft dieser Art aufbauen wollen und uns die entsprechenden finanziellen Mitteln zur Verfügung stellen, wäre ich durchaus offen für ein weiteres Opernloft-Projekt.
Operaversum: Sind Sie denn vor einer Premiere immer sehr aufgeregt?
Inken Rahardt: Ich bin immer aufgeregt, wohl auch, weil ich mit meinen Inszenierungen eine Arbeit präsentiere, die in der Form so noch nie dagewesen ist. Ein bisschen fühlt es sich immer wie eine Uraufführung an, obgleich die Musik nicht neu ist. Jedenfalls bin ich immer sehr gespannt, wie das Publikum am Ende auf meine Inszenierungen reagiert.
Operaversum: Dann wünsche ich Ihnen viel Glück und Erfolg bei allen weiteren Projekten und bedanke mich recht herzlich für das aufschlussreiche Gespräch.
©Silke Heyer / Inken Rahardt Intendanz Opernloft
Inken Rahardt studierte Operngesang in Hamburg und in New York. 2005 machte sie ihr Diplom im Studiengang Kultur- und Medienmanagement in Hamburg. Sie absolvierte zahlreiche Meisterkurse u.a. bei Sherril Milnes, Prof. Kurt Widmer, Laura Sarti, Charles Riecker.
Ihr wurden in den USA und Europa verschiedene Stipendien, Wettbewerbs- und Förderpreise verliehen, und sie sang an verschiedenen Häusern Rollen aus dem Sopran- und Mezzosopranfach. 2002 gründete sie gemeinsam mit Yvonne Bernbom das Junge Musiktheater Hamburg.
Fünf Jahre später eröffneten sie gemeinsam mit Susann Oberacker das Opernloft, zunächts in Hamburg-Eilbek, 2010 in der Neustadt. Seit 2007 führt Inken Rahardt Regie. Sie hat u.a. Carmen von Bizet inszeniert, Wagners Tristan und Isolde, Puccinis Tosca sowie Die Winterreise und Heimliches Flüstern.
2010 erhielt Inken Rahardt den Rolf-Mares-Preis für ihre Inszenierung von Händels Tolomeo sowie 2015 für die Inszenierung von Orlando furioso. In der Opernloft-Pause inszenierte sie im Ernst Deutsch Theater Ein Maskenball und Carmen.