EINE ETWAS ANDERE PRESSEKONFERENZ ZUR OTELLO GESAMTAUFNAHME MIT JONAS KAUFMANN
24. JUNI 2020
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Musacchio, Ianniello & Pasqualini / virtuelle Pressekonferenz vom 15. Juni 2020
- Jonas Kaufmann
Was macht man in Zeiten kultureller Abstinenz, wenn keine Veranstaltungen, Konzerte und eben auch keine Pressekonferenzen auf engstem, sozialem Raum gestattet sind? Man schustert sich einfach ein virtuelles Treffen zusammen und hat trotz der räumlichen und sozialen Entkoppelung aller Teilnehmer die Möglichkeit, der digitalen Revolution sei Dank, vielleicht sogar mehr Menschen an einen imaginären Tisch zu holen, als normalerweise vorstellbar.
150 Journalisten weltweit waren am 15. Juni Teil des Zoomwebinars, das Sony Records aus Anlass zur Veröffentlichung der Verdi-Gesamtaufnahme des Otello mit Tenor Jonas Kaufmann und Dirigent
Antonio Pappano anberaumte.
Mit einem Zugangscode ausgestattet und nichts weiter als meinem iPad im Schlepptau war ich schneller in dem Meeting, als ich bis drei hätte zählen können.
So schnell wie meine Finger sich dabei über die Tastatur einloggten, wäre ich in persona niemals an Ort und Stelle gewesen, ganz zu schweigen von der aufwendigen Suche nach Flug und Hotel, die
ich sicherlich von etwas längerer Hand hätte planen müssen. Und das für ein gerade mal 50 Minuten andauerndes Vergnügen, das ohne Frage ein informatives Ereignis der musikfachlichen Superlative
darstellte.
Stattdessen konnte ich ganz bequem und ungezwungen aus der Eifel zugeschaltet sein, während Herr Kaufmann wohl aus seinem gemütlichen Zuhause am Ammersee zugegen war und die verbleibenden Teilnehmer sich von irgendwo auf dem Globus freuten, diesem einmaligen Event beiwohnen zu können.
Die Welt wird eben umso kleiner, je digitaler sie wächst.
©Musacchio, Ianniello & Pasqualini / virtuelle Pressekonferenz vom 15. Juni 2020 -
von links nach rechts: Antonio Pappano, Jonas Kaufmann, Andrea Penna
"Social-Distancing" konform, effizient und zu alledem gesundheitserhaltend: so oder so ähnlich hatte sich das Sony Records sicherlich auch gedacht, als die Überlegungen im Raum standen, wie man die Presse zur neuen Albumveröffentlichung in Zeiten von Corona unkompliziert versammeln könnte, um sie dennoch auf Abstand haltend, möglichst nah am Geschehen teilhaben zu lassen.
Auch wenn die Stunde der digitalen Pressekonferenz möglicherweise zum ersten Mal in der Musikgeschichte geschlagen hatte, so funktionierte sie tadellos. Punkt 14:30 Uhr CET fiel der Startschuss
für das Webinar und ich hatte sogar schon einen Tag zuvor meine Frage zur Albumproduktion an Herrn Kaufmann schriftlich fixieren können - so wie es die Agenda vorsah.
Nur eine Frage pro Teilnehmer, so war, aufgrund der knappen Zeitbemessung, die Vorgabe für den strikt getakteten Ablauf der Videokonferenz.
Ohne Unterbrechungen sollte sich der fachsimpelnde Austausch zwischen Moderator Andrea Penna und den Künstlern Jonas Kaufmann und Antonio Pappano gestalten, sodass der klügste Weg, Zwischenfragen
der Presse zu unterbinden, durch eine Stummschaltung aller Teilnehmer eingeschlagen wurde.
Sichtbar war man ebenfalls nicht. Aber man konnte visuell teilhaben - und den Interpreten dabei zusehen und zuhören, wie sie sich entspannt und ausgelassen, verbal ihre Diskussionsbühne eroberten.
©Musacchio, Ianniello & Pasqualini / virtuelle Pressekonferenz vom 15. Juni 2020 - Dirigent Antonio Pappano, Tenor Jonas Kaufmann
Viele Themen rund um Verdis Meisterwerk Otello, dessen Neuaufnahme und der lange Weg, den Jonas Kaufmann beschreiten musste, um sich eine der charakterstärksten Rollenpartien zu eigen zu machen, wurden aufgeworfen, diskutiert und bis ins kleinste Detail eruiert. Die "Frage-Antwort-Bälle" flogen hin und her. Der Austausch war rege, unterhaltsam und hochgradig interaktiv, - und das auf Italienisch, wohlgemerkt.
Allzu gerne hätte ich ein wenig schwärmerisch dem melodiösen, italienischen Singsang Kaufmanns gelauscht, nur um der sprachlichen Ästhetik willen. Doch lieber ließ ich mir nichts von den
gesprochenen Inhalten entgehen, und deshalb den Job die Synchronsprecherin machen, die sich als eingefleischte Italienerin, immer wieder sputen musste, dem stellenweise ungezügelten Sprachtempo
der Künstler zu folgen.
