16. Juli 2024
Feuilleton
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
Es ist noch gar nicht so lange her, da schlenderte ich bei hitzeträchtigen 35 Grad durch die Altstadt von Verona. In unmittelbarer Nähe der Arena, dort wo jedes Jahr in den Sommermonaten die weltbekannten Opernfestspiele stattfinden, überhörte ich unbeabsichtigter Weise ein angeregt aufgeregtes Gespräch zwischen Vater und Sohn.
Der Vater, jung an Jahren, kaum 30 Lenze alt, trällerte gekonnt, nachdem er seinem kleinen Sohn ein paar temperamentvolle Wortfetzen zugeworfen hatte, eine italienische Opernarie nach der anderen vor sich hin. Wow, dachte ich mir. Der kann aber ziemlich gut singen. Und wie der sich auskennt.
Von Nicole Hacke
Nun, auf einer Absperrung hatten die Veranstalter der Arena di Verona lehrreiche Information über italienische Komponisten und deren Werke veranschaulicht. Den Werken zugeordnete Opernarien verlieh nun der froh gestimmte Italiener seine sonore Stimme.
Zur großen Freude und Bespaßung seines Sohnes stimmte er zuerst “La donna e mobile” aus Verdis Oper Rigoletto an und sang sich, wie manch einer sich durch ein mehrgängiges Menü schlemmen würde, genussvoll durch die Arienlandschaft Italiens.
Herrlich, dachte ich. Hier klappts. Hier kann und kennt man Oper in- und auswendig. Warum nicht auch in Deutschland? Warum erlebt man so wenig selbstverständliches Opernwissen hierzulande. Tja, die Oper ist nun mal die Wiege der Italiener.
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
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Dort wurde sie geboren, aufgezogen und bis heute wie ein kostbares Kind gehätschelt und getätschelt, was erklärt, warum wirklich jeder und alle so selbstverständlich eine Arie nach der anderen ohne Partitur und mit ausgezeichneter Textsicherheit darbieten können.
So ist es kaum verwunderlich, dass an fast jedem Italiener heute noch ein kleiner Opernsänger verloren geht. Und ach, wie klingt es arios aus den Lautsprechern einer jeden Taverne, wenn nicht gerade Eros Ramazotti, Maria Callas für die Dauer einer Schallplattenumdrehung ablöst.
Schlichtweg normal verhält es sich in Italien mit dem Musikgeschmack, der italienische Canzoni, Schmonzetten und Arien auf ein gleichermaßen ebenbürtiges Podest erhebt, ohne groß Aufhebens darum zu machen. Oper in Italien ist so normal wie Spaghetti Carbonara beim Italiener in Deutschland.
Anders gesagt, die Oper in Deutschland ist hingegen leider kein alltägliches Phänomen, sondern wird seit jeher, also seit sich der Adel mit Auftragswerken der klassischen Musik hat eindecken lassen, als etwas Elitäres und nur für das Bildungsbürgertum zugängliches Kulturgut gehandelt.
Willst Du also Teil der Opernszene werden, dann ist die Hemmschwelle zwischen Spaghetti Carbonara und einen Vier-Sterne-Amuse Gueule, eine Kluft, die sich für viele kaum überwinden lässt.
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
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Aber hoppla, halt! Während die gehobene Gastronomiebranche eine große Marktlücke zu füllen scheint und Genusskultur ohne Grenzen massentauglich auch vor Michelin-Sternen nicht mehr Halt macht, bleibt der gemeine Geldbeutel dem Kulturgenuss weiterhin verschlossen.
Lieber den Coq au Vin auf dem Teller, als den Tenor auf der Bühne, denkt sich der Kulinarik-Liebhaber (denn jeder ist heute ein Kulinarik-Liebhaber) und verschmäht die geistige Nahrung, die Mutter der Kultur, das Beste vom Allerbesten.
Doch wenn es dann in Deutschland Oper auch mal für die Massen so ganz umsonst gibt, dann geht das Hauen und Stechen um die begehrten “Outdoor-Plätze” los und auf einmal füllen sich Landschaftsgärten, Open-Air-Konzerte mit schnappatmungswürdigen 30.000 Menschen pro Abend im Nu.
So erfolgreich ist zumindest das Klassik Open Air in Niedersachsens Hauptstadt Hannover, das vor der einmaligen Kulisse des Neuen Rathauses Jung, Alt und Familien zum Picknickspaß bei musikalischer Untermalung anlockt. Ein Anblick, so göttlich, dass sich sämtliche Opernhäuser alle 10 Finger lecken würden.
Verlockend, nicht wahr! Und auf einmal wird aus dem Opernerlebnis auch in Deutschland ein Schuh beziehungsweise ein beinahe authentischer “italienischer Stiefel”.
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
©Nicole Hacke / Operaversum Magazin
Oper für alle ist das deutsche Konzept, das den heiß begehrten Opernkarten - zumindest in den Sommermonaten - den Rang abläuft. Und plötzlich kann ein jeder Opernfan sein, ohne die Oper mit der Muttermilch Italiens aufgezogen haben zu müssen.
Dann heißt es doch glatt aus deutschem Munde: Herr Ober! Bitte eine Portion “Dolce Vita” mit ganz vielen zuckrigen Arien. Und als Topping gerne auch noch ein bisschen Drama. Con molto piacere, Signori!