Personenmarke Opernsänger,Gütesiegel Brand: Unverwechselbar oder einfach nur Unverzeihlich!

27. April 2023

Feuilleton

©Nicole Hacke / Operaversum

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, sobald sie durch die Instagram Feeds einiger Opernsänger scrollen, dass es ganz große Unterschiede in den jeweiligen sozial medialen Auftritten gibt?

 

Wissen Sie, ich befasse mich seit geraumer Zeit mit diesem Phänomen der sogenannten Personenmarken, was genau dahinter steckt und warum es Personenmarken überhaupt braucht. Nun, die Antwort ist relativ einfach:

 

Menschen kaufen von Menschen. Und wer sich heutzutage in der Opernbranche fern und distanziert gibt, wie es einst Maria Callas getan hat, der wird es mit der Marktdurchdringung, ergo seiner eigenen Sichtbarkeit, eventuell nicht ganz so weit bringen.

 

Die Zeiten haben sich seit der Ära der großen Operndiven nämlich gewaltig geändert und zwar nicht erst seit es die sozialen Medien gibt.

 

Doch weil es sie gibt, wird es immer schwerer, sich dem selbstoptimierenden Jahrmarkt der prominenten Eitelkeiten zu entziehen.

 

Dabei muss Selbstmarketing überhaupt nicht eitel sein. Ganz im Gegenteil: Personenmarken und jene, die es gerne noch werden wollen, sollten nahbar sein, sollten authentisch und bestenfalls ungekünstelt ihre mediale Präsenz aufbauen.

 

Ein Künstler zum Anfassen, einer, der wie der nette Nachbar von nebenan nahbar ist und mit dem wir uns bestenfalls auf persönlicher Ebene identifizieren können: Denn dem Künstler auf der Bühne können wir schließlich in musikalischer Hinsicht nicht wirklich das Wasser reichen. Das ist doch wohl ganz klar. Aber das wollen wir schließlich auch gar nicht.

 

Was wir aber insgeheim wollen, wonach es uns heimlich verlangt, ist die persönliche, intimere Welt eines Sängers ein Stück weit zu durchdringen. Uns reichen längst schon nicht mehr die transportierten Gefühle, die durch ein Lied von der Bühne eines Konzerthauses auf uns, das Publikum, überschwappen.

 

Denn hat sich ein Sänger gesanglich emotional für uns geöffnet, seine Schleusen der Verletzlichkeit weit aufgemacht, dann wollen wir plötzlich auch den Menschen hinter dem Künstler verstehen. Das liegt in der Natur der Sache. 

 

Menschen reagieren auf Menschen und bauen erst Vertrauen zueinander auf, wenn sie das Gefühl haben, ihr Gegenüber auf die eine oder andere Art mehr oder weniger zu kennen.

 

Doch wie viel darf man als Person des öffentlichen Lebens von sich preis geben? Was ist der Preis dafür, wenn sich ein Sänger privat nackig macht, zu viel, zu wenig, gar nichts oder alles von sich offenbart?

 

Die Gratwanderung ist ein solcher Absturzgarant, dass viele Künstler ihre ganze Hoffnung mitsamt einer perfektionierten Selbstvermarktungsstrategie in die Hände von Brandmanagern legen, die, wenn es schlecht läuft, aus einem sympathischen Sänger mit wiedererkennungswertvollen "Ecken und Kanten" ein aalglattes Produkt ohne nennenswerte Vorzüge erschaffen:

 

Ein sogenannter Pygmalion-Effekt, besser bekannt in der Personifizierung durch Eliza Doolittle, die mit ihrem schnodderigen Cockney-Slang so viel liebenswerter war als nach ihrer Verwandlung zur gut situierten Dame ohne sprachliche Makel.

 

Diese Transformation hat uns doch einzig und allein nur deswegen so gut gefallen, weil sie in einer Liebe mit Happy End mündete.

