Warum die breite Masse sich nicht in die Oper traut und Influencer der Opernbranche massenwirksam einheizen

05. Januar 2025

Feuilleton

©Nicole Hacke / Operaversum

Was glauben Sie, warum die Besucherzahlen in den Opernhäusern der Welt immer weiter sinken? Warum interessieren sich so wenig Menschen aktuell noch für die Kunstform Oper?

 

Als ich vor 8 Jahren nach einer mehr als 20-jährigen Abstinenz vom Operngeschehen zum ersten Mal wieder ein Opernhaus betrat, war mir ganz und gar nicht wohl dabei.

 

Umringt von Menschen, die scheinbar alle mehr Ahnung von der klassischen Musik, ihren Künstlern und dem Opernbetrieb hatten als ich, fühlte ich mich dumm und deplatziert, und einfach nicht zugehörig.

 

Es dauerte einige Monate, bis ich mich wieder halbwegs in die Materie eingearbeitet hatte und in einer Gruppe von vermeintlichen "Fachexperten" bestehen konnte. Was wie eine Aufnahmeprüfung klingt, ist tatsächlich eine Bildungskür, die man, will man irgendwie dazugehören, meistern muss.

 

Hinzu kommen noch all die Konventionen, die Verhaltensregeln und die missbilligenden Blicke und spitzen Kommentare, wenn man sich nur ein wenig falsch verhält, mitten in einen Liederzyklus hineinklatscht oder vor Freude über eine gelungene Arie in Jubelrufe ausbricht.

 

Schließlich sind wir in der Oper und nicht bei einem Popkonzert. Schön und gut! Aber jeder fängt doch mit der klassischen Musik irgendwann einmal von null an, nicht wahr?

 

Und überhaupt, wer kann schon 3 Stunden bei einer nachgewiesen sinkenden Aufmerksamkeitsspanne stumm und still auf ein und derselben Stelle sitzen?

     

©Nicole Hacke / Operaversum

Nun, ich kann es. Ich habe mich diszipliniert, mir einen gewissen Habitus angeeignet.

 

Ich weiß um die Benimmregeln in Opern- und Konzerthäusern und bin dennoch bestürzt, wenn ich einen kritischen Artikel über das Benehmen von einem Massenpublikum in der Arena di Verona lese, das sich vor Begeisterung, vielleicht auch in Unwissenheit, zu 80 Prozent zu unkonventionell bei einer Opernaufführung verhalten haben soll.

 

Und halten wir fest: Es handelte sich um eine "Open-Air" Vorstellung bei der, wie mittlerweile gehäufter, viele Handys zum filmischen Einsatz kamen, was grundsätzlich untersagt ist und grundsätzlich auch als störend empfunden wird.

 

All das ist nachvollziehbar. Verzeihbar ist es allerdings nicht, wenn die mit Handy filmende Masse aus kritischer Perspektive als kleingeistig bezeichnet wird. So etwas kann man nicht bringen. Vor allem dann nicht, wenn man sich selbst als feingeistig und kulturell aufgeschlossener Mensch empfindet.

 

Heißt es nicht "Leben und leben lassen". Mit so einer Einstellung und mit so einer abwehrenden Haltung gegenüber Opernbesucher eines Festivals, vergrault man all diejenigen, die ihre ersten zarten Gehversuche auf dem Parkett der klassischen Musik unternehmen.

 

Wer möchte bitte in die Kategorie "kulturlos", "kleingeistig" oder gar "dumm" eingeordnet werden? Das ist schlicht und ergreifend diskriminierend.

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Und was bitte ist genau ein seriöser Opernbesucher? Haben all die anderen neugierigen Menschen, die kulturell interessiert sind oder sich gerade erst mit kulturellen Themen auseinandersetzen, nicht ebenfalls das Recht, als seriös wahrgenommen zu werden?

 

Darf man keine Fehler machen. Braucht man wirklich eine Anleitung, bevor man das erste Mal in die Oper geht? 

