14. September 2024
Rubrik CD Tipp
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Der Lack ist noch lange nicht ab. Das beweist Jonas Kaufmann äußerst leidenschaftlich auf seiner neuen CD-Einspielung Love Affairs, die ganz besondere Puccini-Duette aus ebenso ergreifenden wie dramatischen Opern bereithält und auf der sechs aufregende Sopranistinnen die ausgewählten Liebesszenen-Duette jeweils auf ihre höchst individuelle Weise gehörig aufmischen.
Pretty Yende, Anna Netrebko, Malin Byström, Maria Agresta, Sonya Yoncheva und Asmik Grigorian: Die Auswahl dieser international gefeierten Opernsängerinnen könnte nicht außergewöhnlicher und individueller sein. Und doch haben sie bis auf Pretty Yende eines miteinander gemeinsam:
Von Nicole Hacke
Sie haben mindestens einmal, wenn nicht sogar mehrmals die Opernbühnen der Welt mit dem gefragtesten Tenor dieser Tage geteilt.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Und dass Jonas Kaufmann noch längst nicht aufs Altenteil gehört, demonstriert er souverän und mit einer deutlich gereifteren und schön alternden Stimme.
Mehr Substanz, mehr Tiefenschärfe, mehr Charakter und deutlich mehr emotionale Durchschlagskraft, all das zeigt sich in einem sehr berührenden, tragischen, hochdramatischen, oftmals in Verzweiflung ausartenden vokalen Gestus.
Aber auch das von stimmlicher Zartheit geprägte warmgoldene Timbre berührt zutiefst immer dann, wenn es auf das "Weniger ist mehr" im emotionalen Ausdruck ankommt.
Nichts und niemand kommt an diesen Tenor heran, wenn es darum geht, sich inniglich in den leisen, sanften und zärtelnden Tönen zu verlieren. In genau den Momenten kommt es einem vor, als stünde die Welt für Sekunden still, angehalten im duftigsten Augenblick tonaler Magie.
Genauso ergeht es mir just bei der ersten Duett-Arie "O soave fanciualla", die sich insbesondere durch den weiblichen Counterpart auf besonders verklärende Art harmonisch erhöht.
Pretty Yende, die ich erst kürzlich zum V-Log Interview bitten durfte, überzeugt nicht nur durch ihre vereinnahmende Persönlichkeit, sondern insbesondere durch ihre faszinierende Aura, die man in diesem Fall nicht sehen, aber deutlich spüren kann.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Mit ihrer ausgesprochen verführerischen Art, der Stimme verzaubernd schöne Klangfacetten angedeihen zu lassen, die sich im Verlauf des Duetts noch konturierter herausbilden, erlebt man als Zuhörer samtfeine Lyrismen, die mit mädchenhaftem Esprit zuweilen kokett zu einem formschönen Guss mit Kaufmanns sonorem Tenor verschmelzen.
Die Rolle der Mími steht Pretty Yende jedenfalls ausgezeichnet. Im gemeinsamen Duett mit Anna Netrebko hingegen brennt sich das packende Drama der Manon Lescaut lichterloh durch die Decke geballter Emotionen.
Kein Liebespaar wie aus dem Bilderbuch begegnet dem zuhörenden Ohr, sondern eine "Amour fou" von solch lodernder Intensität, dass Eifersucht und Verlangen gleichermaßen in einem alles vernichtenden Flammenmeer der Zügellosigkeit aufgehen.
Vulkanisch explosiv und von nahezu unkontrollierter Ekstase schrauben sich sowohl Netrebko als auch Kaufmann in " Tu, tu, amore? Tu?" in überschäumende Hysterie aufgeladener Klangwucht.
Wie ein fesselnder Thriller, so gebannt lauscht man dem stimmgewaltigen Schlagabtausch der beiden Ausnahmekünstler und wird schier atemlos bei so viel emotionaler Übergriffigkeit.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Dagegen sind Mario Cavaradossi und Floria Tosca alias Jonas Kaufmann und Sonya Yoncheva ein eher unbekümmert turtelndes Liebespaar, das sich auch vokal besonders elegant neckt und mit kleinen Eifersüchteleien frischen Wind in die nicht langwährende Liebe bringt.
Besonders faszinierend jedoch macht sich Kaufmanns Stimme als Mister Johnson in "La Fanciulla del West". Warme, tiefgründige Klangfarben, ummantelt von einem schokoladensatten Timbre, all das gepaart mit einer stimmlich erotischen Ausstrahlung... da möchte man sich in diesen Schurken ganz hoffnungslos verlieben.
Tatsächlich fällt Kaufmanns deutlich nachdunkelnder Tenor extrem positiv ins Gewicht, gewinnt er doch in der extrem charakteristischen Mittellage zunehmend an Kontur, Körper und Volumen, was dazu führt, dass die tonale Substanz Kaufmanns Stimme zu voller Pracht und in ausgesprochen ästhetischen Facetten viril erblühen lässt.
Zerfressen von ungestillter Liebesmüh wirkt Kaufmanns Interpretation des Luigi in "Il Tabarro" bemitleidenswert authentisch. Gequält von Liebespein beginnt ein aufgeregter Schlagabtausch mit seiner Gesangspartnerin Asmik Grigorian, mit der er sich in einen dramatischen Höhenflug katapultiert.
Beeindruckend ist in jedem Fall die eiskalte Stimme der Asmik Grigorian, die kristallklare und messerscharfe Höhen problemlos produziert und mit einer lupenreinen Strahlkraft dermaßen brilliert, dass einem fast schon ein unschöner Schauer den Rücken herunterläuft.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Zusammen mit Maria Agresta gelingt als letztes der vielen verzaubernden Liebesszenen-Duette eine formvollendete, sehr harmonisch austarierte Interpretation von Madama Butterfly.
In ruhigen Gewässern strömen beide Stimmen lyrisch fein und mit ästhetischem Glanz aufeinander zu und vereinen sich zu einer ausgewogen vokalsatten Mélange.
Zwei Solo-Arien für den Kaufmann gibt es zu guter Letzt noch dazu. Mit "Che gelida manina" aus La Bohème konnte der deutsch-österreichische Tenor bereits vor 11 Jahren sein einzigartiges Können unter Beweis stellen.
Bei dieser Einspielung merkt man jedoch sofort, dass Kaufmanns Stimme reifer und in den Phrasierungen differenzierter "auftritt", was der Schönheit des stimmlichen Charakters und der emotionalen Tiefe allerdings keinen Abbruch tut.
Großartig ist und bleibt seine "Signature-Arie" E lucevan le stelle, die mit so viel Wahrhaftigkeit, Innigkeit und Inbrunst gesungen, ein Feuerwerk emotionaler Bewegtheit entfacht, dass man die Sterne nicht nur leuchten hört...