 

Den goldenen Käfig, der für den wilden Vogel Eliza Doolitte zum Gefängnis werden musste, hat man ihr samt aller neu erworbener Privilegien einfach so übergestülpt, was statt eines persönlichen Gewinnes sicherlich nur eine Identitätskrise mit sich gebracht haben muss. Der schöne Rohdiamant wurde einfach mal so eben seiner natürlichen Form beraubt - und alles nur wegen ein paar mehr vermeintlich funkelnder Facetten. Na, bitte.

 

 

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Was war aus der Ursprünglichkeit, der Originalität und der Unverwechselbarkeit geworden, die letztendlich auch eine Maria Callas besaß, die sie "persona sumarum" natürlich nicht zu einer sehr nahbaren Persönlichkeit gemacht hat. Aber immerhin hatte sich die Callas zeitlebens ihre rauen Ecken und Kanten bewahrt und blieb so ein einzigartiges, unverwechselbares Unikat, das sie als Künstlerin zu dem machte, was sie wurde, nämlich eine berühmte, unsterbliche Legende.

 

Vielleicht hatten die früheren Opernenthusiasten aber auch eine andere Einstellung gegenüber Opernsängern und nahmen es als gegeben, dass ein "Star" nicht per se für sie erreichbar sein konnte. Status, Stellenwert und Alleinstellungsmerkmal der Oper waren krisenfestere Größen als heutzutage der Fall.

 

Mittlerweile aber hat die singende Zunft mit ihrer nischigen, sondergleisigen Stellung sehr zu kämpfen, sich auf diesem kleinen, aber immer noch heiß umkämpften Markt zu behaupten. Ein jeder will ganz oben wie ein Fettauge auf der Suppe und bitte nicht darunter mitschwimmen.

 

Ja, und genau deshalb wird das Brandmanagement zu einer immer wichtigeren Stell- beziehungsweise Justierschraube für Sänger, wenn es heißt, sich von der Masse abzuheben.

 

Jetzt fragen sie sich sicherlich, ob denn so ein Künstler keine Agentur, keine Plattenfirma oder überhaupt einen Impresario hat und genau dort die Werbetrommeln gewaltig gerührt werden könnten?

 

Nun gut! Selbstverständlich haben Künstler, wenn sie denn mit einem gewissen Starpotenzial gesegnet sind, eine renommierte Agentur an der Angel, die zu einem gewissen Grad die Belange ihrer Schützlinge vertritt und für ein gewisses Maß an Sichtbarkeit sorgt.

 

Wer bei einer Agentur unter Vertrag ist, ist schon mal per se besser dran als jemand, der es eben nicht ist. Das hat etwas mit dem Image zu tun, was durch einen Plattenvertrag natürlich noch mehr aufpoliert wird. Viele Sänger nehmen oftmals auch ein eigenes Album auf, weil das mittlerweile Usus ist und im Idealfall sogar als bessere Visitenkarte fungiert - eine teure Visitenkarte wohlgemerkt. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf für sein eigenes Renommee?

 

Dass ein Sänger die meisten Strippen dennoch selbst ziehen muss, zeigt sich auch daran, dass ihm weder seine Agentur die oftmals respekteinflößenden Vorsingen an großen Opernhäuser abnehmen kann, noch den Verlauf einer erfolgreichen Sängerkarriere primär beeinflussen wird. Oder etwa doch?

 

Sicherlich gibt es sehr gute Beispiele von Agenturen, die sich mit einem Höchstmaß an persönlichem Engagement um ihre Schützlinge bemühen, sie auf den sozialen Kanälen exklusiv bewerben und anpreisen. Aber der Aufbau einer Personenmarke findet immer noch oder überhaupt ganz woanders statt.

 

Ist es also der Vertrag bei einem bekannten Plattenlabel, der endlich den erhofften Durchbruch, die Marktpräsenz und den Bekanntheitsgrad eines Sängers erhöht?

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Nun, natürlich vermarkten die Plattenfirmen ihre Stars. Das müssen sie schließlich auch, um gutes Geld mit und an ihnen zu verdienen. Aber wer bekommt denn einen Plattenvertrag mal so eben auf dem Silbertablett serviert? 