 

Warum wird so oft von oben herab ein Elitismus kultiviert, der der Opernbranche am Ende nurmehr schadet als hilft. Neueste Statistiken, die jüngst in einem international etablierten Opernmagazin publiziert wurden, zeigen, dass die Oper zusammen mit der Volksmusik, das Schlusslicht in der Musikbranche bilden. Beliebt und erfolgreich sind die Sparten Pop- und Rockmusik.

 

Und das auch nur, weil sich wohl die als "kleingeistig" denunzierten Massen dafür begeistern können. Oder etwa nicht?

 

Eines lässt mich in jedem Fall aufjubeln. In der Arena di Verona ist der Lifestyle angekommen, den ich hier auf meinem Portal so heiß und leidenschaftlich denke, lebe und mit jeder Faser meines Herzens fühle.

 

Ohne die wirtschaftlichen Sektoren, die sich über ein kulturelles Erlebnis miteinander befruchten, wird perspektivisch kein Konzertbesuch und auch kein Opernbesuch von gesteigerter, vor allem aber finanzieller, Relevanz sein.

 

Was ich damit meine? Nun, die Kulturbranche braucht Wirtschaftszweige aus den Lifestyle-Sektoren, die sowohl den Tourismus aufwerten als auch die Kultur selbst ankurbeln, populärer und begehrenswerter machen.

 

Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass sich die Arena bereits überlegt hat, neben dem klassischen Journalismus und den Musikkritikern auch Influencer aus unterschiedlichsten Sparten des Lifestyle einzuladen (Mode, Genuss, Reisen), um so das Erlebnis Oper videografisch für Millionen von Followern festzuhalten, was natürlich überwiegend Menschen mit vorwiegend "nicht-kulturellem" Interesse erreicht!

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Auf konventionell journalistischer Seite sorgt das natürlich für Konsterniertheit. Schließlich hat sich in den letzten 15 Jahren eine Blogger- und Influencer-Szene etabliert, die oftmals ohne Fachstudium, eine höchst professionelle digitale Expertise aufbauen konnte, denen Follower mehr abgewinnen können, als den klassischen Printformaten.

 

Wer bitte liest schon eine analoge Kritik, wenn ein Interview mit Pretty Yende auf Youtube im V-LOG erscheint und deutlich persönlicher und nahbarer rüberkommt. Visuelles gewinnt über das geschriebene Wort. Ansonsten wären die sozialen Medien nicht so erfolgreich und wirtschaftsmächtig wie sie derzeit sind und auch perspektivisch sein werden.

 

Doch worauf will ich nochmal hinaus? Die Opernbranche wird sich verändern und darüber hinaus akzeptieren müssen, dass die digitale Welt immer mehr die Oberhand gewinnen wird.

 

Mehr Videografie, mehr visuelles Erleben im digitalen Raum auf online Portalen und in den sozialen Medien, was beinhaltet, dass auch das Fotografieren und Filmen während einer Opernvorstellung zum Branchenalltag dazugehören wird.

 

Die Arena di Verona lässt Hausfotografen, Presse und Influencer gewähren und verspricht sich davon, mehr als nur "seriöse" Opernexperten zu erreichen.

 

Zu Recht, denn mit den Touristen, die nach Verona strömen, den Familien und Kindern, die vielleicht irgendwann auch zu potentiellen Opernliebhabern werden, kann man ein Amphitheater mit 12.000 Sitzen füllen, auch noch weit in die Zukunft hinein. Mit den "seriösen" Operngängern leider nicht.

 

Wer sich dieser progressiven Entwicklung hingegen verschließt, wird nur verlieren können! Wenn die Oper ein elitäres Erlebnis für Wenige bleibt, kehren wir in die Zeit der höfischen Bälle zurück, nämlich genau in dem Moment, wenn alle Opernhäuser geschlossen werden und Kultur nur noch als Gut für die Eliten in privaten Salons hinter hohen Mauern ganz unter sich degustiert wird.

 

Und das ist dann ein Lifestyle, glauben Sie es mir, von dem wir dann nur noch träumen können!

 

Herzlich Ihre

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