10. Oktober 2022
Rubrik Künstler
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Duette sind eine mehr als willkommene Abwechslung, wenn man sich zuhauf an den Solo-Arien der Tenöre, Sopranistinnen und Baritone sattgehört hat.
Selten allerdings kommt man in den Genuss einer dezidierten Auswahl exquisiter Arienduette, die zur Abwechslung einmal Tenor und Bariton in den Vordergrund rückt.
Meistens verschwimmt genau dieser ariose Schlagabtausch zwischen den rivalisierenden Herren der Opernschöpfung im Gemenge des dramatischen Handlungsgeschehens oder läuft sogar ein Stück weit unter ferner liefen, weil der musikalische Fokus meistens deutlich stärker auf Tenor- und Sopranstimme liegt.
Liebesduette, die uns voller Sehnsucht, Herzschmerz und Leidenschaft in einen Sog der Gefühle hineinziehen: Nun, wer kennt sich nicht bereits in- und auswendig.
Vielleicht genau aus diesem Grund dachten sich zwei Freunde der gepflegten Opernmusik gemeinsame Sache in puncto Duettversatilität zu machen und sich vokal auf einer CD-Neueinspielung namens "Insieme" mit tenoral-baritonalem Schmelz harmonisch satt und klangschön zu vereinen.
Jonas Kaufmann und Ludovic Tézier, die einander zwar auf der Opernbühne Spinne Feind sind, sich aber fernab des Operngetöses auf das Beste verstehen, liegen auch gesangstechnisch auf einer harmonisch wohl austarierten Wellenlänge.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Neun besonders ausgewählte Duetteinspielungen aus "La Bohème", "Don Carlos", "La Forza del Destino" und den weniger häufig gehörten Darbietungen aus "La Gioconda" und "Les Vêpres Siciliennes" machen diese Kompilation aus dennoch überwiegend bekannten "Opern-Evergreens" zu einem außergewöhnlichen Album.
Und das liegt vor allem daran, dass sich Kaufmann und Tézier so sehr in Freundschaft verbunden fühlen, dass man genau diese enge Verbundenheit auch gesanglich eindeutig heraushören kann.
Zwei Stimmen, die oft genug zu einer verschmelzen und dabei fast schon eine dritte Stimme erzeugen. Die Klangfarben sitzten wie ein auf Maß geschneiderter Anzug passgenau.
Kein Blatt passt mehr dazwischen, so eng miteinander verwoben mischen sich Tenor und Baritonstimme zu einer einzigen vokalen Textur.
Und genau weil diese beiden Stimmen so perfekt aufeinander timbriert sind, macht es unglaublich viel Spaß, dieser CD mit Genuss zu lauschen, denn ob man es glauben mag oder nicht:
Herausgelöst aus dem Gesamtkonstrukt eines kompositorischen Meisterwerks, erscheinen die Duette für sich plötzlich musikalisch ausgeleuchteter, strahlender und konturierter.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Im musikalischen Scheinwerferlicht so präsent wie sonst nie - bis auf die feinste Nuance sichtbar gemacht - gewinnen diese Duett-Ausschnitte an Bedeutung, verführen den Zuhörer zu einem komplett neuen Hörerlebnis und bekommen in ihrem "Solo-Status" mehr Gewichtung und Relevanz, die man normalerweise primär den Liebesduetten zugestehen würde.
Erst jetzt bemerkt man, wie leidenschaftlich, brodelnd, pulsierend und von einer eruptiven Wucht sich zwei Herren im Kampf um die Gunst einer Frau die Haare raufen, das Messer schwingen, auf Attacke gehen und sich streithahnlustig in brutal mörderischen Gelüsten aneinander vergehen.
Wie leidenschaftlich aufregend das klingen kann, davon wird man auf "Insieme" von zwei Künstlerinterpreten, die es nun schon Hunderte von Malen beim Opern-Wrestling auf der Bühne miteinander ausgetragen haben, vollends überzeugt.
Viel mehr Überzeugungskraft geht auch schon gar nicht mehr, denn mit einem virtuosen Orchester und einem ebenso genialen Dirigenten an der Seite wird jedes einzelne der Duett-Ausschnitte zu einer eigenen, höchst individuellen tonalen Erzählung.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Tatsächlich schaffen es Sir Antonio Pappano mit seinem Orchestra dell´ Accademia Nazionale di Santa Cecilia den beiden Sängerdarstellern gehörig einzuheizen. Wer da wen antreibt und warum Jonas Kaufmann bei Herrn Tézier immer wieder Vollgas geben muss?
Wohl mag es daran liegen, dass ein kreativer Kopf den anderen beflügelt und ihn immer wieder aufs Neue zu Höchstleistungen anspornt.
Genau das Gleiche behauptet auch Ludovic Tézier von Herrn Kaufmann. Nur ist ihm der Jonas einfach viel zu schnell. Das Tempo, bei dem er manches Mal nicht so mitkommen will.
Und dennoch: Mir scheint das Tempo gerade gut genug, wenn nicht sogar perfekt. Dass diese beiden Gesangskünstler vokal einfach zusammengehören, steht für mich seit "Insieme" definitiv außer Frage.
Diese Duette haben eine so besondere Qualität, dass ich sie ab jetzt in ihrem musikalischen Charakter ganz anders bewerten werde.
©Jonas Kaufmann / über youtube zur Verfügung gestellt
Der Trailer zur Entstehung des Duett-Albums "Insieme" mit Jonas Kaufmann und Ludovic Tézier zeigt Einblicke in das künstlerische Schaffen der beiden Ausnahmeinterpreten, was sie so freundschaftlich verbindet und wie es während der Pandemie zu dieser einzigartigen Kompilation arioser Duett-Klassiker gekommen ist.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Als im Sommer 2017 ein Weltstar den Mount Everest bezwang, und zwar im vokalathletischen Sinne, war die Aufregung um das bevorstehende Großereignis so enorm, dass sämtliche Opernvorstellungen am Covent Garden in London bereits Monate im Voraus bis auf den letzten freien Sitzplatz ausgebucht waren, denn kein Geringerer als der Münchner Tenor Jonas Kaufmann...
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Leise, still und heimlich ist die neue CD von Jonas Kaufmann, die am 04. September im Handel erschienen ist, während des Corona-Lockdowns irgendwo zwischen München und dem bayerischen Oberland entstanden, ganz sicher jedoch in einem privaten Tonstudio, das der vielseitige Tenor für sein besonderes Herzensprojekt genutzt hat.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Mutig ist, wer sich dem Unbekannten stellt, wer über Grenzen hinausgeht, unbequem, unangepasst und experimentell, ja vielleicht sogar visionär wird. Mit seiner neuen CD-Einspielung, auf der sich 20 ausgewählte Lieder des österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Liszt...