 

Stars werden sicherlich nicht durch Plattenfirmen aufgebaut, weil diese sie entdecken oder gar fördern wollen. Es sind vielmehr die sozialen Medien, die das organische Wachstum einer Sängerkarriere so stark in eine Richtung lenken können, dass der Durchbruch, die eigentliche Marktdurchdringung genau dort legitimiert wird.

 

Das glauben Sie nicht?

 

Warum meinen sie, tummeln sich immer mehr Sänger auf diesen Portalen herum? Warum verschwenden sie so viel Zeit mit dem Posten von Stories, Reels und dergleichen, wenn sie einfach nur abends auf eine Bühne gehen müssten, um von ihrem Publikum gefeiert zu werden. Damit müsste es doch eigentlich getan sein, denken Sie?

 

Aber die alleinige Bühnenpräsenz macht noch lange keinen Star mehr. Ein Auftritt, ob an der Wiener Staatsoper oder an der MET muss quasi in der Sekunde per Videobotschaft viral geschaltet werden, damit möglichst Millionen von Menschen sehen, dass es diesen Sänger überhaupt gibt und was er oder sie so treibt, idealerweise auf den großen Brettern, die die Welt bedeuten. Sehen und gesehen werden, findet auf einem digital exponentiell höheren Level statt. So ist das nun mal!

 

Und je mehr Follower ein Künstler generiert, umso aufmerksamkeitswirksamer und spannender wird es. Und ach, wie traurig. Denn nicht immer sagen Followerzahlen und Bekanntheitsgrad auf den sozialen Kanälen etwas über das Können eines Sängers aus. Das ist im Umkehrschluss leider auch der fatale Trugschluss, der sich aktuell durch alle Branchen und Berufssparten zieht. Followerzahlen sind nämlich nicht zwingend der Gradmesser für Könnertum, künstlerische Exzellenz und Charisma.

 

Denn auch unter dem Radar dieses sozial medialen Zirkus halten sich in aller Bescheidenheit ebenfalls Künstler auf, die tagtäglich Großartiges leisten und einsame Spitze in dem sind, was sie jeden Abend auf die Bühne ihres Landestheaters bringen. Doch sieht man sie nicht in den sozialen Medien möglichst medienwirksam interagieren und kommunizieren, dann gehen sie leider Gottes unbemerkt unter.

 

Was also kann ein Sänger tun, um sich weder komplett durch das hausgemachte Hamsterrad der sozialen Medien vereinnahmen zu lassen, noch seinen medialen Auftritt komplett verkümmern zu lassen?

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Tatsächlich gibt es Opernsänger, die es ausgezeichnet verstehen, sich selbst ganz in Eigenregie zu vermarkten. Sie posten regelmäßig Beiträge mit oftmals persönlichen Videobotschaften - und das auf einem höchst professionellen Niveau mit einem Wiedererkennungswert, der sich gewaschen hat.

 

Diese Sänger lassen es auch nicht zu, sich die Zügel beim Interagieren mit ihren Fans von irgendeinem Brandmanager aus der Hand zu reißen. Sie steuern sämtliche Kommunikation, reagieren auf Fragen, Nachrichten und beschäftigen sich wirklich intensiv, auch noch lange nach getaner Bühnenarbeit mit den eigentlichen Brotgebern - nämlich in der Hauptsache mit ihren Fans und Bewunderern.

 

Auch der Drahtseilakt zwischen zu viel privaten Informationen und gehaltvollem Künstlerdasein gelingt ihnen meistens ausgezeichnet. Es ist genau die Schnittmenge, die solche Sängerpersönlichkeiten wirklich zu außerordentlich medienwirksamen Jongleuren macht. 

 

Denn erlebt man diese Menschen sowohl auf den sozialen Kanälen als auch nach einer Vorstellung an der Bühnentür und es ergibt sich keinerlei Divergenz zwischen der viralen und der echten Person, dann sind Gesamtbild und Gesamteindruck konklusiv.

 

Hurra, das ist es doch, was wir als Opernfans wirklich wollen, oder?

 

Was wir aber ganz und gar nicht gerne wollen und auch nicht gerne sehen möchten, ist ein gleichförmiger, nahezu steriler Feed, der zwar auch sehr viele Details über das künstlerische Schaffen eines Sängers offenbart, aber irgendwie oberflächlich, krampfhaft stilisiert oder gar viel zu sehr auf der Sonnenseite verortet, ein allzu perfektes, geschöntes und eventuell gepimptes Bild abgibt.