Enthusiastisch und bester Dinge verfiel Kaufmann in ausufernde Erzählmodi. Wie er sich die Rolle des Otello über das letzte Jahrzehnt langsam aber sicher erobert habe, von den Ängsten, der
Sauerstoff könne ihm dabei ausgehen, bis hin zum Patentrezept der „kontrollierten Ekstase“ die als Fundament für ausbalancierte Gefühle in der Rollenpartie unabdingbar sei, berichtete Kaufmann
„en detail“. Und auch, wie er den „Mount Everest“ der italienischen Opernpartien letztendlich erfolgreich erklommen habe.
©Musacchio, Ianniello & Pasqualini / virtuelle Pressekonferenz vom 15. Juni 2020 -
Tenor Jonas Kaufmann, Moderator Andrea Penna
Dabei gestikulierte er mit seinen Händen wie ein waschechter Italiener. Überzeugen kann schließlich auch nur, wer nicht nur so tut als ob, sondern so ist, wie er auch tut. Und in dem Fall gehört Kaufmann ganz eindeutig zu den Spitzensportlern seines vokalathletischen Fachs, und wohl auch zu einer der charakterstärksten und schauspielerisch versiertesten Persönlichkeiten, die es auf der Opernbühne derzeit zu bewundern gibt.
Eindeutig entspannt und nahezu gelöst wirkte Kaufmann während seiner fachlichen Ausführungen zu den Themen Oper, Otello und seiner eigenen Interpretation eines modernen Feldherren, was wohl auch ganz sicher der unfreiwillig auferlegten, konzertanten Zwangspause zuschulden ist.
Doch die indoktrinierte Arbeitspause vom temporeichen Musikalltag scheint Kaufmann ganz augenscheinlich gutzutun, bringt sie ein absolutes Mehr an Muße, die es für neue, kreative Anstöße
braucht.
So lässt sich nur unschwer erahnen, dass ein Künstler seines Formats sicherlich auch während der kulturellen Zwangspause bisweilen nicht die Füße still zu halten vermag und zumindest verstohlen schon mal mit dem einen oder anderen musikalischen Projekt liebäugelt.
Wie gut, dass Jonas Kaufmann in einer schwierigen, für die Kulturbranche einschneidenden Krise ein selbstwirksamer Fels in der Brandung ist, der weiterhin voller Zuversicht in die aktuell publikumsferne Veranstaltungszukunft zu blicken scheint.
Und obgleich die Zukunftsmusik derzeit immer noch wenig frohlockenden Töne von sich gibt, so schien mir der unerschütterliche Glaube bei Kaufmann und Pappano zu obsiegen, dass irgendwann wieder
alles möglich sei.
©Musacchio, Ianniello & Pasqualini / virtuelle Pressekonferenz vom 15. Juni 2020 - Tenor Jonas Kaufmann
Fast strahlte der ungebrochene Optimismus der beiden Ausnahmekünstler aus jeder Pore. Über den Bildschirm hinaus konnte ich es beinahe schon spüren: dieses magische innere Leuchten, dieses künstlerische Vermögen, über die Dinge mit einer Leichtigkeit hinauszuwachsen, einfach so weiter zu machen unbeirrt, weiter zu proben, kreativ zu bleiben und nie aufzuhören, unersättlich am musikalischen Erbe der großen Komponisten zu feilen - ohne Unterlass, Krise hin, Krise her!
Auch wenn die Welt just im Chaos versinkt, so lassen uns Kaufmann und Pappano glaubhaft hoffen, dass die Musik eine unbeugsame Naturgewalt ist, die sich ihren Raum immer wieder zurückerobert.
Und so wird es ganz sicher auch irgendwann wieder sein! Bleibt nur zu hoffen, das ich zum nächsten Pressetermin meinen Koffer dann auch wieder packen darf.
©Jonas Kaufmann / Arie aus dem letzten Akt von Otello "Niun mi tema" über Youtube zur
Verfügung gestellt
Wer den musikalischen Genuss auf Tonträger noch nicht erlebt hat, bekommt mit der Arie "Niun mi tema" einen klanglichen Vorgeschmack auf die brillante Gesamtaufnahme von Verdis Meisterwerk Otello.
Weitere Informationen und Hintergründe zu der Entstehungsgeschichte der aktuellen Neuvertonung mit Tenor Jonas Kaufmann unter der musikalischen Leitung von Sir Antonio Pappano können in meinem Beitrag:
©Nicole Hacke / CD-Cover Sony Classical / Fotorechte Gregor
Hohenberg
#Jonas Kaufmanns stärkste Rollenpartie - Otello!
abgerufen werden.
Auf der Seite des Künstlers gibt es ebenfalls detaillierte Einblicke sowie die aktuellen Konzerttermine: