18. September 2023
Rubrik Künstler
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Opernstar Jonas Kaufmann goes Filmstar und kriegt mit seinem Oldtimer-BMW dennoch einigermaßen elegant die Kurve, sogar bei den vielen kinematografischen PS, die der deutsch-österreichische Tenor mit sage und schreibe 22 Titeln aus über 80 Jahren Filmgeschichte auf die musikalische Fahrbahn bringt.
Und ja. Der BMW bleibt Gott sei Dank heil. Besser so, denn die Knautschzone verfügt über gefährlich wenig Puffer. Was die Messlatte anbelangt, ist diese zumindest enorm hoch und auch des Tenors Stimme liegt bei einigen Titeln dermaßen "drüber", dass man beim ersten Hörerlebnis die Kopfhörer schnell von den Ohrmuscheln zieht, weil es ansonsten unangenehm schrill im Gehörgang scheppert.
Für schwache, unausgeruhte Nerven ist diese CD zum Teil eine große Überforderung, fast so groß wie die tenorale Masse, die beim megaphonischen Orchesterklang alle vokal erdenklichen "Fliehkräfte" aufbringen muss, um noch irgendwie über den volltönenden Klangteppich zu transportieren. Aber halt, wie war das doch?
Die enorm aufgeblähte Orchesterlandschaft wurde in mehreren übereinander gelagerten "Takes" eingespielt, sodass der Tenor ganz zum Schluss erst sein stimmliches Sahnehäubchen auf dem Klangkuchen platzieren musste.
Und dennoch: Bei "The lovliest night of the year" wären ein wenig mehr Swing und ein bisschen weniger stentorale Ausdauer wünschenswert gewesen. So eingespielt klingt es um ein paar MÜ gestelzt, um nicht zu sagen steif.
Aber hören wir mal weiter. Die Rundtour durch das kinematografische Sammelsurium fängt schließlich gerade erst an.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Auf einen Ausflug in die "Love Story" und hin zu Bernsteins "West Side Story": Dieser musikstilistische Sprung ist fast schon ein Spagat, denn zwischen dem hoch dotierten Musical und der nicht minder anspruchsvollen Filmmusik liegt dennoch eine tiefe Kluft, nämlich die des Genre. Aber Herr Kaufmann weiß, wie so oft, auch diese überzeugend souverän zu nehmen.
Und so duftet, fast haucht der Mann gefährlich erotisierend mit seiner baritonal eingefärbten Stimme anbetungswürdige Namensrepetitionen in den imaginären Sternenhimmel. Welche Frau kann da noch anders, als nicht irgendwann magisch angezogen dem Ruf nach Maria zu folgen, auch wenn sie normalerweise auf einen völlig anderen Vornamen hört.
Wirklich spannend und ohrwurmverdächtig wird es aber bei dem Titel "Nelle tue mani" aus dem Film "Gladiator". Was für ein heroisches Musikwerk. Mächtig, dramatisch und fast so gut wie Puccinis "Nessun Dorma".
Der Song hat was Episches, geht sofort runter wie Öl und auch die Wucht der stimmlichen Power passt wie die Faust aufs "Gladiatorenauge". Es könnte sein, dass ich diese Nummer solange in Dauerschleife abspiele, bis die CD heiß läuft. Bevor sie glüht, muss ich schnell zum nächsten Song wechseln.
Aber bis dahin alles paletti: Gut gebrüllt, Löwe! (Shakespeare)
Und auch sonst: Die italienischen Nachfolgetitel "E più ti penso" aus dem Film "Once upon a time in America" und "Se" aus "Cinema Paradiso" sind super geländegängige Dauerbrenner, arios unaufgeregter ausgestaltet und noch dazu mit dem gewissen Romantikfaktor versehen, der durchdachten Interpretation Kaufmanns sei Dank.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Aber dann kommt sie endlich, meine Lieblingsnummer, die mir früher Frank Sinatra immer mit leicht angerauter Stimme ans Ohr gewispert hat "Strangers in the night".
Und Überraschung! Ich bin nicht total enttäuscht. Nun gut, das Original lässt sich zwar nicht aus der Welt schaffen, Vergleiche würden in diesem Fall ebenfalls ganz hinderlich hinken. Aber, was solls. Nun ist es eben eine "Kaufmann-Version", die "Dubidubidu" ganz salopp, lässig und tatsächlich leicht geswingt zum Träumen einlädt.
Und das tolle daran: Ich kann dabei sogar mitsingen, denn der Stimmsitz passt! I like! Aber Achtung, aufgepasst. Nicht dass Herr Kaufmann mit seiner wirklich gekonnt pfiffigen Akrobatik dem Kunstpfeifer Nikolaus Habjan noch Konkurrenz macht.
"Bring him home", der neunte Song auf der CD gefällt mir nicht, aber das liegt mehr an meinem Musikgeschmack als an der musikalischen Gesamtleistung. Nun gut. Bei 22 Titeln kann auch mal eine Geschmacksunverträglichkeit dabei sein. Das wäre ansonsten der Reichweitengewinnung viel zu viel abverlangt.
Was dann mit "Nella Fantasia" aus dem Film "The Mission" und Conquest of Paradise" aus dem gleichnamigen Film folgt, ist solides musikalisches Handwerk und lässt sich wirklich gut anhören. Die absoluten Hitwunder der Unterhaltung sind beide Titel dennoch nicht.