 

Dumm sind wir ja nun nicht, um zu verstehen, dass so ein Leben in Saus und Braus ohne Schattenseiten und immerzu nur mit Zuckerwatte übergossen nicht der Wahrheit entsprechen kann.

 

Spätestens dann wird es anstrengend, solchen Feeds überhaupt auf längere Sicht zu folgen, denn der ewig gleiche Einheitsbrei aus vorgefertigten Posts, die wenig spontan, wenig persönlich und manchmal auch nur auf die künstlerische Qualität eines Sängerlebens abzielen, haben letztendlich so viel Persönlichkeitsgehalt wie eine Sahnetorte ohne Sahne.

 

Zu rosig, zu formell, zu einseitig belebt, stirbt der Facettenreichtum eines Künstlers, der eigentlich von seinem Menschsein nicht zu trennen geht.

 

©Nicole Hacke / Operaversum

Gibt der Sänger also seine Zügel aus der Hand und lässt einen Brandmanager über sein sozial mediales Schicksal walten, selbstverständlich gemünzt auf das Image, auf das man sich vorab geeinigt hat zu kreieren, wird aus einem Menschen, der sich beruflich der Kunst verschrieben hat, ganz plötzlich eine Personenmarke, eine Brand und somit ein Produkt, das man indirekt über Konzertkarten, CD-Einspielungen und dergleichen kaufen kann.

 

Das Dilemma dieser Tage ist, dass wir wohl oder übel die Personenmarken etablieren und sogar legitimieren müssen, auch weil es sonst keinen anderen Weg gibt, sich im Dschungel des klassischen Musikbetriebs gegen die Konkurrenz zu behaupten.

 

Doch wie weit schleift man das Rohmaterial ab, bis dass es weder Ecken noch Kanten, noch irgendeine interessante Facette freilegt?

 

Was, wenn es den einzigartigen Charakter, die unverwechselbare Persönlichkeit eines Menschen in den Schatten stellt, der eben auch ohne gepimptes Image Starpotenzial entwickelt hätte, vielleicht sogar gerade deshalb, weil seine Ecken und Kanten leuchtender gestrahlt hätten als es der schöne Schein seines artifiziell geschliffenen Brillanten vermocht hätte.

 

Wie heißt es doch noch so sinnig: Mehr Schein als Sein!

 

Was ist Ihnen tatsächlich lieber?


©Nicole Hacke / Operaversum

GLÜCKSSCHMIEDE MUSIK UND WARUM SINGEN GLÜCKLICH MACHT!

Unser eigenes Glück, so wird uns immer wieder von Weisheitsgurus und Gesundheitsexperten suggeriert, können wir nicht durch äußere Faktoren beeinflussen. Glück ist nichts Extrinsisches, nichts, das durch Geld, Status oder Macht angereichert oder gar bereichert wird.

 



©Nicole Hacke / Operaversum

KEIN SCHÖNER LAND! WARUM DAS KUNSTLIED ROCKT UND BESONDERS JUNGE SÄNGER ANLOCKT?

Wenn man mir vor sechs Jahren erzählt hätte, dass es sich beim Kunstlied um einen ganz besonders edlen Vertreter der klassischen Musik handeln würde, so wäre mir niemals in den Sinn gekommen, mich auch nur eingehender mit dieser Gattung einer Nische in der bestehenden Nische zu befassen.

 



©Nicole Hacke / Operaversum

MEHR ZEIT FÜR SCHÖNGESANG - WENN DIE STIMME AM ANSCHLAG IST

Vor der Pandemie schien so manche Stimme überfordert. In der Hektik des permanenten Termindrucks, einen Opernmarathon nach dem anderen bewältigen zu müssen, blieb nur der verbissene Fokus auf die Haltbarkeitsdauer des menschlichen Stimmorgans. Es musste funktionieren, heute, morgen, übermorgen und an allen Tagen gleich gut, ausnahmslos.