Absolut grandios hingegen gestaltet sich der darauffolgende Tango "Por una cabeza" aus dem Film "Scent of a woman". Oh, Dios mio! Das "fetzt" aber so richtig, wenn ich das mal so lapidar auf "neudeutsch" ausdrücken darf. Diese Interpretation ist ein Geniestreich, nicht nur deshalb, weil Tangomusik etwas ganz besonders Leidenschaftliches ausstrahlt, edel, stolz und aufbäumend wie ein wildes Pferd daherkommt, sondern eben auch, weil ein Herr Kaufmann in Sachen Perfektionismus einen lokalsprachlichen Duktus an den Tag legt, der allererste Sahne ist.
Ein Träumchen, von dem wir bitte, lieber Herr Kaufmann, auch gerne mal eine komplette Kompilation zu Gehör bekommen wollen, inklusive Konzerttour mit Tangotänzern. Das ganze Programm mit All-in-Entertainment, bitteschön!
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Bei "What a wonderful world", diesem unverwechselbaren Hit von Luis Armstrong, verlässt mich der Mut. Ich sehe mich nun tatsächlich außerstande, in dieser heiklen Angelegenheit überhaupt ein Wort der "Kritik" zu verlieren, denn der Song ist schlicht und ergreifend untrennbar mit dem US-amerikanischen Jazztrompeter verbunden - und die Betonung liegt auf untrennbar!
Aber sind wir mal ehrlich. Eine Kompilation aus verschiedensten Film- und Musicalhits, noch dazu von einer Vielzahl weltbekannter Schauspieler/Swingmusiker interpretiert, die allesamt ihre jeweils unverwechselbare Unikatstimme hatten, kann doch eigentlich nicht im Ernst durch eine einzelne Tenorstimme wett gemacht werden.
Die Gefahr vor dem Vergleich ist dabei doch immens hoch. Oder etwa nicht?
Nun gut. Mit "Ich küsse Ihre Hand, Madame“ aus dem gleichnamigen Stummfilm bin ich dann doch wieder glücklich versöhnt, denn das tenorale Aufbegehren passt sehr gut zum Stil der Musik, ebenso wie bei der "Serenade" aus dem Film "The Student Prince". Beide Titel sind fantastisch ausgewählt und gefallen mir ausgesprochen gut.
Herrlich gaumenrund, samtfein timbriert und im Stimmsitz tiefer angelegt, klingt Kaufmanns Gesang saturiert, ausgewogen und zart schmelzend. Das ist genau mein Geschmack. Die Musik dazu natürlich auch.
Am Geschmack vorbeigeschlittert ist allerdings ein Titel, bei dem man gerne weggehört oder einfach schnell verschämt beide Auge zugedrückt hätte, denn ganz ehrlich: Jeder macht mal einen Fehlgriff. Nur dieser hier ist wirklich frappant, um nicht zu sagen vom Glauben abfallend.
©Youtube / Jonas Kaufmann Video Gladiator
"Reality" aus dem Film "La Boum". Nicht im ernst? "La Boum"? Der Teenager-Film, der uns die erste Liebe so traumverliebt präsentiert hat. Erich Kästner sagte mal, man solle seine Kindheit nicht wie einen alten Hut ablegen. Diesem weisen Ratschlag kann ich grundsätzlich bedenkenlos folgen. Nur in diesem Fall sind wir doch wohl alle längst aus unseren Konfirmandenanzügen rausgewachsen, zu kurz geworden sind die Hosenbeine und Sakkoärmel. Oder etwa nicht?
Einen Lacher kann ich mir daher auch leider nicht verkneifen. "Reality" erheitert mich wirklich auf das Amüsanteste. Aber auch das hat vielleicht etwas für sich, denn Unterhaltung wird auf dieser CD definitiv geboten. Auch schafft es Herr Kaufmann, mit neuen und unkonventionellen Ideen immer wieder zu überraschen.
Das ist mutig, denn eingefahrene Wege werden in diesem Fall nicht beschritten. Es ist vielmehr der Weg des ungestümen Herzens, den Jonas Kaufmann hier geht - und höchstwahrscheinlich auch aus voller Überzeugung.
Ich mag Unterhaltungsmusik, Filmmusik sowieso. Vielleicht ist die passgenaue Auswahl der Titel nicht durchweg rund. Langweilig hingegen ist sie nicht. Ich finde sie sogar aufregend und manches Stück regt mich insgeheim auch richtig auf.
Aber genau deswegen fühle ich mich gleichermaßen lebendig. Und solange ich das kann, mich lebendig fühlen, geht es mir gut.
Also dann, swing it, if and as long as you can!
©Youtube / Jonas Kaufmann Video Gladiator
Ein wirklich toller Musikclip ist den Filmemachern da gelungen. Jonas Kaufmann auf den Spuren des "Gladiator". Ein bisschen fantasievolle "Narnja-Magie", gepaart mit einer beeindruckenden Naturkulisse und kämpfenden Kriegern. Und mittdrin der Tenor. Besser geht es gar nicht.
©Youtube / Jonas Kaufmann Trailer zu "The Sound of Movies"
Warum Jonas Kaufmann die Filmmusik so sehr liebt, was ihn dazu bewegt hat, seine neue CD-Einspielung genau diesem Unterhaltungsgenre zu widmen, erfährt man in diesem Videoclip.